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Zwei Unfallchirurgen. Axel Breiter vom DRK-Klinikum Köpenick und West-Kollege Friedrich Jahn vom DRK-Klinikum Westend.

© David von Becker

Serie: 20 Jahre Einheit: Medizin in Ost und West - Der Bruch ist fast verheilt

Unfallchirurg Axel Breiter blieb im Osten. Da wurde früher der Mangel verwaltet, "aber wir waren nicht auf den Kopf gefallen". Seinen West-Kollegen Friedrich Jahn beeindruckte, wie schnell Ostmediziner aufholten. Auch das Gehaltsniveau ist gleich.

Zwei Männer sitzen zurückgelehnt mit ineinander verschränkten Armen nebeneinander, ein wenig abwehrend, ein wenig verlegen. „Schwierige Frage“, sagt einer, und der andere nickt. Es geht um Ost und West, darum, Klischees zu vermeiden und sich zu erinnern. Hörbares Ausatmen. „Das ist doch alles schon so lange her.“ Friedrich Jahn und Axel Breiter sind Ärzte, beide haben sich auf Unfallchirurgie spezialisiert. Der eine im Westen, der andere im Osten. Jahn, 53, ist schmal, dunkelhaarig, still, trägt einen weißen Kittel. Breiter, 52, Cordsakko überm Pullover, ist massiger, offener und gesprächiger. Sie könnten nicht unterschiedlicher wirken. Aber bei „schwierigen“ Fragen reagieren beide mit fast identischer Körpersprache. Sogar gleichzeitig.

„Schwierige Fragen“ sind solche über den Beginn ihrer Laufbahn, damals, kurz bevor Deutschland wiedervereint wurde. Und überhaupt sei die ganze Ost-West-Sache doch nicht mehr „relevant“. Ist sie aber wohl doch. Das wird immer deutlicher, je länger man mit ihnen spricht.

Eigentlich sind sie noch immer in etwa dort, wo sie mal angefangen haben. Axel Breiter ist „im Speckgürtel von Berlin 400 Meter von der Mauer entfernt“ aufgewachsen, „auf der falschen Seite“, wie er sagt. Heute wohnt er in Karlshorst und arbeitet an den DRK-Kliniken in Köpenick. Besonders oft zieht es ihn nicht in Westberliner Kieze. „Vielleicht mal in die Friedrichstraße“, scherzt er. Die sei ja jetzt ziemlich westlich – im Sinn von kommerziell.

An diesem Herbsttag hat Breiter mal eine Ausnahme gemacht und ist zu Friedrich Jahn in die DRK-Kliniken Westend gefahren. Das ist noch weiter westlich als die Kantstraße. Da kauft er manchmal in einem besonderen Schallplattenladen ein. Sein Gastgeber Jahn ist in Tempelhof geboren und wohnt dort heute auch wieder. Wenn er frei hat, fährt er gern mal nach Friedrichshain und geht dort ins Café.

Bisher kannten sich die beiden Ärzte nicht, obwohl sie denselben Arbeitgeber und den gleichen Job haben. „Unser täglich Brot ist der hüftgelenksnahe Bruch“, sagt Breiter und erklärt, das nenne man „im Volksmund“ Oberschenkelhalsbruch. Fachlich verstehen sich die beiden Ärzte sofort blendend. Sie reden über perfekte Röntgenbilder, kurze und lange Knochenschrauben. Und vor allem über ihre „Zugänge“. So nennen sie die Operationsschnitte: Je besser der Chirurg, desto kleiner sind die. Breiter zeigt seine Rekordlänge mit Daumen und Zeigefinger. Jahn unterbietet ihn schmunzelnd.

„Ich hab’ im Osten noch den Lezius-Nagel kennengelernt“, sagt Breiter. Sein Kollege guckt erstaunt. „Der war damals im Westen schon veraltet.“ Nagelte man ihn in einen Oberschenkel, war das Ganze nicht besonders stabil, erklärt Breiter. Aber: So rückständig, wie das jetzt klinge, seien die Behandlungen in der DDR nicht gewesen. „Da haben wir zwar den Mangel verwaltet, aber wir waren nicht auf den Kopf gefallen.“ Wenn ein Patient etwa ein spezielles Implantat brauchte, dann „haben wir das irgendwie hinbekommen“. Meistens mit einer Verlegung in die Charité. Breiter arbeitete damals im Königin-Elisabeth-Haus, dem einzigen evangelischen Krankenhaus in Ostberlin, in Lichtenberg.

„Im Westen war dann alles besser – neu, glänzend, glamourös“, sagt Axel Breiter grinsend. Ganz ernst meint er das nicht. Nach der Wende holte der Osten schnell auf. „Als der fortschrittliche Gamma-Nagel aufkam“, sagt der Wessi Friedrich Jahn, „habe ich den zum ersten Mal bei einem Workshop von einem Kollegen aus dem Osten gesehen.“ 1991 müsse das gewesen sein. Und manchmal habe er etwas neidisch gen Osten geschaut, weil dort in den Neunzigern so viel Neues, Interessantes entstand. Etwa das Unfallkrankenhaus Marzahn. Als er seine Fortbildung zum Unfallchirurgen machen wollte, bewarb er sich „querbeet“ von Garmisch-Partenkirchen bis Potsdam.

„Es war sehr schwierig, Mitte der Neunziger eine Facharztausbildung zu bekommen“, sagt er. Es klappte schließlich im Westend – über Beziehungen. „Die braucht man“, pflichtet Axel Breiter bei und fügt halb im Scherz hinzu, er selbst habe keine. Deswegen sei er, anders als Jahn, noch nicht Oberarzt. Nur deshalb hat er am Monatsende weniger Geld als sein Kollege aus dem Westen auf dem Konto. Seit vergangenem Jahr werden die Ärzte in den Ost-Krankenhäusern genauso wie die im Westen bezahlt.

Eins aber war ihm Osten wie im Westen schon immer gleich, egal in welchem Krankenhaus: „In der Chirurgie sind die Hierarchien sehr stark ausgeprägt“, sagt Jahn. Beide hatten als Anfänger in den Achtzigern Vorgesetzte, die ihnen das Leben schwermachten. Jahns erster Chef in einem Zehlendorfer Krankenhaus traute ihm nur wenig zu und „vergaß“ ihn schließlich zwei Jahre lang auf der Intensivstation. Breiters Chefs in einem Krankenhaus in Brandenburg waren auch schwierig, aber nicht nur menschlich. „Bei der Postenverteilung im DDR-Regime wurden manchmal ziemlich fragwürdige Prioritäten gesetzt“, sagt Breiter, nachdem er eine Weile über die richtige Formulierung nachgedacht hat – mit hörbarem Ausatmen und verschränkten Armen. Details will er nicht verraten.

Anders als Jahn hat er sich nie im anderen Teil der Stadt beworben. „Vielleicht war ich zu schüchtern oder zu feige.“ Die beiden waren lange nicht die Einzigen, die auf ihrer Seite verharrten. Mindestens bis Mitte der Neunziger blieben die Ost- und Westärzte unter sich. Inzwischen hat sich das gemischt. Welcher Kollege aus dem Westen und welcher aus dem Osten kommt – das wissen beide gar nicht mehr.

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