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Berlin: Sie ist längst nicht mehr so aufregend wie früher, weil es sie immer wieder gibt - und neuerdings auch überall

Der Weltfrieden. Das ist es, was Matthias Roeingh alias DJ Doktor Motte im tiefsten Innern seines Herzens motiviert.

Der Weltfrieden. Das ist es, was Matthias Roeingh alias DJ Doktor Motte im tiefsten Innern seines Herzens motiviert. Die Love Parade sei ein Beitrag dafür, so Dr. Motte: "Und wenn das so weitergeht, werden wir es wirklich vielleicht bald schaffen." Der immer wieder als Vater der Love Parade bezeichnete Disc-Jockey wiederholte am Dienstag das, was er immer vor dem Start einer Love Parade sagt. Es gehe um Friede, Freude, Eierkuchen - so lautete das Motto der ersten Love Parade 1989. Und während er das sagt, sieht er zufrieden aus und lächelt entspannt. Denn Motte und seine Mannen beginnen damit, den weltweit geschützten Markenartikel "Love Parade" in alle Welt zu exportieren.

Zum ersten Mal finden daher Techno-Partys unter dem Namen "Love Parade" in Wien (am 1. Juli) und im englischen Leeds (zeitgleich mit Berlin, am 8. Juli) statt. Dr. Motte und die Unternehmer in Sachen Techno wollen sich als Manager von Großveranstaltungen für elektronische Musik profilieren. Aushängeschild ist und bleibt die größte Party Europas, der riesige Rave im Berliner Tiergarten. Von einem Weggang aus der Stadt, mit dem Dr. Motte zuletzt im vergangenen Jahr drohte, weil er wiederholt in einen Kleinkrieg mit Behörden und Naturschützern geriet, ist heute keine Rede mehr.

"Techno ist in eine Bewegung, eine Jugendkultur, keine Modeerscheinung", sagt der neue Love-Parade-Sprecher Enric Nitzsche. Das deckt sich jedoch nicht mit den schleichenden Veränderungen auf dem Techno-Markt. Die einst als Schaufenster für allerlei Techno-Artikel parallel zur Love Parade veranstaltete Messe "Chromapark" ist sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden und für ehemalige Techno-Tempel wie das E-Werk und der Bunker, die aus unterschiedlichen Gründen schließen mussten, gab es keine Neuauflage.

Dr. Motte und die Seinen stehen jedoch für die Aufbruch-Generation des Techno und wirken heute wie Berufsjugendliche mit Wohlstandsbauch und schütter werdendem Haar. Szene-Gazetten mäkeln schon lange, dass die Love Parade keinen Innovationswert mehr für die Szene bedeute. Einen "alljährlichen Standardjahrmarkt" sieht die Zeitschrift "Ten Dance" in der Love Parade, bei der sich seit Jahren nichts verändere, weil die Wagen immer gleich aussähen, die DJs immer dieselben seien und die Abschlusskundgebung "keiner mehr anhört".

Ralf Regitz ficht das nicht an. Der Geschäftsführer der Firma Planetcom und Chef-Organisitor der Love Parade erklärt: "Die Love Parade ist eine Plattform, bei der sich jeder darstellen kann." Man müsse das Angebot nur nutzen. Davon machen jedoch längst nicht alle Clubs Gebrauch, weil sie sich nicht mehr eindeutig und ausschließlich auf Techno konzentrieren. Deshalb will sich auch die Love Parade nicht mehr allein auf Techno festlegen lassen.

Die Party folgt damit einem Trend, der von den Clubs schon lange vorgegeben wird. Wichtige Tanzhallen, wie das Matrix am Bahnhof Warschauer Straße, das Casino in Prenzlauer Berg oder das Ostgut in Friedrichshain sehen sich selber als Techno-Clubs, aufgelegt wird aber immer auch gefälliger House. Andere verzeichten bewusst daruf und haben nicht weniger Erfolg bei ihrer Kundschaft, wie das Soda in Prenzlauer Berg oder das Blu am Marlene-Dietrich-Platz oder auch das 90 Grad. Mittlerweile ist eine neue Club-Generation herangewachsen. "Die alten Club-Flaggschiffe sind weg", sagt auch Regitz, und nennt vor allem das E-Werk, dessen Geschäftsführer er einmal war. Seine Versuche, Techno-Partys unter dem Titel "E-Werk" im Columbia-Fritz nahe dem Flughafen Tempelhof zu initiieren, sind indes gescheitert: "Die Halle wurde nicht angenommen", so Regitz, "Tempelhof ist mental wie Hannover." Soll heißen: nicht urban genug. Eine Neuauflage des E-Werks will Regitz in absehbarer Zeit nicht versuchen. Er schmunzelt, lehnt sich zurück und sagt dann: "Ich habe in den letzten Wochen darüber wieder nachgedacht, einen neuen Club zu eröffnen." Es blieb bei den Gedankenspielen. Regitz ist jetzt Paraden-Exporteur mit einem monatlichen Gehalt von 10 000 Mark.

Die spannendsten Partys in Berlin haben derzeit wenig mit Techno zu tun. Wer Aufregendes hören will, sollte zu Dancehall-Reggae-Veranstaltungen gehen. Weltberühmte Soundsystems (ein Soundsystem ist eine Art DJ-Kollektiv, dessen Ruf hauptsächlich von Dubplates abhängt, das sind Schallplatten, die exklusiv für diese System produziert werden) geben sich zur Zeit in Berlin regelmäßig die Klinke in die Hand. Die Szene boomt und ist trotzdem noch überschaubar. Eine Entwicklung, die auch daran ablesbar ist, dass ein Plattenladen wie Hardwax am Paul-Lincke-Ufer, ein Tempel von internationaler Reputation für alle Jünger elektronischer Tanzmusik, spätestens seit seiner Quasi-Fusion mit den Spezialisten für schwarze Musik von Such A Sound immer mehr auch zu einem Laden für Reggae und HipHop wird.

Es dürfte sich langsam herumgesprochen haben, dass Techno nicht mehr die neueste Ausgeburt von "Hipness" ist. Der Wendepunkt dürfte die von Hitze, Ermattung und Überfüllung erstickte Love-Parade 1995 gewesen sein. Das Gejammer über Kommerz, "Deppentechno für Technodeppen" (Ex-Frontpage-Herausgeber Jürgen Laarmann) war damals sehr groß. Inzwischen sind diese Umstände so selbstverständlich geworden, dass darüber gar nicht mehr diskutiert wird. Es ist fraglich, ob überhaupt noch von einer homogenen Technoszene gesprochen werden kann. Die Avantgarde hat sich in ihre Lounges für elektronische Musik zurückgezogen, andere feiern weiter, als habe es nie einen Bruch gegeben.

Exemplarisch für die Entwicklung der Berliner Techno-Szene ist der Tresor. Den Club gibt es fast schon so lange, wie von Techno in Berlin überhaupt die Rede sein kann (mehr als neun Jahre). Der Club und das dazugehörige Plattenlabel haben sich immer speziell um den musikalischen Austausch zwischen Berlin und Detroit gekümmert. Anfang der 90er hielt die Detroiter Avantgarde von Underground Resistance in dem Club Residenz.

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