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Berlin: Sein Jahr als Mörder

Friedrich Christian Delius las an historischer Stätte aus seinem neuesten Werk

„Der Name Groscurth darf nicht mehr genannt werden!“ Vor 60 Jahren donnerten diese Worte durch das Krankenhaus Moabit. Jetzt fiel der Name des Arztes und Widerstandskämpfers Georg Groscurth dort wieder: Friedrich Christian Delius hat ihn zurückgeholt in den kleinen Hörsaal, in dem er einst lehrte. Als Vorleser seines Romans „Mein Jahr als Mörder“ trat Delius vor rund 50 Zuhörer und ließ sie an den Mordplänen eines Berliner Studenten teilhaben. Auf den Nazi-Richter Rehse hat der es abgesehen. Der Jurist hatte Groscurth 1943 zum Tode verurteilt und war selbst 1968 freigesprochen worden. Ein Unrecht, das der Student und Freund der Söhne Groscurths nicht hinnehmen will.

Delius jongliert mit Fiktion und Fakten: wie sein Protagonist war er damals entsetzt über Rehses Freispruch. Und tatsächlich ist der Autor mit den Groscurth-Jungs aufgewachsen. Ist Delius etwa der Student? „Jein“, antwortet der Autor und lächelt viel sagend. „Es ist eine erfundene Figur, die sich autobiographische Motive mit meiner Genehmigung ausgeliehen hat.“

Leibarzt von Hitlers Stellvertreter Hess war Groscurth gewesen und gleichzeitig einer der führenden Köpfe in der Widerstandsgruppe „Europäische Union“. Deshalb starb er „irgendwie anders als die anderen Väter im Krieg“: Er wurde enthauptet, am 8. Mai 1944. Dann erzählt Delius von Groscurths Witwe Anneliese. In der Bundesrepublik der Fünfziger ist „West und Ost“ das Synonym für „Gut und Böse“. Anneliese Groscurth gerät zwischen die Fronten, wird als Kommunistin diffamiert und verliert ihre Stellung als Amtsärztin. Erst in den Siebzigern wird sie rehabilitiert – durch den Anwalt, der zuvor Rehses Freispruch erwirkt hatte.

NS-Zeit, Fünfzigerjahre, 1968 und die Groscurths mittendrin. Delius hat die historischen Fakten exakt recherchiert, sein Ich-Erzähler führt sicher durch die Zeiten – eine gelungene Zusammenarbeit. Dem Namen „Groscurth“ verhilft das Gespann zur verdienten Ehre, den Namen des Richters kürzt der Autor dagegen auf den 300 Seiten konsequent mit „R.“ ab. „Wer meinem Vater den Kopf abgeschlagen hat, dem schlage ich wenigstens einige Silben von seinem Namen ab“, sagte einst Groscurths Sohn. Friedrich Christian Delius wird das nie vergessen.

Friedrich Christian Delius: „Mein Jahr als Mörder“, Rowohlt Berlin, 19,90 Euro.

Katrin Salié

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