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Berlin: Seine Schätze sind Schwarz-Weiß

Von Lothar Heinke Die schönste Geschichte ist die mit dem nackten Arbeiter: Fotoreporter Gerhard Kiesling fährt 1952 nach Zwickau und trifft auf Bergleute, die wegen der Hitze unter Tage alles ausgezogen haben. Die Kumpel waren alles andere als prüde, und im Gefolge des Aktivisten-Erfinders Adolf Hennecke zeigten sie ihr Selbstbewusstsein: „Ich bin Bergmann – wer ist mehr?

Von Lothar Heinke

Die schönste Geschichte ist die mit dem nackten Arbeiter: Fotoreporter Gerhard Kiesling fährt 1952 nach Zwickau und trifft auf Bergleute, die wegen der Hitze unter Tage alles ausgezogen haben. Die Kumpel waren alles andere als prüde, und im Gefolge des Aktivisten-Erfinders Adolf Hennecke zeigten sie ihr Selbstbewusstsein: „Ich bin Bergmann – wer ist mehr?“ Diese Losung wollte der Fotograf der „Neuen Berliner Illustrierten“ (NBI) für eine Reportage ins Bild setzen. Die Redaktion war begeistert, aber irgendein Bedenkenträger muss dann doch mit dem Kopf gewackelt haben. Der Fotograf kippte vom Stuhl, als er seine Geschichte gedruckt sah. Der Gag war weg: Ein Retuscheur hatte dem Kumpel eine Badehose angezogen . . .

Vor 50 Jahren ist Kiesling wegen dieser Art verfälschender Prüderie explodiert, heute lacht er. Altersweise sitzt „Kies“ auf seinem Sofa in Pankow und hat ein paar Schätze in Schwarz-Weiß um sich ausgebreitet. Gerade ist er 80 geworden. Auf die Frage, wie viele Fotos er in seinem Leben gemacht hat, verblüfft die Antwort: „Ungefähr 500000“. Drei Jahre lang saß er, dessen Fotoreportagen die auflagenstärkste DDR-Illustrierte prägten, im Otto-Nagel-Haus am Märkischen Ufer, um sein Lebenswerk für das Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz zu sortieren. Dort beginnt Anfang Juli eine Kiesling-Ausstellung.

Momentan haben die Macher die Qual der Wahl: Was zeigt man von einem Mann, der schon als Pennäler in Greiz nie ohne seine „Ernemann“-Kamera (Schlitzverschluss viereinhalb mal sechs) auf die Straße ging und für die örtliche Zeitung fotografierte, der 1947 nach Berlin kam, zwei Schachteln Camel für eine Zuzugsgenehmigung tauschte und das aufblühende Leben in den Theatern ablichtete. 1949 engagierte ihn Johannes R. Bechers Frau Lilly, damals Chefredakteurin der NBI, weil ihr die Art gefiel, wie der junge Mann die Themen ins Bild setzte. Bei allem Lob gab es auch mal Tadel: „Als Lilly Becher meine Fotos von einer Modenschau an der Ostsee betrachtete, fragte sie streng: Und wo sind die Werktätigen?“

Kies ahnte, worauf es ankam bei der Auftragsfotografie: „Wir wussten, was wir durften und was nicht“. Am liebsten seien ihm die Beobachtungen gewesen, der Blick in Gesichter – Händeschüttel-Küsschen-Blumenüberreichungsbilder boten kaum Spielraum für eigene Kunst.

Porträts schon eher. Gerhard Kiesling hat viele berühmte Bilder von bekannten Leuten gemacht: Becher mit Thomas Mann, die Weigel und der Brecht, Ernst Busch und Erwin Strittmatter, Pieck, Ulbricht, Grotewohl, Simone Signoret in Babelsberg und Paul Robeson beim Singen. Menschen und Aktionen in Betrieben, im Ausland und bei Olympischen Spielen. Ein Reporterleben. Die meisten Türen gingen wie von selbst auf, wenn man von der NBI kam. Nach der Wende wurde das Blatt ohne Verstand in „Extra“ umbenannt und schließlich trotz großen Engagements seiner kreativsten Köpfe eingestellt.

Kiesling würde „wieder alles so machen“, aber mit 80 Jahren gibt es Grenzen: Eins seiner bekanntesten Fotos zeigt den Blick auf Berlin von der Antennenspitze des Fernsehturms. Auf dieses Abenteuer würde er sich nicht mehr einlassen, obwohl: „Da gibt es jetzt mehr zu sehen als damals . . .“

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