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Berlin: Siamesische Zwillinge getrennt: Ein Baby überlebt

Charité-Ärzte operierten am Bauch zusammengewachsene Jungen. Eltern kamen zur Geburt von Regensburg nach Berlin

Die Hoffnung für die jungen Eltern sank von Arzt zu Arzt. Einer nach dem anderen wiederholte: Die Zwillinge, die im Bauch ihrer 23 Jahre alten Patientin heranwuchsen, haben keine Chance! Die Jungen sind am Bauch miteinander verwachsen – siamesische Zwillinge. Doch das Paar aus Regensburg will die Kinder nicht aufgeben. Schließlich finden sie an der Berliner Charité einen Spezialisten, der ihnen wieder etwas Hoffnung gibt. „Einer der beiden kann überleben“, sagte Rainer Bollmann, Leiter der Charité-Geburtshilfestation in Mitte. Nur einer oder immerhin einer? Sein Bruder ist zu krank. Dessen Herz schlägt außerhalb seines Körpers, ist nur durch die Gefäße und eine dünne Hautschicht mit dem Organismus verbunden. „Irreparabel“, sagen die Mediziner. Wie geht man damit um, wenn man hört: Eines Ihrer Kinder wird bei der Geburt sterben? Nur mit der Hoffnung, dass es der andere schaffen wird.

Er wird, verspricht Bollmann. „Aber nur, wenn wir noch Zeit gewinnen.“ Die Frau ist in der 24. Schwangerschaftswoche, als sie Mitte Juni an das Universitätsklinikum kommt. Drei Wochen mindestens will Bollmann noch warten, denn je früher ein Kind zu Welt kommt, desto größer ist das Risiko, dass es nicht überlebt. Also Bettruhe für die Mutter. Doch in der 26. Woche setzen plötzlich die Wehen ein. Sie werden medikamentös unterdrückt – noch eine Woche gewonnen.

Seit 20 Jahren ist Bollmann Geburtshelfer, gilt bundesweit als Kapazität. Rund 400 Mal im Jahr bekommt er es mit lebensbedrohlichen Missbildungen zu tun: offene Bäuche, Herzfehler, Nierenstörungen. „Dreiviertel dieser Kinder überleben“, sagt Bollmann. Siamesische Zwillingen aber sieht er selten: Laut Statistik gibt es das einmal auf 200 000 Geburten.

Am vergangenen Freitagnachmittag ist es soweit. Die Geburt der Zwillinge lässt sich nicht länger verzögern. Gegen 17 Uhr öffnen die Chirurgen im Charité-Bettenhochhaus den Bauch der Mutter mit einem Kaiserschnitt. Sie holen die Babys mitsamt Fruchtblase heraus. Die beiden Jungen wiegen 1050 und 950 Gramm.

Das Ganze dauert nicht mal zehn Minuten. Doch nun beginnt der schwierigste Teil. Die Kinderchirurgen trennen die siamesischen Zwillinge, die am Bauch zusammengewachsen sind. Zum Glück sind die Blutgefäße für beide Körper sauber getrennt. Doch nur einer von beiden hat eine Harnblase. Eine halbe Stunde später ist die Trennung gelungen, trotzdem stirbt der größere der Jungen kurz darauf an seinen Missbildungen. „Wir haben das Kind seinem Vater in die Arme gelegt, wo es friedlich entschlief – er wollte Abschied nehmen“, sagt Roland Wauer, Direktor der Klinik für Neonatologie in Mitte.

Das zehnköpfige Ärzteteam aus Geburtshelfern, Anästhesisten, Neonatologen und Kinderchirurgen konzentriert alle Anstrengungen auf den kleineren der beiden Brüder, der die größere Chance hat. Aber auch sein Körper ist nicht vollständig ausgebildet. Der Dickdarm fehlt, weshalb man ihm einen künstlichen Darmausgang legt. „Das ist nur vorübergehend“, sagt Klinikchef Wauer. Später werde man versuchen, die Verdauungswege künstlich zu rekonstruieren. Um 21 Uhr haben die Ärzte den ersten Kampf um das junge Leben gewonnen.

Ihr Patient erholt sich jetzt im Brutkasten von den Strapazen. Die ersten 24 Stunden, die kritischsten nach der Operation, hat er gut überstanden. „Wir sind optimistisch“, sagt Wauer. Auch wenn die nächsten vier Wochen noch viele Risiken für den Kleinen bergen werden.

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