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Berlin: „Sind Sie zu feige?“

Prozess um Angriff auf Jonny K. droht zu platzen, weil sich ein Laienrichter im Ton vergriffen hat.

Berlin - Kaum war eine Frage gestellt, kam die monotone Antwort des Zeugen. „Habe ich vergessen“, sagte Ali Y., 23 Jahre alt.

Ali Y. hatte Szenen der Prügelattacke auf Jonny K. am Alexanderplatz beobachtet. Bei der Polizei vor sieben Monaten hatte er ausgesagt. Jetzt aber fiel ihm angeblich nichts mehr ein. Der merkwürdige Gedächtnisschwund war schwer zu ertragen. Ein Schöffe verlor schließlich die Geduld. Er habe nur eine Frage, begann er. „Sind Sie zu feige, eine Aussage zu machen, oder wollen Sie das Gericht verarschen?“ Nun droht der Prozess zu platzen.

Der Vorsitzende Richter kritisierte die Wortwahl des Laienrichters umgehend. Für die Verteidigung aber ist ein Schöffe, der sich zu einer solchen Äußerung hinreißen lässt, nicht hinnehmbar. Sie reagierte prompt mit einem Befangenheitsantrag. Es sei zu befürchten, dass der Schöffe voreingenommen ist, verlas Anwalt Peter Zuriel am Donnerstag. Und daher sei der Mann auszuschließen. Der Schöffe, ein grauhaariger Mann Mitte fünfzig, saß hochrot rechts außen auf der Richterbank, die mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt ist. Sollte das Gericht nun dem Antrag stattgegeben und damit der kritisierte Laienrichter als befangen ausgeschlossen wäre, müsste der Prozess von vorn beginnen. Bis zum 6. Juni wollen die drei Berufsrichter entscheiden.

Von Ali Y. war eine eher belastende Aussage erwartet worden. Er, der am Morgen des 14. Oktober mit zwei Freunden am Alexanderplatz unterwegs war, hatte vor sieben Monaten beschrieben, dass ein Opfer nach einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden ging. „Dann wurde geboxt und getreten, mehrere Schläge und Tritte, auch gegen den Kopf“, gab er damals zu Protokoll. Zwei der Angreifer seien an dem einen der beiden Opfer gewesen, vier an dem anderen. Nun hakte Richter Helmut Schweckendieck nach. „Wurde jemand geschlagen, getreten?“ Y. schien zu mauern: „Erinnere mich nicht.“

Jonny K. war laut Anklage in der Nacht zum 14. Oktober mit wuchtigen Schlägen und Tritten so attackiert worden, dass er stürzte und auf die Straße aufprallte. Er starb einen Tag später an Hirnblutungen. Sein Freund Gerhardt C., genannt Kaze, wurde schwer verletzt. Die sechs Angeklagten haben ihre Beteiligung an der Schlägerei zugegeben. Der 19-jährige Onur U., der als ein Hauptangeklagter gilt und Auslöser der Prügelei gewesen sein soll, gestand etliche Fausthiebe gegen den 29-jährigen Gerhardt C. Doch wie die anderen Mitangeklagten wies er eine Schuld am Tod von Jonny K. zurück. Die Staatsanwaltschaft wirft vier Männern Körperverletzung mit Todesfolge vor, zweien gefährliche Körperverletzung. Der unwillige Zeuge Y. war kaum aus dem Saal, da mussten sich die Juristen mit dem nächsten angeblich vergesslichen Mann befassen. Ein 22-jähriger Kumpel von Y. konnte sich angeblich auch an nichts mehr erinnern. „Ist nichts mehr da“, sagte er forsch. Die Nachfragen nervten ihn. „Wenn ich es nicht weiß“, reagierte er patzig.

„Sagte jemand, dass Sie hier nichts sagen sollen? Wurden Sie unter Druck gesetzt?“, wollte ein Anwalt wissen. Der Zeuge verneinte. Der Schöffe rechts außen verzog das Gesicht – und schwieg. Der dritte Zeuge stimmte optimistisch. Er konnte sich erinnern. Der Prozess geht am kommenden Montag weiter.

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