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Berlin: Sein Leben ist ein Cabaret

Schwieriger Part: Jeden Abend schlüpft Erik Rentmeister in die Rolle des Conférenciers

Wenn er sich auf dem schwarzen Flügel räkelt, glänzen Männer- und Frauenaugen gleichermaßen. „Ich finde Sie toll“, bejubelte jüngst eine vom Typ brave Ehefrau den jungen Glatzkopf mit dem erotischen Touch, „ich bin zum dritten Mal hier“. Und meint den verräucherten Kit-Kat-Klub, besser gesagt, die Bar jeder Vernunft, wo das legendäre Etablissement aus den 30er Jahren Berlins noch bis Ende April dienstags bis sonntags geöffnet hat – im Musical „Cabaret“.

„Willkommen, bienvenue, welcome“, begrüßt darin singend der glatzköpfige Conférencier allabendlich seine Gäste. Der junge Mann im Glitzerkostüm, der sich vor ihnen auf der winzigen Bühne so geschmeidig und gleichermaßen verrucht bewegt, ist da für manche die Verkörperung Großstadt-Laster. Doch Eric Rentmeister ist vom Laster so weit entfernt wie – sagen wir – eine Bordsteinschwalbe vom Kloster. Dass der junge Mann, dessen Name auf die Tätigkeit des Steuereintreibers zurückgeht, gern bis mittags schläft, ist weniger seinem lasterhaften Lebenswandel als seinen abendlichen Auftritten geschuldet. Und dass er Besuch schon nachmittags bei Kerzenlicht im schummerigen Zimmer empfängt, hat auch nichts mit lasterhaften Hintergedanken zu tun, sondern mit dem lichtlosen Hinterhaus in der Keithstraße. Dort wohnt der Musical-Absolvent der Folkwang-Hochschule Essen seit anderthalb Jahren. Hals über Kopf mietete Rentmeister damals die kleine Wohnung im Erdgeschoss mit Blick auf die Müllkübel im schmalen Hof – zwei Tage, bevor die Proben zu „Cabaret“ begannen. Dass er nach seinem Studienabschluss 2004 in dem berühmten Musical nicht nur seine erste, sondern auch gleich die legendäre Rolle des Conférenciers bekam, hätte sich der Sohn eines Biologie–Lehrers nicht träumen lassen. Im Internet hatte Rentmeister die Berliner „Cabaret“-Ausschreibung gelesen und sich für eine Tanzrolle im Kit-Kat-Klub beworben.

Für Regisseur Vincent Paterson war er gleich der richtige Conférencier. „Die suchen dafür aber einen Promi“, bedauerte der Amerikaner beim Casting in der Bar jeder Vernunft und besetzte Rentmeister zunächst mit der Rolle des Gorilla „Bobby“. Dass er seine Bühnenkarriere dann doch mit der Rolle des Conférenciers startete, für die Joel Grey neben Liza Minnelli 1972 im Film „Cabaret“ einen Oscar errang, verdankte er der Tatsache, dass sich einfach keiner der gecasteten prominenten Künstler so eignete, wie der Newcomer aus dem Ruhrgebiet.

Vom Leben dort schwärmt der Neu-Berliner bis heute. „Ich fühle mich nicht so als Stadtkind“, sagt er, „habe immer auf dem Land gewohnt, da kennt man jedes Gesicht aus dem Dorf. Hier bin ich gespannt, ob meine neuen Nachbarn wenigstens mal klingeln und sich vorstellen.“ Da sind es dann auch meist alte Freunde von außerhalb, die er in Berlin mal bekocht. Selbst ernährt sich der Nichtraucher und Nichttrinker gern mit Knabberkram – fein säuberlich sind in einer Schale Kinderschokoladenriegel und allerlei Süßkram angeordnet. Um die Kalorien muss er nicht bangen – die arbeitet er sich im Ballettzentrum am Kurfürstendamm wieder runter. Tanzen ist seine Leidenschaft. Das hat er bedauerlicherweise zu spät entdeckt, um daraus allein noch eine Profession zu machen.

Mathematiker wollte der 26-Jährige eigentlich werden, obwohl er schon während der Schulzeit Theater gespielt hatte. Mathe fiel ihm in den Schoß – „zum Abi habe ich nur mal geübt, weil ich dachte, man kann doch nicht ganz unvorbereitet da rein“. Nach einem Semester Mathematik in Köln stand für ihn aber fest, dass Theater „nebenbei“ nicht geht. „Entweder ganz oder gar nicht“,sagte er sich und entschied sich 2000 gegen Zahlen und für das Musicalstudium in Essen – „ich hing an Zuhause und das war nicht so weit weg.“ Kürzlich war er wieder mal dort - aus beruflichen Gründen. In der Nachbarstadt Gelsenkirchen spielte er in „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ mit. „Die Arbeit war ganz toll“, schwärmt Rentmeister von der Theaterarbeit in dem „kleinen, feinen Haus“.

Ausprobieren möchte er sich, wo es nur geht. Sein Berliner Erfolg in „Cabaret“ ist ihm nicht in den einst blonden Kopf gestiegen. Zu dessen Kahlschlag hatte noch in Essen ein Friseur dem Musical-Studenten geraten – mit der Glatze sei er mehr ein Typ. Bis Ende April heißt er noch seine Gäste im Kit-Kat-Klub willkommen. Wie es danach weitergeht, sorgt sich Rentmeister nicht. „Wenn alle Stricke reißen, mache ich einen Promotions-Job“, frotzelt der 26-Jährige, „für die Metro war ich schon mal Glücksbote“.

Bar jeder Vernunft, bis 30. April Dienstag bis Sonntag, 20 Uhr, Tickets 883 15 82 oder www.cabaret-in-berlin.de

Heidemarie Mazuhn

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