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Berlin: Sehnsucht nach Alt-Berlin

Senatsbaudirektor Stimmann verordnete der Friedrichstraße die alte Enge – und ließ riesige Blöcke bauen

„Die Herren mögen Ihre Damen besser ins Hotel bringen, wenn sie sich in die Friedrichstraße begeben“, dieser Rat in einem älteren Reiseführer war ein sanfter Hinweis darauf, dass in der legendären Berliner Amüsiermeile der zwanziger Jahre nicht nur Zigarrenläden und Buchhändler auf Kunden warteten – Moderator Gerwin Zohlen charakterisierte den Mythos, den die Stadtplaner nach der Wiedervereinigung als Orientierung ins Visier nahmen. Doch so einfach ließ sich der Mythos der „Goldenen zwanziger Jahre“ nicht wiederbeleben.

Es sei nicht darum gegangen, irgend eine Geschäftsstraße wieder aufzubauen, sondern es habe gegolten, für die Friedrichstraße eine Definition zu finden, etwas Eigenständiges zwischen Ku’damm/Tauentzien und Alexanderplatz, formulierte es Hans Stimmann. Das sei aber nicht ganz gelungen. Über VW im Lindenkorso ist der Senatsbaudirektor „nicht wirklich unglücklich“, da das Ausstellungszentrum im Niveau qualitativ über den Bäckereien und Souvenirläden angesiedelt sei. Außerdem sei es geglückt, mit dem Kulturkaufhaus Dussmann ein „Alleinstellungsmerkmal“ in die Straße zu bekommen.

Martina Tittel, Geschäftsführerin des Medienhändlers, beklagt das Fehlen eines Magneten wie KaDeWe in der Friedrichstraße. „Gott sei Dank gibt es hier kein KaDeWe“, erwidert dagegen Hans Stimmann. Er sieht in der Friedrichstraße keine Konkurrenz zur City-West und zum Alexanderplatz und favorisiert eine möglichst kleinteilige Bebauung und Nutzungsmischung mit Einbindung in das gesamte Stadtquartier.

Dem oft geäußerten Vorwurf, in der Friedrichstraße habe man es nach der Wende versäumt, auf kleine Parzellen zu achten, und viel zu große, teils ganze Straßenblöcke einnehmende Einheiten zugelassen und damit der Langeweile Vorschub geleistet, begegnet Stimmann mit Bedauern. Es sei alles zu schnell gegangen. Die Branchen hätten sich extrem konzentriert. Für fünfzig Meter tiefe Baugruben und die notwendigen Tiefgaragen brauche man eben große Flächen. Leider habe man auch außer Dussmann in der Friedrichstraße keine Bauherren, die für sich selbst bauen, sondern nur an Rendite interessierte Kapitalgesellschaften.

Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau verwies allerdings darauf, dass die Grundstücke zum Großteil in öffentlicher Hand gewesen seien. Beim Verkauf hätte man sehr wohl die Möglichkeit gehabt hätte, kleinteiligere Parzellen zu bilden. Doch es sei der Oberfinanzdirektion, der Treuhand und der Stadt nur darauf angekommen, möglichst hohe Erlöse zu erzielen. Für langfristige städtebauliche und stadtstrukturelle Überlegungen habe man sich die Zeit nicht genommen.

So beklagte Dubrau zum Beispiel die Planungsgeschichte des Rosmarinkarrees, wo mit dem Beschluss zum Bau einer Tiefgarage auch die vom Bezirk als erhaltungswürdig eingestuften Altbauten gefallen seien. Stimmann sah und sieht allerdings niemanden, gleich welcher politischen Couleur, der sich für eine kleinteiligere Parzellierung eingesetzt habe.

Für die nicht nur von Frau Tittel gewünschte Erhaltung der Freifläche an der Ecke Unter den Linden hat der Senatsbaudirektor kein Verständnis. Die barocke Dorotheenstadt, auf die er sich bezieht, hatte nun mal enge Straßen ohne Baumbestand. Die Nordwestecke der Kreuzung sei ehemals die schönste Stelle, werde es mit dem umstrittenen Neubau wieder werden, sagte Stimmann, ohne damit die Zweifler im Publikum zu überzeugen.

„Wir wissen 2006 immer noch nicht, was die Friedrichstraße sein soll“, sagte Hans Stimmann – eine durchaus zwiespältige Bilanz der Arbeit seines Hauses. Doch Martina Tittel ist zuversichtlich, dass sich die Qualität der Geschäfte noch ändert. „Handel und Wandel“ werden es schon richten. 80 Prozent der Besucher kommen aus Berlin selbst, hat eine von Dussmann in Auftrag gegebene Befragung ergeben, ein schönes Zeichen für die Friedrichstraße, die nun endlich im Aufwärtstrend liege. Ihre Wunschvorstellung „an jeder Ecke der Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden ein Café“ wird zur Erfüllung wohl aber noch längere Zeit brauchen.

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