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Serie: 50 Jahre Mauerbau: Zwischen Atombusen und Kaltem Krieg

Die Monate vor dem Mauerbau waren für Berlin eine Zeit der Widersprüche und der Beunruhigung. Traumwetter und Stargäste auf der einen, Verhärtung der Fronten zwischen den Blöcken auf der anderen Seite prägten das Bild der Stadt.

Anfang Juni 1961 überfiel ein Mann aus Leipzig eine Frau am Schlachtensee. Er riss ihr den Badeanzug vom Körper, stach auf sie ein. Erst ein Lehrling, der dies beobachtet hatte, konnte den Mann mit einer ungeladenen Gaspistole stoppen. In die Ermittlungen wurde die Ost-Berliner Volkspolizei einbezogen, da der Täter auch einen Mord in einem Zug auf DDR-Gebiet zugab. Mehrfach trafen sich die Kommissare zum Austausch von Informationen an der Sektorengrenze, quasi im Niemandsland, aber immerhin.

Das gab es also auch im Jahr des Mauerbaus, kurz bevor zwischen West- und Ost-Berlin der Eiserne Vorhang fiel, und es war kein Einzelfall. Ein halbes Jahrhundert ist das jetzt her, und es waren Monate voller Widersprüche zwischen dem Alltag der Frontstadt, an den man sich gewöhnt hatte, und dem unentwegten Säbelrasseln der Supermächte, mal heftiger, mal dezenter, aber immer laut genug, um das Gruseln vor dem stets zur Erhitzung neigenden Kalten Krieg nicht zu verlieren. Heute ist das kaum mehr vorstellbar, aber eine Ahnung von der Lage kurz vor dem 13. August 1961 können die Augenblicksaufnahmen der neuen täglichen „Berlin-Chronik“ wohl vermitteln.

Es waren zunächst einmal Monate im Zeichen eines Schuhs: Am 12. Oktober 1960 hatte Nikita Chruschtschow, Moskaus starker Mann, vor der UN-Vollversammlung in New York seinen berüchtigten Auftritt samt Wutanfall und Schuhgetrommel auf dem Rednerpult – ein Detail, das heute nicht mehr als ganz verbürgt gilt, doch als Legende das Bild der freien Welt vom wilden Mann im Kreml nachhaltig prägte. Acht Monate später, beim Gipfeltreffen in Wien Anfang Juni, kam es zur Begegnung zwischen dem Schuhtrommler und dem neuen US-Präsidenten John F. Kennedy, das zwar ohne Eklat endete, aber gerade für Berlin keinen Anlass zur Hoffnung gab: Die „düstersten Gespräche“ seien über Berlin und Deutschland geführt worden, bilanzierte Kennedy.

Vor dem Hintergrund dieser Großwetterlage lief ein Kleinkrieg der Schikanen und Provokationen ab, über die sich die Berliner noch mehr oder weniger hinwegtrösten konnten, etwa durch das Bombenwetter (am 3. Juli sogar 33 Grad) oder den Atombusen von Jayne Mansfield, den sie auf der Berlinale dieses Sommers zur Schau trug. Der Besuch des Bundespräsidenten Heinrich Lübke im Juni zog die üblichen Proteste aus Ost-Berlin nach sich, die West-Alliierten veranstalteten kurz danach ihre erste gemeinsame Panzerübung, und zum Gedenken an den 17. Juni 1953 war der Platz vor dem Rathaus Schöneberg wieder gedrängt voll. Die mit Ost-Propaganda gefüllten Raketen in der Nähe, die man danach entdeckte, hatten nicht gezündet.

Aber immer schwerer hatten es die Grenzgänger – Ost-Berliner mit Arbeitsplatz im Westen. Zunehmend waren sie Schikanen ausgesetzt, schließlich wurde ihnen das Pendeln untersagt, was vielen der letzte Anstoß wurde, ganz im Westen zu bleiben. Ohnehin waren die Zahlen der Ost-Flüchtlinge rasant gestiegen: Vom 11. auf den 12. August wurden im Notaufnahmelager Marienfelde 2400 Neuankömmlinge gezählt – eine Reaktion auf „Maßnahmen“, die in der DDR-Volkskammer angekündigt worden waren. Eine neue Grenzbefestigung würde dies nicht sein, das hatte schließlich DDR-Chef Walter Ulbricht („Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“) am 15. Juni versichert. Nun ja.

Die Tagesspiegel hatte die künftige Situation schon Ende Juli in einer Karikatur (Untertitel: „Kein Bluff!“) skizziert, wenn sie auch eher als Selbstvergewisserung der Wehrhaftigkeit des Westens gemeint war. Für den Zeichner wurde West-Berlin zur Flachdach-Villa, an deren Zaun zwei Einbrecher ratlos verharren, der dicke Chruschtschow und sein spitzbärtiger Gehilfe Ulbricht. Ein Warnschild hat sie erschreckt: „Vorsicht Selbstschüsse!“.

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