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Berlin: Sexualstraftäter: Trotz der Gefahr fehlen Therapieplätze

Zu Professor Beier kommen sie meist, bevor die Öffentlichkeit sie nur noch als Schrecken kennt. Ein Mann etwa, Ende 30, hegt den Wunsch, sich an einem Mädchen zu vergehen.

Zu Professor Beier kommen sie meist, bevor die Öffentlichkeit sie nur noch als Schrecken kennt. Ein Mann etwa, Ende 30, hegt den Wunsch, sich an einem Mädchen zu vergehen. Er läuft mit einem Messer durch die Stadt, "auf Streifzug", wie Beier berichtet. Und dieser Mann - um seine Gefahr für Kinder, aber auch für sich selbst zu vermindern - bittet um Therapie und stimmt sogar hochdosierten Medikamenten zu. Aber längerfristig behandeln kann ihn Beier, Leiter des Instituts für Sexualwissenschaften und Sexualmedizin an der Charité, nicht. Diesen und andere Fälle hat er gestern dem Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses geschildert, um auf die "dramatische" Unterversorgung mit Therapieplätzen in Berlin aufmerksam zu machen.

Auf Antrag der SPD befasste sich der Ausschuss mit der Frage, ob es in Berlin tatsächlich zu wenige Therapiemöglichkeiten für Sexualtäter gibt und wie eine solche Situation behoben werden könnte. Beier hatte seine Einschätzung bereits Mitte vergangenen Jahres in einem Alarmbrief an die Justizverwaltung ausgeführt. Gestern wies er darauf hin, dass seit Anfang 2000 bereits wieder 46 Patienten abgewiesen werden mussten. Neben dem geschilderten Fall berichtete Beier auch von einem 38-jährigen Familienvater, der wegen Missbrauchs seiner siebenjährigen Stieftochter eine Haftstrafe auf Bewährung erhalten hatte. Auch für ihn war kein Platz in der Therapie - obwohl seine neue Lebensgefährtin kleine Töchter hatte.

Während Beier auch angesichts einer hohen Dunkelziffer die Einrichtung weiterer ambulanter Therapieplätze und eine Stelle zur Koordination von Ambulanz, Bewährungshilfe und Justiz fordert, widerspricht ihm der Leiter des Instituts für forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Benjamin Franklin vehement. Professor Hans-Ludwig Kröber warnte gestern davor, überhaupt mit einer Dunkelziffer zu argumentieren. Ohnehin sei, so Kröber, nicht jeder Sexualtäter therapiewillig oder -fähig. Kröber plädiert dafür, für diejenigen, die eine Straftat begangen haben und auch therapiebereit sind, ausreichende Kapazitäten zu schaffen. "Es hat keinen Sinn", so Kröber, "sich in Dunkelfeldspekulationen über die Anzahl psychisch gestörter Sexualstraftäter in Berlin zu ergehen."

So sprach sich Kröber gestern dafür aus, eine zentrale Ambulanz für entlassene Strafgefangene und Entlassene aus dem Maßregelvollzug einzurichten. Nicht, wie sein Kollege Beier fordert, für potenzielle Täter. "Eine forensisch-psychotherapeutsche Ambulanz könnte (...) einen erheblichen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit leisten", hofft Kröber. Jetzt sind die Abgeordneten an der Reihe, ihre Schlüsse aus den Analysen der Experten zu ziehen. Die Anhörung wurde gestern jedoch ohne konkrete Beschlüsse beendet.

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