zum Hauptinhalt

Serie Berliner Gärten: Der Grün-Inspektor aus dem Tiergarten

Seit 20 Jahren managt Jürgen Götte Berlins größten Park, den Tiergarten. Derzeit gibt er der Anlage Stück für Stück ihr historisches Gesicht zurück.

Das kann sich heute nicht mal mehr der Chef des Großen Tiergartens vorstellen. „Bis 1971 durfte man hier im Park keine Rasenfläche betreten“, sagt Jürgen Götte. Gerade läuft er dort über eine sattgrüne Liegewiese, lobt die Robustheit des Rasens und grüßt ein paar Picknicker, die es sich unter einer Blutbuche gemütlich gemacht haben. „Später hat man einzelne Wiesen freigegeben, aber die letzten Verbotsschilder verschwanden erst kurz nach der Wende.“ Das war in der Zeit, als der 51-jährige Gartenbauingenieur Leiter des größten Berliner Parks wurde. Die Menschen blieben nicht mehr brav auf den Wegen, sie wollten zum Spielen und Sonnenbaden auf die Wiesen. „Da war ich dann verantwortlich für die größte gute Stube der Berliner.“

Der Inspektionsleiter des Großen Tiergartens ist ein umtriebiger Gartenmanager. Alle paar Minuten klingelt sein Handy, auf dem Schreibtisch stapeln sich Korrespondenzen und Kataloge von Gartenbaufirmen. Sein Büro liegt mitten im Park auf dem Betriebshof des Tiergartens an der Bellevueallee. Vor dem Fenster seines Arbeitszimmers tobt ein Vogelkonzert, Wind lässt die Baumkronen rauschen, die Luft ist kühl und frisch, als sei die City weit entfernt.

Allzu oft trifft man ihn dort nicht an, meist ist der zierliche 1,60-Meter-Mann mit dem Rad oder Dienstwagen im Park auf Inspektionstour. Dann hält er beispielsweise an einer Hainbuchenhecke, die im Herbst gesetzt wurde. Jetzt ist sie komplett abgestorben. „Die Karnickel“, seufzt Götte dann. Während des Winters haben sie die Rinde der Sträucher abgenagt. Nun muss er für 15 000 Euro neue Hecken pflanzen lassen.

Götte fährt weiter zum nahen Goldfischteich. Nachdem die Entlastungsstraße weg war, bot sich die Chance, das alte barocke Bild zurückzuholen, wie es gartenhistorisch aus den Tagen des ersten Tiergartengestalters, von Knobelsdorff, überliefert ist. Götte treibt dieses Projekt mit dem Bezirk und der Denkmalpflege voran. Er sagt, es sei für ihn eine Herzensangelegenheit. Rot blühende Kastanien ließ er in streng symmetrischer Reihenfolge rund um den Teich pflanzen, und freut sich. „Die wachsen prima an.“ Jetzt springt er über Pfützen hinweg zu Arbeitern auf einem Hügel am Ostrand des Teichs. Auch dort ist der Chefgärtner engagiert, macht eine weitere Epoche aus der Geschichte des Gartens wieder sichtbar. Es geht um die Zeit des Nachkriegstiergartendirektors Willy Alverdes. Oberhalb des Goldfischteiches schuf er einen Garten mit Steppenstauden. Später verkam diese Oase, nun wird sie neu angelegt. Die Arbeiter pflanzen gerade Minze. Götte markiert Setzlöcher, schwärmt schon vom Sommer, „wenn hier vieles in Blüte steht“. Dann muss er weiter zu den Wegebauern.

Im östlichen Tiergarten legt ein Bautrupp neue Spazierpfade an. Stehen Bäume im Weg, dürfen sie bleiben. Man muss um die Stämme künftig Slalom laufen. Das beredet Götte eben im Detail.

Sein nächstes Ziel ist ein Wäldchen an der Luiseninsel. Hier muss er Buchen suchen, die gefällt werden sollen. Viele gesunde Exemplare sind darunter. Der Chefgärtner stöhnt: „Das bringt uns wieder jede Menge Proteste ein.“ Aber der Park müsse verjüngt werden. Ende der vierziger Jahre hatten nur rund 600 Vorkriegsbäume die Verwüstung überlebt. 35 000 Buchen, Eichen und andere Arten wurden damals neu gepflanzt. Deshalb sind die meisten Bäume im Tiergarten heute 60 bis 70 Jahre alt. Ließe man sie alle unbehelligt, würde der Baumbestand in ferner Zukunft irgendwann gleichzeitig absterben.

20 Jahre am selben Arbeitsplatz und kein bisschen Langeweile. Nach Gärtnerlehre und Studium war der in Sachsen-Anhalt Geborene als Meister im Park tätig, bevor er dessen Leiter wurde. Götte und seine 100 Mitarbeiter sind zusätzlich fürs Grün im einstigen Bezirk Tiergarten zuständig. Aber der Große Tiergarten ist sein Favorit. Der sei schon für seine Vorgänger eine Herausforderung gewesen. „Hier müssen Sie Gärtnern, Naturschutz und Denkmalpflege übereinbringen.“

Plötzlich prescht ein junger Radler vor ihm über die Wiese. „Auf dem Weg bleiben!“, ruft er hinterher. Wie bringt man Besucher dazu, Parkregeln zu respektieren, Müll und Hundehaufen zu beseitigen? „Schwierig, schwierig“, sagt Götte. An der Straße des 17. Juni lässt er zumindest einen Zaun bauen, damit Besucher der Festmeile nicht durch den Park trampeln.

Manchmal nimmt Götte sich eine Auszeit. Dann genießt er an der Luiseninsel die Ornamente der Blumenteppiche, beobachtet den Habichthorst, oder er sucht sich ein Plätzchen an der Rousseau-Insel, hält nach Graureihern Ausschau und ist jedes Mal überrascht, wie still es im Tiergarten sein kann. In solchen Momenten versteht Jürgen Götte die alte Dame gut, die ihn seit 20 Jahren im Frühling anruft und fragt: „Blühen die Blausterne schon?“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false