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Zugeknöpft. Anna Sydow büßte ihre Liebe zum Kurfürsten.

© ullstein bild

Serie: Die Schöne und das Biest

Anna Sydow war die Konkubine des Kurfürsten Joachim II. 20 Jahre durfte sie im Jagdschloss Grunewald mit ihm leben. Als der Geliebte 1571 starb, wurde sein Sohn ihr zum Verhängnis: Er warf sie in den Kerker. Drum spukt ihr Geist im Treppenturm.

Von Andreas Austilat

Schon merkwürdig, dass es im Obergeschoss des Jagdschlosses Grunewald diese Tür gibt, die nirgendwohin führt – jedenfalls nicht nach unten. Die Treppe soll vermauert sein, ebenso wie der alte Ausgang im Erdgeschoss. So sei es seit Menschengedenken, versichern in der Schlossgeschichte bewanderte Experten. Und niemand habe je ernsthaft versucht, in das alte Gemäuer hineinzugelangen.

Kein Wunder also, dass es Gerede gab: Auf eben jener Treppe bleichen angeblich seit über 400 Jahren die eingemauerten Gebeine der Anna Sydow, im Volksmund auch „die Schöne Gießerin“ genannt. Und weil ihr Tod eine verdammte Ungerechtigkeit war, ist es nur folgerichtig, dass die schöne Anna den Nachfahren aus dem Haus der Hohenzollern seitdem als Untote vorzugsweise in Weiß erscheint. Übrigens an wechselnden Schauplätzen: mal im Jagdschloss Grunewald, dann wieder um den Juliusturm der Zitadelle, und – jedenfalls solange es noch stand – im Berliner Stadtschloss. Eingebrockt hat den Fluch dem Adelsgeschlecht ein Vorfahr aus dem 16. Jahrhundert: Joachim II., geboren 1505, Kurfürst von Brandenburg, Spitzname Hektor.

Joachims Herrscherbilanz liest sich in der Geschichtsschreibung ziemlich gemischt. „Offen für Freude und Vergnügungen“ heißt es da, „liebt den Aufwand und äußeres Gepränge“. Aber auch: „Die Wahrung des Friedens im kirchlichen und weltlichen Bereich, war das stete Anliegen Joachims.“ Heißt im Klartext: Der Fürst lavierte sein kleines Reich durch die Wirren der Reformation, ohne es sich mit den wirklich Mächtigen im Reich zu verderben. Was im 16. Jahrhundert – Luther hatte gerade erst seine Thesen an eine Wittenberger Kirchentür genagelt – nicht leicht war. Weniger vorsichtig war er beim Geldausgeben. Ganz Fürst der Renaissance, dessen Bedeutung an seinem Auftritt gemessen wurde, gab er für rauschende Feste und immer neue Bauten ungeheure Summen aus. Fünf Jahre nach Amtsantritt hatte er schon 1,15 Millionen Gulden Schulden angehäuft; als er 31 Jahre später starb, waren es viermal so viel. Was ihm den Ruf eintrug, unter Brandenburgs Kurfürsten der größte Verschwender gewesen zu sein, der sein Land an den Rand der Pleite führte. Seine märkischen Münzen jedenfalls wollte niemand mehr haben.

Immerhin bemühte er sich, seinen Untergebenen zu vermitteln, dass das Mittelalter nun langsam vorbei sei. In der von ihm verfassten Tischordnung legte er fest, an seiner Tafel dürfe niemand mehr den Nachbarn „mit Knochen und Gräten oder auch mit Brot und Fleischstücken bewerfen“.

Von seinen Bauten ist nicht viel geblieben. Unter ihm wurde die Spandauer Zitadelle zur Festung erweitert. Er verfügte 1542 den Bau des Jagdschlosses Grunewald, das seitdem freilich mehrfach verändert wurde. Und dann war da noch der Knüppeldamm, den er anlegen ließ, damit eben dieses Jagdschloss im Grünen Walde leichter erreicht werden konnte, der Weg wurde als Kurfürstendamm später berühmt.

Natürlich war Joachim verheiratet, zweimal sogar. Die erste Frau starb jung, die zweite, Hedwig, Tochter des polnischen Königs, brachte Geld in die Ehe. Vor allem war dem Kurfürsten am guten Verhältnis zu Polen gelegen, war er doch scharf auf das Herzogtum Preußen, mit dem er sein Kurfürstentum zu vergrößern gedachte. Hedwig hatte jedoch Riesenpech. Ihr Gemahl nahm sie mal wieder mit auf die Jagd, man nächtigte in Schloss Grimnitz in der Schorfheide, ein damals schon 300 Jahre alter, maroder Bau. Hedwig brach durch die morsche Decke und spießte sich eine Etage tiefer an den Jagdtrophäen auf. Danach ging sie an Krücken und litt zeitlebens unter Unterleibsschmerzen.

Joachim blieb unversehrt – hielt die Ehe aufrecht, suchte sich aber eine neue Jagdgefährtin. Das war so ungewöhnlich nicht. Schon Vater Joachim I. ließ sich auf ein außereheliches Verhältnis mit einer verheirateten Frau ein und schaffte es, Martin Luther auf sich aufmerksam zu machen, der einen geharnischten Brief schrieb. Allerdings an die Geliebte: „Pfui und aber pfui, welch ein schändlich, unverschämtes Ding.“

Joachim II. war zunächst vorsichtiger. Doch schließlich zeigte er sich mit seiner neuen Konkubine – so nannte man eine Geliebte in Fürstenkreisen – in aller Öffentlichkeit. Es war die 24-jährige Anna Sydow aus Grimnitz, jenem Ort, in dem Joachims Gemahlin durch die Decke gestürzt war. Und – Skandal! – auch Anna war verheiratet, hieß inzwischen nicht mehr Sydow, sondern Dieterich, ihr Gatte war der Geschütz- und Glockengießer Michael Dieterich. Der wurde genötigt, das Verhältnis zu dulden. Wahrscheinlich bekam er Geld, auf jeden Fall war ihm ein guter Posten sicher, der des Leiters der königlichen Gießerei in Grimnitz. Vielleicht wurde ihm auch gedroht. Solche Fälle hat es im 16. Jahrhundert gegeben. So hatte der Stallmeister des Herzogs von Württemberg seinem Herrn die Ehefrau nicht überlassen wollen und seine Hartnäckigkeit mit dem Leben bezahlen müssen.

Dieterich zog sich zurück und seine Anna bekam ein Schloss, jenes Jagdschloss Grunewald, in dem die kurfürstliche Geliebte 20 Jahre lang Wohnrecht genoss. Sie war es, die fortan mit dem Fürsten jagen ging, übrigens, sehr ungewöhnlich für die damalige Zeit, in Männerkleidung. Der Kurfürst zeugte mit Anna Sydow zwei Kinder, einen Sohn, der schon in jungen Jahren starb, sowie eine Tochter, die als Magdalene Gräfin von Arneburg durch Joachim geadelt wurde.

Es gab mindestens eine Person, die dieses ganze Treiben gar nicht schätzte und dies dem Fürsten wohl auch deutlich machte. Nein, nicht Hedwig, die Gemahlin des Fürsten, die sich mit ihrem Schicksal offenbar abgefunden hatte, sondern der Kurprinz, Johann Georg. Mehrfach setzte sein Vater Joachim II. das Thema auf die Tagesordnung, mal befahl er seinem Sohn, mal nötigte er ihm das Versprechen ab, die schöne Anna im Falle seines Todes zu schonen und zu schützen.

Doch als der Fürst 1571 mit 66 Jahren starb, ließ Johann Georg die Anna Sydow sofort verhaften und in den Juliusturm der Zitadelle Spandau sperren. Ihrer Tochter Magdalene wurde der Adelstitel entzogen, immerhin wurde sie mit einem fürstlichen Finanzbeamten verheiratet und ihr eine bürgerliche Existenz erlaubt.

Anna saß vier Jahre bis zu ihrem Tode in der Festung Spandau. Wie sie von dort in den Treppenturm des Jagdschlosses Grunewald gelangt sein soll, ist schleierhaft. Ihre geisterhafte Erscheinung entsprang wohl dem schlechten Gewissen der Hohenzollern. Das jedoch wirkte lange nach, noch der letzte Kaiser, Wilhelm II., verbot, den Treppenturm öffnen zu lassen.

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