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Berlin: Service für Sitzenbleiber

Man kann viel vom Auto aus erledigen. Ab heute auch den Spachtelputzkauf. In Neukölln öffnet Berlins erster Drive-In-Baumarkt

Nicht genug, dass man mit dem eigenen Pkw ganz nach Bedarf hierhin oder dorthin fahren kann, nein, es werden auch das Aussteigen, am Zielort herumgehen und etwas zum Auto tragen als belastend empfunden, was kundenorientierte Dienstleister aufgreifen. Drive-In, Drive-Thru, Reinfahren oder Durchfahren, so benennt seine Firma, wer auf den eiligen oder den bequemen Kunden abzielt.

Dass man in Waschstraßen mit dem Wagen fährt, liegt in der Natur der Sache. Dass man zum Bezahlen in einen Extrashop gehen muss, ist eigentlich unerhört. Wie man ohne Aussteigen mit Geld hantiert, macht längst die Raiffeisenbank Vispertal im Schweizer Wallis vor: Seit März 2003 gibt es dort den Drive-In-Bancomaten. In Hamburg wirbt der Drive-In-Bäcker fürs schnelle Brötchen ohne auszusteigen, und heute Morgen um sieben Uhr öffnet Hornbach in der Neuköllner Gradestraße Berlins ersten Drive-In-Heimwerkermarkt.

Vier Straßen führen durch eine riesige Halle, jede etwa 70 Meter lang, Helfer stehen bereit, Gegenverkehr ist möglich, bezahlt wird beim Rausfahren. Man möchte sagen: ein überfälliges Angebot. Wer hätte nicht, als er zuletzt, den Einkaufswagen voller Rindenmulch, Spachtelputz, flüssiger Raufaser oder Vliestapete mit Putzstruktur, mit verzinkten Gewinderohren und Trennwandplatten schnaufend durch die Gänge eines Baumarkts schlingerte, gewünscht, man könne hier einfach mit dem Auto durchfahren? Andererseits: Hat nicht gerade erst Bundesfamilienministerin Ulla Schmidt füßlings den Potsdamer Platz überquert, um für die Aktion „3000 Schritte“ zu werben, auf dass die Volksgesundheit sich verbessere?

Damit kommt sie wohl zu spät – angesichts der vielen Annehmlichkeiten, die dem Autofahrer vorbehalten sind, seit in den 30er Jahren in Denver der Burgerbräter Louis Ballast sein „Humpty Dumpty Barrel Drive-In“ eröffnete. Das ist natürlich der Klassiker. Vorfahren, bestellen, ums Häuschen fahren und auf der anderen Seite das Fastfood ins Cockpit gereicht bekommen. Dann gibt es das Autokino, in das es der BVG-Kunde nie schaffen wird. Da sitzt man im Auto, der Sound kommt aus dem Radio, man kann sich unterhalten, ohne angepflaumt zu werden, und mit Chipstüten rascheln (zum Beispiel im Autokino auf dem Festplatz am Kurt-Schumacher-Damm). Für den Briefe schreibenden Pkw-Fahrer gibt es dann noch den auf Autofensterhöhe herabgeschraubten Postkasten am Alexanderplatz, und es gibt die Drive-In-Kioske, wie man die Zeitungsverkäufer an den Straßen wohl nennen darf. Der Flughafen Tegel gilt übrigens als Drive-In-Airport, weil man die Abflug-Gates fast per Auto ansteuern kann. Noch mehr Ideen für Durchfahrangebote findet man in Amerika: die Drive-In-Hochzeit in Las Vegas, die Drive-In-Bibliothek, wo man gelesene Bücher in eine Box am Straßenrand schmeißen, nach demselben Prinzip funktionieren die Drive-In-Videotheken. Das ist praktisch, das ist bequem, das motiviert auch zum Mitmachen. Wie wäre es gleich für die nächsten Wahlen mit der Drive-In-Wahlstube, kurz abbremsen, Kreuzchen machen, und ab an den See. Auch dem hart umkämpften Drogerie- und Supermarktsegment kann man die Autobahnisierung der Ladenfläche nur wärmstens ans Herz legen. Man saust mit dem Kleinwagen durch die Regalstraßen und wirft auf die Rückbank, was man braucht, an der Kasse klettert die Angestellte hinzu und rechnet ab.

Hornbachs Drive-In (der vierte in Deutschland) richtet sich indes an den Kunden, der weiß, was er will; ist weniger eine Einladung zum ziellosen Herumkurven auf der Suche nach einem Schraubenset-Schnäppchen. Sollte sichspäter herausstellen, dass man das Eingekaufte später als überflüssig herausstellen, ist gegenüber gleich die Stadtreinigung. Sperrmüll-Drive-In sozusagen.

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