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Berlin: Sie kamen als Freunde, dann missbrauchten sie die Jungen Prozessbeginn gegen zwei Sexualstraftäter.

Ein ZDF-Reporter hatte ihr Vorgehen dokumentiert

Es kommt selten vor, dass Täter und Opfer von sexuellem Missbrauch vor einem Millionenpublikum im Fernsehen sprechen. Doch für die ZDF-Dokumentation „37 Grad“ und den „Stern“ hatte sich ein Journalist als angeblich Pädophiler in die Wohnung eines Täters in Mitte eingeschlichen und das Geschehen über Monate dokumentiert. Vergangenen Dienstag wurde der Film ausgestrahlt – am Dienstag nächster Woche beginnt der Prozess: Der 41-jährige Alfred B. ist wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 44 Fällen sowie Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in 45 Fällen angeklagt. Dem 44-jährigen Ilja S. werden 22 sexuelle Taten vorgeworfen. Weil er wegen der Verbreitung kinderpornografischer Schriften vorbestraft ist, lautet die Anklage auf schweren sexuellen Missbrauch. Alfred B. droht Haft bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe, bei Ilja S. wird nicht unter ein Jahr für jede Tat angesetzt, sagt Justizsprecher Björn Retzlaff.

Auf die pädophilen Täter in der Leipziger Straße kam die Kripo unabhängig von der weltweiten Kinderporno-Fahndungsaktion „Marcy“, die zuletzt Aufsehen erregte. Dabei waren in Berlin unter anderem vier Lehrer, ein Polizist und ein BGS-Beamter wegen Besitzes von Kinderpornografie festgenommen worden. Das, was der Journalist Manfred Karremann nun im aktuellen Fall für das ZDF sowie den „Stern“ dokumentierte, spiegelt die rund 500 pädosexuellen Straftaten wieder, die die Berliner Kripo jährlich aufdeckt. Die Täter sind meist über 30 Jahre alt, gelten als Freunde der Familie und stammen aus allen Gesellschaftsschichten, sagt Oliver Knecht, Leiter des Fachdezernats Sexualdelikte im Landeskriminalamt.

In Mitte waren die sieben missbrauchten Jungen neun bis 14 Jahre alt. „Die Täter besitzen oft eine hohe soziale Intelligenz, können gut mit Kindern umgehen und bieten ihnen etwas, was sie bei den Eltern vermissen“, sagt Knecht. In der TV-Reportage war das zu sehen: Die Täter spielten, tobten, kuschelten – bevor sie die Grenze des Missbrauchs überschritten. „Pädosexuelle bieten den Kindern Schönes und verlangen dafür eine Gegenleistung“, sagt der Dezernatsleiter.

Dieser Fall gehört aber längst nicht zu den Schlimmsten, die er zu bearbeiten habe, sagt Oliver Knecht: Pädokriminelle erzeugten psychischen, aber keinen physischen Druck. Die rund 160 Gewalttäter, die im Jahr 2002 wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung ermittelt wurden, gingen noch brutaler vor. In der Mehrzahl seien es Väter, Opas oder Onkel gewesen, die Kinder zum Geschlechtsverkehr zwangen. Dies war bisherigen Erkenntnissen zufolge in Mitte nicht der Fall, sagt Justizsprecher Retzlaff. In Berlin werden außerdem jedes Jahr rund 340 exhibitionistische Straftaten bekannt, so dass sich die Summe aller angezeigten Sexualdelikte gegen Kinder auf rund tausend summiert. Doch die Dunkelziffer ist hoch. Dem Kripo-Experten zufolge beträgt sie 1:6 bis 1:20.

Die Zahl der angezeigten Sexualdelikte gegen Kinder habe in den vergangenen Monaten nicht zugenommen, sagt Knecht. Es seien aber mehr Fälle öffentlich geworden, wie zuletzt auch die Ermittlungen gegen einen Wissenschaftler der Humboldt-Uni. Ihn wollen Bauarbeiter vom Gerüst aus beim Surfen auf Kinderporno-Seiten im Internet beobachtet haben. Oliver Knecht rechnet damit, dass langfristig mehr pädokriminelle Taten begangen werden. „Durch die vielen Kinderpornoseiten im Internet nimmt die Phantasie zu und das Unrechtsbewusstsein ab.“

Annette Kögel

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