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Berlin: Semi Lasso

Manche Barnamen sind seltsam. Semi Lasso ist so einer.

Von Frank Jansen

Manche Barnamen sind seltsam. Semi Lasso ist so einer. Da wäre zunächst ein Lokal abgehalfterter Cowboys zu vermuten, bei denen es nur noch zum halben Lasso reicht (was auch immer mit Lasso gemeint sein könnte). Erst die Kreuzberger Adresse, Muskauer Straße/Ecke Pücklerstraße, führt auf eine andere Fährte. Da erinnert man sich an Hermann Fürst von Pückler-Muskau, der in Bad Muskau in der Lausitz und in Cottbus-Branitz hübsche Schlossparks anlegen ließ. Außerdem trieb er sich als polyglotter Dandy in fernen Ländern herum und schrieb Bücher, einige unter dem Pseudonym „Semilasso“. Das sollte so viel wie „Halbmüder“ bedeuten. Klingt wohl trister, als es gemeint war. Pückler nutzte den selbst erfundenen Beinamen, um sich als Kunstfigur in Szene zu setzen – mal gaghaft, mal melancholisch. „Vorletzter Weltgang von Semilasso“ heißt ein 1835 erschienenes Werk, und derart endzeitlich inspiriert begaben sich drinking man und compañera in die Bar.

Das Interieur ist nett, auch ein wenig verspielt. Der große Raum rechts mit dem schönen Terrazzo-Boden endet in einem breiten Sitzbank-„U“, das mit seidigem Polster und akkurat aufgereihten Kissen belegt ist. Über dem dunkelhölzernen Ecktresen hängen röhrenartige Tütenlampen. Der Raum links ist eher eng, in einem Regal und einem hohen Kühlschrank mit Glastüren lagern Weinflaschen sowie andere Spirituosen. Das Lokal wird dezent mit Jazz und Club Culture beschallt, außerdem ist täglich ein gezirptes „Kerze kaufen!“ zu hören – das ist der Kreuzberger Altfreak, der seit ewigen Zeiten mit einem wachsschweren Rucksack durch die Kneipen zieht.

Eine Cocktailkarte muss man erfragen. Das Semi Lasso versteht sich offenbar eher als Restaurant. Letztlich ist es aber einer dieser berlintypischen Bistrobar-Zwitter geworden. Drinking man und compañera nahmen einen gebackenen Kräutermatjes – sehr lecker – und ein pikantes Tomatentörtchen zu sich, bevor edle Getränke geordert wurden. Der Gin Fizz war allerdings eine Spur zu sauer und fremdelte im Whiskyglas. Zu empfehlen ist hingegen der Carpe Diem Kombucha China Twist (2 cl frisch gepresster Limettensaft, 5 cl Aperol, Carpe Diem Kombucha und crushed ice) – nicht so pompös, wie der Titel vermuten lässt, aber groß, rot, gut. Carpe Diem ist übrigens eine österreichische, arg wellnessig auftretende Getränke-Firma, die auf den altasiatischen Teepilztrank Kombucha schwört. Zum Glück war dem Cocktail keine esoterische Unterströmung anzumerken.

Vielleicht hätte es Fürst Pückler im Semi Lasso gefallen. Hier scheint auch keiner den hohen Herrn als Eiscreme-Onkel zu verballhornen. Vielmehr zählt dieses Lokal, ähnlich wie die nicht weit entfernte Bellman Bar, zur meist liebenswürdigen Kreuzberger Szene-Gastronomie. Sogar ohne Schmuddel.

Semi Lasso, Muskauer Straße 13, Kreuzberg, Tel.: 61623912, täglich ab 9 Uhr 30

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