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Berlin: Senat und GEW sitzen in der Falle

Sybille Volkholz, Bildungspolitikerin und Gewerkschafterin, zum Streit um die Arbeitszeit der Lehrer.

In der Frage der tariflichen Regelung der Lehrerarbeitszeit haben sich Senat und Gewerkschaft GEW systematisch in eine argumentative Falle begeben. Als – zumindest teilweise – Realisierung der Arbeitszeitverkürzung hat der Senat zwei der angeordneten Präsenztage am Ende der Sommerferien zurückgenommen. Das Problem dabei ist nur: Die drei Tage, die die Lehrkräfte in der Schule verbringen sollten, waren nicht als Arbeitszeiterhöhung deklariert worden. Die 12 Wochen Ferien (unterrichtsfreie Zeit) sind nicht gleichzusetzen mit Urlaub. Nur ein Teil ist Urlaub. Der Rest ist – zwar individuell verfügbar – aber auch Arbeitszeit, von vielen Lehrkräften auch immer zu Korrekturen, Vor und Nachbereitungen so verwendet.

Dass hier der Senat in die individuelle Verfügbarkeit eingegriffen hat und drei Tage Präsenzzeit angeordnet hatte, war zwar für den Westteil Berlins ungewöhnlich, aber rechtlich zulässig und – wenn man die Maßnahme den Schulen übertragen hätte – pädagogisch mit Sicherheit sinnvoll. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass der erste Schultag nach den Ferien nicht mit Restfragen der Stundenplangestaltung und Dienstbesprechungen belastet würde, sondern als normaler Unterrichtstag starten könnte. Soweit so gut, nur in dieser Logik kann der Senat auch nicht zwei dieser Präsenztage als Arbeitszeitverkürzung zurücknehmen. Dies ist ein schwerer Fehler in der eigenen Argumentation und dazu pädagogisch unsinnig. Trotz zahlreicher Proteste hatten viele Schulen doch Projekte, Fortbildungen oder andere schulinterne Arbeitsgruppen geplant.

Die GEW auf der anderen Seite begeht den gleichen argumentativen Fehler spiegelverkehrt. Sie hatte die drei Tage Anwesenheit als Arbeitszeiterhöhung angesehen und ihren Protest darauf ausgerichtet, zum Warnstreik aufgerufen und Klagen zumindest angedroht. Sie wiederum muss in logischer Folge die Rücknahme von zwei Tagen als Arbeitszeitverkürzung – wenn auch als längst nicht ausreichend – dann auch hinnehmen.

Beide Seiten haben sich damit in eine argumentative Falle hineinmanövriert. Diese zeigt mit großer Deutlichkeit, wie dringend erforderlich es sowohl bei Arbeitgebern und Gewerkschaften wie auch bei den Lehrpersonen selbst ist, die Regelung der Lehrerarbeitszeit zu klären. Die Arbeitszeit der Lehrkräfte ist die gleiche wie im übrigen öffentlichen Dienst (derzeit ca. 1760 Stunden im Jahr). Die Unterrichtsverpflichtung ist nur ein Teilaspekt, der eigentlich nur als Maßstab für die finanzielle Abgeltung dient. Wie viel Zeit neben dem Unterricht Lehrkräfte in der Schule verbringen müssten, unterliegt dem Direktionsrecht der Arbeitgeber. Von diesem ist bisher wenig Gebrauch gemacht worden, so dass die Zeit, die Lehrpersonen neben dem Unterricht für Vor- und Nachbereitung, Korrekturen, Elterngespräche, Schülerberatung, Konferenzen etc. aufwenden, in ihrem eigenen Bewusstsein und auch dem der Öffentlichkeit zum großen Teil ihrer individuellen Verfügbarkeit unterliegt. Dieser Sachverhalt hat dazu geführt, dass die Anordnungen von Präsenzzeiten derzeit noch mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.

Eine Lösung wird darin liegen müssen, dass die faktischen Regelungen der Lehrerarbeitszeit so geändert werden, dass die individuelle Verfügbarkeit eingeschränkt wird. Dazu könnte Schweden als Orientierung dienen. Von 45 Stunden Wochenarbeitszeit müssen die Lehrkräfte 35 an der Schule anwesend sein, von denen sie in der Regel 20 Zeitstunden unterrichten. Zumindest müssen Arbeitzeiten über den Unterricht hinaus, die für die Schulentwicklung notwendig sind, der Schule zur Verfügung stehen, auf die sie einen Zugriff hat – auch wenn sie nicht als Präsenzzeiten realisiert werden.

Mit einer solchen Gestaltung von Lehrerarbeitszeit, lässt sich eine Schule anders gestalten, eine Schule mit größerer Eigenverantwortung wird solche Modelle brauchen. Bis es soweit ist, und solange die Lehrerarbeitszeit noch in Unterrichtswochenstunden gemessen wird, kann eine Lösung im Tarifkonflikt nur darin bestehen, dass die Arbeitszeitverkürzung erst mal auch in der Reduzierung von Unterricht realisiert wird. Ein Zwischenschritt hin zu einer neuen Regelung könnte darin bestehen, dass sich Senat und Gewerkschaften verständigen, dass die zugesagten Neueinstellungen (ca. 250 Lehrkräfte) vorgenommen werden. Ein Teil wird für dringenden Fachbedarf gebraucht werden, der Rest sollte als Pool den einzelnen Schulen zur Verfügung gestellt werden, den diese zur Entlastung der Lehrkräfte mit hohen Belastungen einsetzen können.

Der Regierende Bürgermeister ist durch seine Ankündigung, den Solidarpakt mit Arbeitszeitverkürzung zu verbinden, in der Pflicht, sich an einer vernünftigen Regelung zu beteiligen.

Sybille Volkholz ist eine profilierte Bildungspolitikerin und Gewerkschafterin von Bündnis 90/Die Grünen. Von 1979-1989 war sie Berliner Vize-Chefin der Lehrergewerkschaft GEW, danach gehörte sie dem Senat bis 1990 als Schulsenatorin an. Heute koordiniert die 59-Jährige die Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung.

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