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Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Berlin - aber wo sollen sie wohnen?

© dpa

Unterkünfte dringend gesucht: Senator will Gebäude für Flüchtlinge notfalls beschlagnahmen

Bald könnten tausend Plätze für die Unterbringung von Asylbewerbern fehlen. Sozialsenator Mario Czaja erwägt deshalb drastische Mittel: Wenn es sein muss, will er Gebäude beschlagnahmen. Denn es gibt Streit um die Frage, wie eine gerechte Aufteilung der Belastungen aussehen könnte.

Von Sandra Dassler

Die Situation sei schon ziemlich dramatisch, sagt Sozialsenator Mario Czaja (CDU): Im Oktober dieses Jahres hätten 1944 Menschen in Berlin einen sogenannten Erstantrag auf Asyl gestellt, im gleichen Monat des Vorjahres waren es 623. Die Anzahl der Flüchtlinge habe sich also verdreifacht, und auch wenn nicht alle in Berlin blieben, müssten doch erst einmal alle untergebracht werden. „Die Kapazitäten sind erschöpft“, sagt Czaja, „in wenigen Wochen könnten tausend Plätze fehlen.“ Jedenfalls, wenn nicht endlich jene Bezirke handelten, die bislang nur wenig Unterkünfte zur Verfügung stellen.

Ein letztes Mal will es Mario Czaja auf freiwilliger Basis versuchen: Am heutigen Donnerstag legt der 37-Jährige dem Rat der Bezirksbürgermeister ein Konzept vor, um Flüchtlinge in Berlin gerechter zu verteilen. Beziehungsweise, um die Menschen, die in der Hauptstadt um Asyl bitten, überhaupt erst einmal unterzubringen. Demnach sollen beispielsweise Neukölln und Reinickendorf je rund 400 und Steglitz-Zehlendorf rund 500 Unterkünfte zur Verfügung stellen. Tun sie es nicht, will Czaja wie berichtet geeignete Gebäude beschlagnahmen.

Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) reagierte am Mittwoch gelassen auf die unverblümte Drohung. „Bevor man ein Objekt beschlagnahmen kann, muss man erstmal eines haben“, sagte er. „Und in Reinickendorf – das haben wir schließlich sorgfältig geprüft – gibt es keins.“ Warum es ungerecht sein soll, dass Lichtenberg und Tempelhof-Schöneberg derzeit 1160 beziehungsweise 776 Plätze zur Verfügung stellen, Reinickendorf aber nur 72, kann Balzer nicht erkennen. Zumal alle Bezirke – wie vom Senat gefordert – nicht genutzte Gebäude an den Liegenschaftsfonds übergeben mussten.

Der Bezirksbürgermeister von Steglitz-Zehlendorf, Norbert Kopp, wie Balzer und Czaja ebenfalls CDU-Mitglied, nannte das Anliegen des Sozialsenators in der Sache zwar berechtigt, in der Form jedoch „ein völlig unnötiges Muskelspiel“. Sein Bezirk prüfe bereits mehrere Objekte, unter anderen ein ursprünglich für Asylbewerber errichtetes Heim der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die sich jedoch weigere, dies wieder für den ursprünglichen Zweck zu nutzen.

Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) sagte, ihr Bezirk, der nur 44 Plätze zur Verfügung stellt, habe schon genug mit dem Zuzug von Roma aus Rumänien und Bulgarien zu tun, die kein Asyl beantragen müssen. „Und es geht ja nicht nur um die Unterbringung, sondern auch um den Schulbesuch der Kinder.“ Auch deshalb sei der Vorschlag, im Ortsteil Rudow ein Containerdorf für Flüchtlinge einzurichten, von den Neuköllner Bezirksverordneten abgelehnt worden.

Ein Containerdorf in Rudow entspricht den Vorstellungen des Sozialsenators ohnehin nicht. Czaja möchte nicht, dass die Flüchtlinge isoliert untergebracht werden. „Wir können nicht beurteilen, was sie zum Verlassen ihrer Heimat bewogen hat“, sagte er. „Aber wir müssen für menschenwürdige Unterkünfte sorgen.“

Erst am Mittwoch hatte das Deutsche Rote Kreuz „katastrophale Zustände“ in einigen Asylbewerberheimen beklagt, auch in Berlin. Zugleich warnte der Jesuiten- Flüchtlingsdienst vor Alarmismus wegen der gestiegenen Zahlen von Asylbewerbern. „Jetzt wird schon wieder von Flüchtlingsströmen gesprochen, dabei sind selbst die gestiegenen Zahlen weitaus geringer als zu Beginn der 90er Jahre“, sagte der Jesuitenpater Ludger Hillebrand.

Er arbeitet als Seelsorger in den Abschiebehaftanstalten von Berlin und Brandenburg, die seit längerer Zeit nicht mehr ausgelastet sind. Überlegungen, diese deshalb zusammenzuschließen, erteilte Hillebrand ebenso eine Absage wie der Vorstellung, man könne den Abschiebegewahrsam in Köpenick als Notunterkunft für Flüchtlinge nutzen. Das wäre unmenschlich, sagte er: „Das ist doch ein richtiges Gefängnis. Mit Mauern und Gittern und Türen, die sich nur von außen öffnen lassen. Da kann man doch keine Frauen und Kinder unterbringen oder Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan.“

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