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Berlin: Sehnsucht nach festen Riten

Nach öffentlicher Kritik wird in der evanglischen Kirche über die Qualität der Gottesdienste diskutiert

Feste Formen, Rituale und gehaltvolle Predigten, die sie in ihrem Alltag ansprechen – das wünschen sich viele Berliner von der evangelischen Kirche. Ein Brief, den eine Gruppe prominenter Kulturschaffender an Bischof Huber geschrieben hat und in dem sie sich über den mangelnden Tiefgang und die fehlende Spiritualität in den evangelischen Gottesdiensten beklagt, hat offenbar einen Nerv getroffen. „Wir fürchten, dass eine der wichtigsten religiösen und gesellschaftlichen Institutionen in die Spaßgesellschaft abdriftet“, schreiben die Kritiker, unter ihnen Schauspielerin Jutta Lampe.

„Endlich spricht es einmal jemand aus“, sagte ein Tagesspiegel-Leser und ehemaliger Pfarrer, der regelmäßig in Spandau zur Kirche geht. Ihm ist aufgefallen, dass viele seiner Kollegen es nicht schafften, in den Predigten ihre theologischen Gedankengebäude zu verlassen. „Sie erzählen die Bibelgeschichten, und die Auslegung läuft darauf hinaus, dass man Gott als Herrn anerkennen soll. Das hat nichts mit dem heutigen Alltag zu tun.“ Auch plädiert er für mehr Stil. In der katholischen Kirche könne man die „Wucht der geschlossenen Form“ erleben.

Etliche Berliner Gemeinden haben diese Sehnsucht nach festen Formen und traditionellen Ritualen bereits vor einigen Jahren erkannt – mit Erfolg. Sie gehören zu den Gemeinden, die von leitenden Geistlichen und regelmäßigen Kirchgängern als erste für einen Besuch empfohlen werden. In der Wilmersdorfer Auenkirche etwa folgt der Gottesdienst jeden Sonntag einem festen Ablauf, zum Beispiel mit festen Wechselgesängen zwischen Pfarrer und Gemeinde und bestimmten Liedern, die diejenigen, die regelmäßig kommen, mittlerweile auch ohne Gesangbuch mitsingen können. Die Kirche ist sonntags gut gefüllt und wer neu hinzukommt, merkt, dass hier eine Gemeinschaft gerade auch durch die festen Rituale entstanden ist.

„Wir müssen den Kernelementen des Gottesdienstes mehr vertrauen“, sagt Lothar Wittkopf, der Superintendent für den Kirchenkreis Mitte. Dazu gehöre die Lesung des Evangeliums, ein Tageslied, und dass die Gemeinde das Glaubensbekenntnis und das Vater Unser spricht. „Wir evangelischen Pfarrer neigen dazu, viel zu zerreden, weil wir meinen, wir müssten alles erklären“, sagt Wittkopf. Er wisse aus vielen Gesprächen, dass es wieder eine viel größere Sehnsucht nach verlässlichen Formen und Inhalten gebe. Wichtig sei, dass ein „ausgewogenes Verhältnis zwischen Wort, Musik und Raumgestaltung“ erreicht werde. Und dass die Predigt auf die Bedürfnisse der Menschen in der jeweiligen Gemeinde eingehe. „Die sind in Mitte anders als in Wedding oder in Charlottenburg.“

Die sonntägliche evangelische Predigt sei nach wie vor ein „Kulturgut“, sagt Wittkopf: eine Rede zur Bibel und zur Zeit in einer anspruchsvollen Sprache. Dennoch gesteht auch er ein, dass dies nicht jeden Sonntag und nicht überall gelinge. Deshalb will eine Perspektivkommission der evangelischen Landeskirche, in der Wittkopf mitarbeitet, im Sommer unter anderem Vorschläge zur Verbesserung der Qualität der Berliner Gottesdienste machen.

Anlass für den sorgenvollen Brief an Bischof Huber waren frustrierende Erlebnisse der Unterzeichner in Weihnachtsgottesdiensten, besonders in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg bei einem „Kindermusical“ am 24. Dezember.

Pfarrer Christian Zeiske von der Gethsemanekirche verteidigt sich: „Gerade hier in Gethsemane haben wir eine hohe Gottesdienstkultur, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass an normalen Sonntagen über 200 Menschen kommen, darunter viele Familien mit Kindern – Tendenz steigend.“ Man achte sehr auf Formen und Inhalte, auch wenn man versuche, Tradition mit Modernem zu verbinden. Am 24. Dezember habe man nachmittags ein Kindermusical mit den Kita-Kindern aufgeführt, um so auch die Kleinen an die Weihnachtsbotschaft heranzuführen. Mit einer Christvesper mit der Kantorei und einer weiteren Feier mit einem Gospelchor habe man im weiteren Verlauf des Tages versucht, auch den anderen Ansprüchen an einen Weihnachtsgottesdienst zu erfüllen. Die Kritiker seien wohl einfach in den falschen Gottesdienst geraten, mutmaßt Zeiske.

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