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Sägen, Ohrenschützer, Sechskantschlüssel: Werkzeuge im Leihladen "Leila" in Prenzlauer Berg.

© Ole Spata / dpa

Sharing Economy in Berlin: Die geteilte Stadt

Autos, Bücher, Bohrmaschinen: In Berlin muss man Dinge nicht mehr besitzen, um sie zu nutzen. Überall blüht die „Sharing Economy“ – als politische Bewegung und als Geschäftsmodell. Eine Erkundung in zehn Lektionen.

1. Was der Mensch braucht – und was nicht. Man weiß gar nicht, wo man im „Leila“ zuerst hingucken soll. In den drei Souterrain-Räumen am Teutoburger Platz in Prenzlauer Berg findet sich keine Ecke, die nicht vollgestellt wäre mit Kleiderständern, Werkzeugen, Küchengeräten, Bügeleisen, Gartenhockern, Gläsern, Ventilatoren, Spielen, Krams und Firlefanz. Ein Paar Krücken gibt’s auch, und das veranschaulicht wahrscheinlich wie kein anderer Gegenstand die Logik der sogenannten „Sharing Economy“: Was wird nicht alles – wenn überhaupt – nur wenige Wochen im Leben eines Menschen gebraucht und steht die übrige Zeit blöd im Weg rum? Warum nicht weitergeben nach Benutzung?

Wer im „Leila“ etwas mitnehmen möchte, muss es allerdings irgendwann zurückbringen: Der Name ist eine Abkürzung und steht für „Leihladen“. Jedes seiner Mitglieder, 725 sind es mittlerweile, darf sich nehmen, was gerade da ist. Besonders begehrt sind die Fahrräder. Und Werkzeuge wie die elektrische Bohrmaschine – noch so ein klassischer Fall, von dem auch die Britin Rachel Botsman, eine Vordenkerin des gemeinschaftlichen Konsums, in ihrem Standardwerk „What’s mine is Yours“ geschrieben hat: Die durchschnittliche Bohrmaschine sei auf dieser Welt im Schnitt nur 13 Minuten im Einsatz, heißt es da. Kein Privatmensch brauche eine eigene Maschine, nur ein Loch in der Wand. Äußerst beliebt war im „Leila“ auch die Flex. Allerdings wurde die kürzlich geklaut, jetzt warten die Betreiber darauf, dass jemand eine neue bringt.

Grundsätzlich gilt: Jeder kann so viele Gegenstände gleichzeitig ausleihen, wie er selbst dem Laden zur Verfügung gestellt hat. Aber es kommen ständig Menschen vorbei, die gar nicht selbst profitieren, nur Sachen schenken wollen. Wie gerade Kristina, Mitte zwanzig. Aus ihrem Stoffbeutel holt sie einen Stapel Kleider. Die sind ihr bloß zu eng geworden, sagt sie. Sind aber alle loch- und fleckenfrei. Das sei ganz typisch, sagt einer der Ladenbetreiber. Frauen lieferten brauchbare Klamotten. Männer trügen ihre dagegen so lange, bis sie wirklich zerschlissen seien.

Noch gar nie ausgeliehen wurden übrigens das Faxgerät und die schwarze Box mit der Aufschrift „Erno Scoper“, die eignet sich für das Sichten alter Super-8-Filme. Das Ding wird jetzt ausrangiert.

2. Zusammenrücken. Bei der Lektüre von Willy Brandts „Der Wille zum Frieden“ muss jemand ordentlich Kaffee verschüttet haben. Eco und Simmel befinden sich in tadellosem Zustand. Bei Donna Leons „Endstation Venedig“ ist Seite 83 lose, der Vorbesitzer hat sie an der richtigen Stelle beigelegt. An die 200 Romane und Sachbücher stehen hier am Charlottenburger Mierendorffplatz in der Telefonzelle. Es ist eine von den alten Gelben, Modell „TelH78“. An der Wand, an der sich einst das Telefon befand, sind jetzt Regalbretter aus Metall befestigt. Alle Bücher, die auf ihnen stehen oder liegen oder irgendwie noch dazwischengequetscht wurden, dürfen mitgenommen werden – Wiederbringen optional. Die Zelle ist wie die Miniatur-Ausgabe einer Bibliothek, bloß ohne Mitgliedsausweise und ohne Mahngebühren, wenn man sich entscheidet, das Buch noch länger zu behalten oder auch gern für immer. Auch das ist „Sharing Economy“.

Heute klopft es aufs Dach der Zelle. Das ist der Regen. Draußen fährt eine Frau mit dem Fahrrad vor, sie steigt ab und schaut ein bisschen neidisch durch die Fensterscheibe ins Trockene. „Wollen Sie auch hier rein? Na, kommen Sie ...“ Tür zu. Ganz schön eng zu zweit in einer TelH78. Aber gemütlich. Die Frau heißt Ilse Kiehling und sagt, sie wohne gleich gegenüber und gehöre zu dem Team von Freiwilligen, das die umgenutzte Zelle in Schuss hält. Was gar nicht so einfach sei. Allein schon, den Nachschub adäquat in den Regalen unterzukriegen. Zum Konzept der sogenannten Bücherboxx gehört nämlich auch, dass jeder hier seine gebrauchten Bücher spenden kann, sofern noch in tolerierbarem Zustand. Erst vergangene Woche stellte ein Unbekannter drei volle Kisten mit Kinderbüchern auf dem grünen Kunstteppichboden ab. Da musste Frau Kiehling quetschen.

Die Zelle ist rund um die Uhr geöffnet, nachts gehen an der Decke kleine Lampen an. Eine Aufsicht gibt es nicht. Wird hier denn gar nicht randaliert? Nein, sagt Ilse Kiehling, das sei schon erstaunlich. Auf dem Mierendorffplatz werde schließlich mit Drogen gedealt. Aber die Umsonstbibliothek lassen sie alle in Ruhe.

3. Den Überfluss erkennen. Tütenweise Bio-Brötchen hat Raphael Fellmer vergangene Woche auf der Webseite Foodsharing.de angeboten. Der 30-jährige Familienvater hatte nicht etwa zu viel eingekauft – er hatte so viele Brötchen geschenkt bekommen. Von einer Vollkornbäckerei, auf dem Wochenmarkt in Zehlendorf. Noch am selben Tag kamen ein paar Nachbarn zu ihm, Studenten, sie holten die Brötchen ab, die seine vierköpfige Familie nicht essen konnte.

Raphael Fellmer ist ein extremer Fall: Im Januar 2010 beschloss er, komplett ohne Geld zu leben, suchte fortan regelmäßig in der Nacht in den Containern von Lebensmittelläden nach aussortierter Nahrung. „Ich habe einen Master im Tonnentauchen“, sagt er heute. Schon beim ersten Mal fand er mehr Lebensmittel, als er essen konnte. Er verteilte das Übriggebliebene an Freunde, Nachbarn, Bedürftige. Und ihm gingen die vielen Läden nicht mehr aus dem Kopf, in deren Containern keiner nach Lebensmitteln suchte. Er fasste einen Plan: Er wollte die aussortierten Produkte auch solchen zugänglich machen, die, im Gegensatz zu ihm, keine Lust hatten, nachts in Tonnen zu wühlen. Vor zweieinhalb Jahren bot ihm dann der Geschäftsführer der Supermarktkette Bio Company an, die aussortierten Lebensmittel tagsüber und ganz offiziell abzuholen. Fellmer suchte Mitstreiter und hatte bald um die hundert Leute gefunden. Sie nannten sich Lebensmittelretter.

Etwa zur selben Zeit, im Frühjahr 2012, erfuhr Raphael Fellmer von foodsharing.de. Valentin Thurn, ein Dokumentarfilmer, der mit dem Film „Taste the Waste“ den Wegwerfwahn der Ersten Welt angeprangert hat, bastelte gerade in Köln mit einem Team an der Webseite. Privatleute sollten dort Gemüse, Obst, Milch und Joghurt, alles, was sie zum Beispiel vor dem Urlaub nicht mehr essen konnten, Menschen aus ihrer Umgebung anbieten können. „Ich dachte sofort: Das ist das perfekte Pendant zu uns Lebensmittelrettern“, sagt Fellmer. Wochen später war er Teil des Foodsharing-Teams. Er warb die Bio Company als Unterstützer, präsentierte Foodsharing bei Vorträgen, fand einen Entwickler, der die Seite Foodsharing.de ehrenamtlich programmierte. Im Dezember sollen die Webseiten von foodsharing.de und lebensmittelretten.de fusionieren.

Mehr als 1100 Betriebe geben den Lebensmittelrettern derzeit ihre aussortierte Ware, in den vergangenen zwei Jahren haben die Retter rund eine Million Kilo Lebensmittel entgegengenommen. In Berlin gibt es zehn sogenannte Fair-Teiler-Umsonstläden, soziale Einrichtungen, in denen man Lebensmittel abholen und abgeben kann, nicht alle haben allerdings einen Kühlschrank. Und natürlich kann jeder Lebensmittel von Mitstreitern auch direkt in der eigenen Küche abholen lassen. Für jeden Fair-Teiler gibt es einen Verantwortlichen, der regelmäßig überprüft, ob die Hygiene und die Foodsharing-Regeln eingehalten werden. Sensible Lebensmittel wie Fisch, Fleisch und Eierspeisen, die ein Verbrauchsdatum haben, darf man zum Beispiel nicht anbieten, verdorbene Nahrung sowieso nicht.

„Regelmäßige Nutzer der Foodsharing-Seite sind Menschen, die bewusst mit Lebensmitteln und Ressourcen umgehen wollen“, sagt Raphael Felder. Allerdings: Viele der deutschlandweit 60 000 Nutzer probieren Foodsharing auch nur einmal aus, machen dann nicht mehr mit. „Ich fürchte, viele werfen die Sachen doch lieber in den Müll, weil ihnen der Aufwand zu groß ist.“ Foodsharing sei eben auch ein Lebensentwurf.

Carsharing als Statussymbol

4. Die ideale Stadt? Ein simpler Gedanke, aber einer mit Strahlkraft: Nicht der Besitz sei entscheidend, sondern der Zugang zu etwas. Diese Grundüberzeugung eint alle Anhänger der „Sharing Economy“, einer Bewegung, die glaubt, dass Teilen die Welt verbessern kann, zumindest den eigenen Alltag. Es ist weit mehr als ein Trend. Denn Trends gehen auch wieder, und das ist hier nicht zu erwarten. Harald Heinrich, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Uni Lüneburg, schätzt, dass schon 14 Prozent der Deutschen auf die eine oder andere Art in den Sharing-Kosmos eingestiegen sind. Zur „Sharing Economy“ gehören private Initiativen und gemeinnützige Vereine ebenso wie Start-ups, die vor allem auf Umsatz aus sind. Unter Letzteren haben sich einige bereits zu hochprofitablen Unternehmen entwickelt. Besonders in den USA, im Großraum San Francisco, herrscht Sharing-Goldgräberstimmung.

Das „Time Magazine“ hat die Parole „Zugang statt Besitz“ als eine der Ideen bejubelt, die unseren Planeten radikal verändern werden. Kritiker fürchten, die Ökonomie des Teilens schade bloß dem Sozialstaat, weil sie Arbeit dereguliere, Arbeitnehmerrechte umgehe, Gewerkschaften entmachte, Schwarzarbeit fördere. Die Anhänger glauben, sie sei die einzig mögliche Antwort auf Konsumwahn und Ressourcenvernichtung. Harald Heinrich, der Professor, sagt, dass es den Befürwortern nicht allein ums Sparen gehe. Teilen stärkt die sozialen Beziehungen und macht ein gutes Gewissen. In Berlin boomt die „Sharing Economy“ in allen Bereichen. Leben wir in der Hauptstadt des Teilens? Ein Grund dafür könnte sein, dass die Berliner besonders geübt darin sind, hinzunehmen, wenn etwas nicht ganz und gar perfekt ist. Wenn ein Buch Eselsohren hat oder ein Gebrauchsgegenstand eine Macke. Weil die Menschen hier daran gewöhnt sind, dass mal etwas dreckig oder reparaturbedürftig ist oder sonst wie nervt. Weil das ihre Stärke ist: Wer hier lebt, hat gelernt, sich zu arrangieren.

5. Neue Statussymbole. Erst wenn man selbst Mitglied eines Carsharing-Dienstes ist, fällt einem auf, wie viele Leihautos bereits auf Berlins Straßen unterwegs sind. Allein 755 von den kleinen Weißen und 900 von den dunklen mit türkisfarbenem Stadtplanaufdruck. Die einen heißen Car2Go, die anderen DriveNow, gemeinsam haben sie: Sobald man am Ziel ist, kann man das Auto einfach abstellen und Tschüss sagen – solange es nicht im Haltverbot steht oder außerhalb des Geschäftsbereichs des jeweiligen Anbieters. „Free Floating“ heißt das Prinzip, und weil es billiger als Taxifahren ist (aber teurer als der Bus), gewinnen die Anbieter stetig an Kundschaft. Den größten Spaß gibt es gratis dazu: Vor Beginn der Fahrt wird man aufgefordert, die Sauberkeit des Vornutzers zu bewerten. Wenn der durch den Matsch gefahren oder auf den Beifahrersitz gekrümelt hat, soll man das dem Computer anzeigen. Das könnte man Aufforderung zur Denunziation nennen. Trotzdem macht es schwer süchtig. Manche begreifen ihre Free Floating Cars auch als Statussymbole: Seht her, ich gehöre zu den Klugen, und zu den Bequemen allemal. Vom Erfolg in Deutschland angestachelt, versucht Car2Go jetzt übrigens auch in den USA Fuß zu fassen. Am heutigen Samstag startet eine Fahrflotte im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Die kriegen aber erst mal nur 400 Autos.

6. Wohnen und wohnen lassen. Die Berliner Fotografin Jana Leglin, 34, wollte günstig reisen und unterwegs Einheimische kennenlernen. Deshalb hat sie sich vor fünf Jahren bei der Webseite „Couchsurfing“ angemeldet, dafür zahlte sie einmalig 19 Euro. Sie hat in Malmö, Kopenhagen, Utrecht, London, Bristol und an mehreren Orten in Neuseeland auf der Couch von Fremden übernachtet, kostenlos. 15 Mal hat sie seitdem einen Fremden auf dem Gästebett ihrer Berliner Wohnung übernachten lassen, ebenfalls gratis.

Arno, 29, wollte Geld fürs Reisen haben. Deshalb inserierte der selbstständige Künstler seine Kreuzberger Wohnung vor drei Jahren auf der Seite Airbnb. Etwa drei Mal im Jahr hat er seitdem Fremden seine Zwei-Zimmer-Wohnung überlassen und ist mit dem verdienten Geld in den Urlaub geflogen. Die Unterkunft buchte er meist auch über Airbnb. Zuletzt war er in Barcelona, in Kapstadt hat er sogar einen ganzen Monat verbracht. „Mit dem Geld aus den Mieteinnahmen konnte ich immer die komplette Reise bezahlen“, sagt er und klingt selbst ein wenig erstaunt.

Sowohl Couchsurfing als auch Airbnb werben damit, ein Zuhause in der Fremde anzubieten. Sie stehen aber für zwei völlig unterschiedliche Aspekte der Ökonomie des Teilens. Jana Leglin will eine Welt, in der Geld immer unwichtiger wird. Arno ist dank Airbnb zum Miniunternehmer geworden, er hat sich finanziell unabhängig gemacht. Airbnb nutzen aber auch große Immobilienbesitzer. Sie erwirtschaften mit der Plattform und ihrem Wohnraum viel Geld. Airbnb ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass die „Sharing Economy“ auch Gefahren birgt – sofern sie missbraucht wird und so zum Beispiel hilft, dringend benötigten Wohnraum in einer Stadt zum Luxusgut für Weltreisende zu machen.

Gerade hat San Francisco ein Regelwerk speziell für Airbnb-Anbieter verabschiedet. Es könnte den Share-Charakter der Plattform retten, denn es schränkt die Gewinnmarge ein. Ganze Wohnungen dürfen nicht länger als 90 Tage im Jahr vermietet werden, und man braucht eine Lizenz. New York arbeitet noch an einem Gesetz, um Airbnb zu bändigen. Man wolle nicht so werden wie Berlin, sagte eine Senatorin, kürzlich in dem Zusammenhang. Dort seien ganze Stadtteile nicht mehr für den Mietmarkt verfügbar, weil nicht die richtigen Gesetze in Kraft waren.

Seit Mai gilt in Berlin das „Zweckentfremdungsverbot“, seitdem müssen Vermieter Ferienwohnungen beim Bezirksamt melden, ob Airbnb-Miniunternehmer wie Arno dazugehören, ist nicht klar. Sprecher Julian Trautwein sagt: „Im Berliner Gesetzestext ist der Abschnitt zu Ferienwohnungen leider unklar formuliert. Wir wissen einfach nicht, welche Regeln für Airbnb-Gastgeber gelten.“ Arno vermietet also wie bisher, wie 10 000 andere Berliner. Seinen Nachnamen will er wegen der unklaren Gesetzeslage lieber nicht in der Zeitung lesen. Nicht nur Arno verdient übrigens, wenn er seine Wohnung untervermietet. Drei Prozent des vom Vermieter aufgerufenen Preises behält Airbnb ein. Sein Gast zahlt sogar zehn Prozent Aufschlag auf den Preis an das Unternehmen.

Die Schwarzfahrer-Versicherung

7. Wie weit darf man gehen? „Busse, S- und U-Bahnen sollte jeder kostenlos nutzen können. Solange das nicht so ist, fahren wir ohne Ticket und teilen uns die Kosten für die Strafe.“ So lautet das Gründungsstatement einer links-anarchischen Berliner Gruppe. Die etwa 50 Mitglieder organisieren gerade eine Art Schwarzfahrer-Versicherung. Jedes Mitglied zahlt zehn Euro pro Monat, mit diesem Geld werden ihm, bei zwei Treffen im Monat, die bezahlten Strafen erstattet. Jeder so Versicherte trägt die 40 Euro, die bei Kontrollen fällig werden, stets bar bei sich, damit die Personalien nicht aufgenommen werden müssen.

Es ist nicht die erste Berliner Schwarzfahrer-Versicherung. Alle früheren Initiativen wurden allerdings irgendwann von der Polizei unterbunden, mit dem Argument, es handele sich um eine kriminelle Vereinigung. In Deutschland ist es eine Straftat, öffentliche Verkehrsmittel ohne Fahrausweis zu nutzen. Deshalb will auch niemand öffentlich über das aktuelle Projekt reden.

In Schweden existiert seit 13 Jahren ganz offiziell eine Versicherung fürs Schwarzfahren, sie heißt P-Kassan, Freie-Fahrt-Versicherung, 500 Menschen nutzen sie. Das geht, weil Fahren ohne Ticket dort nur eine Ordnungswidrigkeit ist. Auch in Schweden ging die Initiative übrigens von einer anarchistischen Gewerkschaft aus.

In Berlin kann man sich immerhin ganz legal Tickets teilen. Wer eine Umweltkarte besitzt, kann montags bis freitags nach 20 Uhr einen Erwachsenen und drei Kinder mitnehmen, am Wochenende und an Feiertagen ganztägig. Mit der Initiative Ticketteilen bewirbt der Verein „Naturfreunde Berlin“ diese Möglichkeit. Mitglieder haben bisher 15 000 Buttons verteilt, mit dem Schriftzug „Ticketteilen“ drauf und einem Strichmännchen, das von einer Hand in die Bahn gezogen wird. Menschen mit Umweltkarte sollen die Buttons tragen und so potenzielle Mitfahrer auf sich aufmerksam machen. Demnächst sollen sich Umweltkartenbesitzer und Mitfahrer auch auf der Webseite ticketteilen.org verabreden können.

8. Der Zeitfaktor. Gute Ideen brauchen manchmal, bis sie sich durchsetzen. So ist das auch bei der Sharing Economy, sagt Arnold. Er ist ein Veteran der Berliner Szene, hat schon vor zehn Jahren mitgeholfen, den Umsonstladen in der Brunnenstraße am Laufen zu halten. Das Projekt habe damals so manchen irritiert, ja befremdet. Ein Drittel der vorbeigebrachten Klamotten war unbrauchbar war oder zu dreckig und wurde entsorgt. Das habe sich stark gewandelt, der Nachhaltigkeitsgedanke habe die Mitte der Gesellschaft erreicht. Allerdings hänge der Erfolg der Sharing Economy auch damit zusammen, dass die Notwendigkeit zum Teilen gewachsen sei – weil die Ärmeren zugleich immer ärmer würden. Noch zehn Jahre weiter, und Teilen wird hoffentlich das Normalste der Welt sein, sagt Arnold. Das Notwendigste sei es schon jetzt.

9. Aus Leihen kann Kaufen werden. „Unser zweijähriger Sohn saß an Weihnachten zwischen seinen neuen Spielsachen und rührte nichts an“, sagt Desirée Hensellek, „auch in den Tagen danach spielte er nicht richtig damit.“ Sie glaubt, er war von den vielen Sachen völlig überfordert. Sie sortierte einiges aus und bat ihre Verwandten, künftig keine Spielsachen mehr zu schenken, sondern lieber „praktische Dinge, die er brauchen kann“. Klamotten, Bücher. Mit der „Sharing Economy“ hatte sie sich bisher nicht viel beschäftigt, ein paar genutzte Mitfahrgelegenheiten, mehr nicht. Im Sommer erfuhr Hensellek dann von „Meine Spielzeugkiste“, als sie im Fernsehen die Start-up-Show „Die Höhle der Löwen“ sah. Der Gründer warb dort um Geldgeber für sein Unternehmen, das Familien Spielzeug auf Zeit anbietet. Hensellek dachte: „Das ist genau das, was ich brauche.“ Vor zwei Monaten bestellte sie die erste Spielzeugkiste, eine Eisenbahn mit Schienen, eine kleine Kasse zum Kaufmannspielen, ein Spielzeug für die Badewanne. Ihr Sohn habe sich auf die Sachen gestürzt, bis heute habe er die Lust nicht verloren. Wenn er an einem Spielzeug hängen sollte, würde sie es ihm kaufen, sagt sie. Das geht nämlich bei „Meine Spielzeugkiste“. Am liebsten wäre ihr aber, sie könnte alle drei Sachen zurückzuschicken, sobald das Interesse des Sohnes nachlässt. Sonst wäre ja nicht viel gewonnen nach dem Weihnachtsfiasko von damals.

10. Firma oder Philosophie. Lange bevor Marko Dörre die Seite „fairleihen.de“ gründete, hat er sich mit Freunden Dinge geteilt. Eine Bohrmaschine zum Beispiel hat er nie besessen, wenn er eine brauchte, borgte er sie sich. Wenn einer seiner Freunde einen Heimkinoabend organisierte, verlieh Dörre seinen Beamer. Vor zwei Jahren fragte er sich: „Wieso soll ich nur Freunden Dinge leihen? Wieso nicht auch meinen Nachbarn?“ Kurz davor hatte er einen Vortrag der Teilen-Pionierin Rachel Botsman gehört. Die sprach aus, was Dörre schon lange dachte und lebte. Er konzipierte die Plattform fairleihen.de. „Viele segeln heute unter der Flagge der Sharing Economy“, sagt er. „Aber es gibt sehr unterschiedliche Ansätze, mit sehr unterschiedlichen Zielen.“ Dörre unterscheidet zwischen dem profitorientierten Silicon-Valley-Ansatz und dem lokalen konsumkritischen Ansatz. „Manche Firmen wollen mit dem Sharing-Gedanken Geld verdienen, andere, wie ich, wollen das Konsumverhalten ändern.“ Dörre versucht schon lange, seinen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, möglichst wenig Müll zu produzieren. Mit fairleihen.de will er sein Lebenskonzept verbreiten. „Ich will nicht die Moralkeule schwingen, von meiner Philosophie ist auf der Seite nichts zu lesen“, sagt er. „Ich möchte einfach, dass möglichst viele Menschen das Angebot nutzen.“ Zurzeit bieten etwa tausend Menschen 1281 Dinge an. Wer mitmachen will, muss drei Dinge zum Verleihen anbieten, bevor er selbst ausleihen kann. So soll garantiert werden, dass, wer ausleiht, sorgsam mit den Gegenständen umgeht.

Marko Dörre ist eigentlich Anwalt, fairleihen.de organisiert er komplett in seiner Freizeit. Er hat eine gemeinnützige GmbH gegründet, die Seite finanziert sich über Spenden, vor allem über Sachspenden. Die Programmierer haben die Seite günstig entwickelt, auch die Grafiker haben nicht den üblichen Preis berechnet. Den Großteil der Kosten trägt Dörre zurzeit noch selbst. Werbung soll es trotzdem in keinem Fall geben. „Ich will die Leute ja nicht zum Konsum aufrufen.“

Alle Adressen und Kontakte

CARSHARING
In Berlin gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Anbietern, die sich auf das „Free Floating“-System spezialisiert haben – also die Möglichkeit, per App das nächstgelegene parkende Auto der jeweiligen Flotte aufzuspüren und dieses nach der Fahrt einfach irgendwo abzustellen. Neben Car2go und DriveNow buhlen auch CiteeCar, Spotcar, Cambio, Flinkster und Multicity um Mitglieder. Eine Übersicht über Preise und Standorte findet sich auf der Internetseite www.carsharing-berlin.de.

UBER
Das Unternehmen gehört aktuell zu den umstrittensten Projekten der „Sharing Economy“. Über die Seite www.uber.com oder die entsprechende App kann man sich einen privaten Fahrer organisieren, der einen abholt und ans gewünschte Ziel bringt – wie ein Taxi, bloß billiger. 20 Prozent des Fahrpreises geht dabei an Uber. Die Taxibranche fürchtet Verdrängung, in Deutschland haben sich bereits mehr als 12.000 Fahrer registriert. Nach Rechtsstreitigkeiten hat das Unternehmen erklärt, es verstehe sich nicht als Taxi-Unternehmen, sondern als Mitfahrzentrale. Und es senkte die Preise: In Berlin müssen Kunden pro Kilometer nur noch 35 Cent zahlen.

COUCHSURFING
Couchsurfing ist längst kein Geheimtipp mehr: Bis heute haben sich drei Millionen Menschen aus weltweit 81.500 Städten auf dem Portal www.couchsurfing.org registriert, um den Übernachtungsdienst zu nutzen. Wer statt im Hotel auf Couch oder Gästebett eines anderen Mitglieds übernachtet, spart nicht nur Geld, sondern hat oft gleich einen Stadtführer zur Hand.

AIRBNB
Die Abkürzung steht für „airbed and breakfast“, auf Deutsch: „Luftmatratze und Frühstück“. Auf der Seite www.airbnb.de bieten Menschen ihre Wohnung oder einzelne Zimmer tageweise zur Vermietung an. Unter den knapp eine Million Übernachtungsmöglichkeiten findet man auch Schlösser, Baumhäuser, Leuchttürme, Hausboote und prunkvolle Villen. Wer etwa diesen Sonntagabend noch eine Übernachtungsmöglichkeit in Berlin sucht, hat die Auswahl: Ob Zimmer mit Doppelbett am Helmholtzplatz für 88 Euro, die Gästecouch in Alexanderplatz-Nähe für 35 Euro oder ein ganzes Apartment in der Friedrichstraße für 190 Euro – alles ist möglich.

FOODSHARING
Auf der Internetplattform www.foodsharing.de findet man eine Datenbank mit Suchfunktion, in der überschüssige Lebensmittel angezeigt und zur Abholung freigegeben werden können. Das aktuelle Angebot in Berlin reicht von Backwaren über Brausepulver bis zu Chinagemüse süß-sauer im Glas.

MUNDRAUB
Auf der Seite www.mundraub.org sind auf einem interaktiven Stadtplan hunderte Berliner Orte angegeben, an denen man sich bei wild wachsenden Bäumen und Sträuchern bedienen kann – farblich unterteilt in Kategorien wie „Obstbäume“, „Nüsse“ und „Kräuter“. Inklusive Bildern und konkreten Beschreibungen.

KLEIDERKREISEL
Wer sich nach modischer Abwechslung sehnt, kann auf der Onlineseite www.kleiderkreisel.de eigene Oberteile, Hosen, Kleider und Accessoires
gegen die von anderen Interessierten eintauschen. Alle Teile werden mit Fotos und kleinen Texten beschrieben. Auch Kaufen ist oft möglich. Im Forum geben sich Nutzer gegenseitig Stylingtipps. Inzwischen gibt es mehr als 300.000 Mitglieder.

BERLINER BÜCHERTISCH
Das Gemeinschaftsprojekt betreibt an acht Orten in der Stadt sogenannte „Verschenkregale“, in denen gespendete, gut erhaltene Bücher zur Mitnahme bereitstehen. Jeden Tag finden so 300 Werke einen neuen Besitzer. Regale stehen unter anderem im Foyer des Kreuzberger Rathauses (Yorckstraße 4), im Café Pavillon am Boxhagener Platz in Friedrichshain, in der Pistoriusstraße 16 in Weißensee sowie in der Brückenstraße 12 in Rüdersdorf. Die komplette Adressliste findet man im Internet unter www.buechertisch.org.

BÜCHERBOXX
Das Projekt unterhält mehrere ausrangierte Telefonzellen, in denen gelesene Bücher abgelegt und nach Belieben mitgenommen werden können – unter anderem am Mierendorffplatz in Charlottenburg. Weitere Zellen befinden sich in der Gustav-Adolf-Straße 66 in Weißensee, am Markusplatz in der Liliencronstraße in Steglitz und auf dem Földerichplatz in Spandau. Am S-Bahnhof Grunewald steht, in der Nähe zum Mahnmal „Gleis 17“, eine Bücherboxx mit Bänden zu den Themen Drittes Reich, Widerstand, Deportation und Jüdisches Leben. Anfang November wird eine „Bücherboxx Mauerfall“ in der Bernauer Straße 117 in Mitte installiert. Noch bis zum 25. November steht auf dem Allmendebereich im Tempelhofer Feld eine „Bücherboxx Luftbrücke“. Mehr Infos unter www.buecherboxx.wordpress.com.

BOOKCROSSING
Die Aktivisten von www.bookcrossing.de setzen ihre Bücher einfach irgendwo im Stadtraum aus, lassen sie auf Parkbänken, in Kneipen oder in der U-Bahn liegen. Weil jedes Buch einen Registrierungscode hat, kann der Finder anschließend auf der Webseite nachsehen, wer den Band ausgesetzt hat, und über die Website in Kontakt mit Gleichgesinnten kommen. In Berlin sind derzeit hunderte Bücher im Umlauf.

MEINE SPIELZEUGKISTE
Auf dieser Onlineplattform kann man Figuren, Spiele und Zubehör von Marken wie Playmobil, Ravensburger, Lego, Duplo, Fisher Price und anderen Herstellern ausleihen und so lange behalten, wie man möchte. Wenn etwas so gut gefällt, dass man es nicht wieder hergeben möchte, kann man es auch kaufen. Die Starterbox kostet fünf Euro, mehr Infos unter www.meinespielzeugkiste.de.

HIKK
Das Projekt „Holz im Kreativkreislauf“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, überflüssiges Bauholz kostenlos neuen Besitzern zuzuführen. Aktuelle Angebote findet man unter hikk.mixxt.de.

LEILA
In dem Leihladen in der Fehrbelliner Straße 92 in Prenzlauer Berg kann man sich Unmengen Werkzeug und Haushaltsgegenstände, neuerdings auch Halloween-Kostüme borgen. Geöffnet ist Montag und Dienstag 15–19 Uhr, Mittwoch 15–18 Uhr sowie Freitag 16–19 Uhr. Weitere Infos unter www.leila-berlin.de oder telefonisch unter der Nummer 0176-56716303.

ULA – DIE ERSTE UMSONSTLÄDIN
Hier kann jeder mitnehmen, was er gerade braucht – unabhängig davon, ob er selbst einen eigenen Gegenstand dortlässt. Man findet den Umsonstladen am Einsteinufer 25 in Charlottenburg, geöffnet ist Dienstag 16–19 Uhr, Mittwoch 17–19 Uhr, Donnerstag 15–18 Uhr und nach Absprache. Mehr Infos gibt’s im Internet unter ula.blogsport.de oder per Telefon unter 31 42 32 92. Achtung: Röhrenmonitore, Möbel, VHS-/Musikkassetten oder verderbliche Sachen werden nicht angenommen.

TAUSCHMOBIL
Zwei Mal pro Woche öffnet der schwarze Lastwagen seine Türen – alles, was sich drin befindet, kann kostenlos mitgenommen oder gegen Mitgebrachtes eingetaucht werden, auch Schenkungen sind willkommen. Jeden Donnerstag von 10 bis 15 Uhr auf dem Markt der Kulturen auf dem Leopoldplatz in Wedding, jeden Samstag von 10 bis 16 Uhr auf dem Wochenmarkt in der Seelower Straße in Prenzlauer Berg. Das Angebot reicht von Spielzeug über Küchengeräte, Musikinstrumente und Sportartikel bis zu Kleidung. Weitere Infos unter www.tauschmobil.de.

UMSONSTLADEN TAU
Auch die Grundschule im Beerwinkel, Im Spektefeld 31 in Spandau, betreibt einen Umsonstladen, gerade wurde er mit einem Demokratiepreis ausgezeichnet. Zur Auswahl stehen unter anderem Bücher, Spielzeug und Kleidung. Weitere Infos und Kontakt unter www.beerwinkel.de.

ULK
In der Kreuzkirche in der Zeppelinstraße 11 in Spandau verwandelt sich das Foyer-Café jeden letzten Samstag des Monats von 15 bis 17 Uhr in einen Umsonstladen. Überwiegend wird Kleidung angeboten, dazu Haushaltsartikel und Spielzeug. Kontakt per Mail an ulk-info@online.de.

UMSONSTLADEN WEISSENSEE
In Weißensee befindet sich ein Schenk- und Tauschort auf dem Gelände des Kultur- und Bildungszentrums in der Bernkasteler Straße 78. Geöffnet ist Dienstag 9-12 Uhr sowie 15-18 Uhr, Mittwoch 17-20 Uhr und Donnerstag 16-19 Uhr. Weiteres im Internet unter der Adresse www.kubiz-wallenberg.de.

UMSONST BOUTIQUE
Im Erdgeschoss des Unabhängigen Jugendzentrums Pankow hat der Gratis-Laden von Montag bis Freitag 9.30-15 Uhr (außer in den Schulferien) sowie am Montag, Dienstag, Donnerstag und Sonntag jeweils ab 20 Uhr geöffnet. In der Florastraße 84, weitere Infos unter www.jup-ev.org.

SCHENKFLOHMARKT
Seit einem Jahr findet in Pankow einmal monatlich der sogenannte Schenkflohmarkt statt, der nächste ist an diesem Sonntag, von 16 bis 18 Uhr im Jugendkulturzentrum „Garage“, Hadlichstraße 3. Sich informieren und anmelden kann man unter 0176-20 45 59 55 oder online unter www.garagepankow.de. Achtung: Nichtverschenktes muss am Ende wieder mitgenommen werden.

VERSCHENKMARKT
Die BSR hat eine Online-Plattform geschaffen, auf der überflüssige Geräte, Möbel und andere Gegenstände zum Verschenken angeboten werden – inzwischen kommen jeden Monat mehrere tausend hinzu. Gerade neu inseriert: ein beleuchtbarer Globus, ein Internet-Router und ein Korb. Alle Angebote unter www.bsr-verschenkmarkt.de.

SCHENKLADEN
Auch in Friedrichshain gibt es einen Laden, in dem Kleidung und Alltagsgegenstände mitgebracht oder mitgenommen werden können: Er liegt in der Jessnerstraße 41 und hat Dienstag 16-19 Uhr, Mittwoch 16-19 Uhr und Donnerstag 16-19 Uhr geöffnet. Kleidung darf nur gewaschen abgegeben werden, PCs müssen wenigstens 1 Gigahertz schnell sein, bei Büchern bitte nur Klassiker oder aktuelle Titel. Mehr Infos unter 98 32 37 36 oder im Internet unter der Adresse www.systemfehler-berlin.de.vu.

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