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Für eine Handvoll Kleingeld. Berliner Automaten spucken alles Mögliche aus - die ganz Besonderen muss man allerdings ein bisschen suchen.

© Kai-Uwe Heinrich

Skurrile Automaten in Berlin: Bitte Münze einwerfen!

Fahrkarten, Kaffee, Süßigkeiten – die meisten Automaten nimmt man kaum wahr. Wer ein bisschen sucht, findet aber auch ganz besondere Angebote. Wir haben für Sie einen Rundgang gemacht. Also: Kleingeld bereithalten - es geht los.

In Berlin gibt es zwei Sorten von Automaten. Zum einen Kaffee-, Fahrkarten-, Süßigkeiten- und Kondomautomaten, die so selbstverständlich geworden sind, dass man sie kaum noch wahrnimmt. Zum anderen sind da aber die besonderen Automaten, die man ein bisschen suchen muss. Und die so einiges über die Stadt und ihre Bewohner erzählen – auch wenn sie scheitern, wie der Goldautomat, der vor einiger Zeit erst in den Galeries Lafayette und dann in der Nähe des Checkpoint Charlie stand und aus dem man entweder ein 2,5 Gramm schweres Brandenburger Tor aus 24-karätigem Gold für 150 Euro oder einen Goldbarren ziehen konnte. Das tat aber so gut wie niemand, so dass der Schatzautomat wieder abgebaut wurde. Onkel Dagobert lebt eben nicht in Berlin – und kommt auch nicht unbedingt als Tourist. Stattdessen ist dies die Stadt der Leser, Radfahrer, Kunstliebhaber, Angler, Partyprinzessinnen und mitternächtlichen Kuchenbäcker. Wir haben eine Handvoll Kleingeld eingepackt und uns das Angebot mal angesehen. Bitte klicken Sie sich unten durch die einzelnen Stationen!

Dieser Text ist in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.

Automat 1: Maden

Lecker. Jedenfalls für Fische: der Madenautomat vor dem "Angelhaus Koss" in Wedding.
Lecker. Jedenfalls für Fische: der Madenautomat vor dem "Angelhaus Koss" in Wedding.

© Kai-Uwe Heinrich

Für wen? Angler
Adresse: vor dem „Angelhaus Koss“, Tegeler Straße 37, Wedding
Preis: 1 Euro

Die meisten Menschen wollen Maden nicht in ihrer näheren Umgebung haben. Wir assoziieren Verwesung und vergammeltes Fleisch damit. Doch dann gibt es da die besondere Spezies der Angler, die manchmal ganz dringend solche Larven von Zweiflüglern als Fischköder braucht – auch zu ungewöhnlichen Zeiten, denn Raubfische beißen bevorzugt in der Dämmerung. „Meine Eltern haben früher neben dem Angelgeschäft gewohnt und wurden öfter mal am Sonntagmorgen privat deswegen gestört“, sagt Alexander Koss, seit Ende der Neunziger Inhaber des Angelgeschäfts Koss an der Tegeler Straße 37, einer ruhigen Gegend mit Altbauwohnhäusern in Wedding. Vorher gehörte der Laden seinem Vater. Der installierte den Madenautomaten – ein umgebauter Zigarettenautomat –, um den sonntäglichen Störungen ein Ende zu setzen. „Wann das genau war, weiß ich nicht mehr“, überlegt Alexander Koss, „in den Siebzigern, würde ich sagen.“

Frühstück. Angler haben oft sehr zeitig Bedarf an Ködern - Raubfische beißen nämlich bevorzugt in den Morgenstunden.
Frühstück. Angler haben oft sehr zeitig Bedarf an Ködern - Raubfische beißen nämlich bevorzugt in den Morgenstunden.

© Kai-Uwe Heinrich

Der Sohn führt die Madenautomatentradition fort, eher als Kuriosität denn aus Profitgründen. „Wirtschaftlich bringt das nichts“, sagt er. Freitags und samstags füllt Koss den Automaten mit Maden, die er über einen Großhändler aus Italien bezieht. „In Deutschland ist es verboten, Maden zu züchten.“ Montags holt er die übrig gebliebenen Maden wieder heraus und verkauft sie im Tagesgeschäft. Wenn es draußen zu kalt ist, bleibt der Automat allerdings leer: „Sonst könnten die Maden erfrieren.“ Auch Hitze ist ein Problem. „Bei Wärme verpuppen sie sich schneller und werden irgendwann zu Fliegen.“ Ihm ist aber noch kein Schwarm entgegengekommen, wenn er den Automaten geöffnet hat.

Automat 2: Kunst

Kunst to go. Rund 30 "Kunsttick"-Automaten hängen zurzeit in Berlin, dieser hier im Restaurant "Cotto e Crudo" in Prenzlauer Berg.
Kunst to go. Rund 30 "Kunsttick"-Automaten hängen zurzeit in Berlin, dieser hier im Restaurant "Cotto e Crudo" in Prenzlauer Berg.

© Kai-Uwe Heinrich

Für wen? Alle!
Adresse: Zum Beispiel im Restaurant „Cotto e Crudo“, Eberswalder Straße 33, Prenzlauer Berg
Preis: 2 Euro

„Kunst soll man nicht zurückhalten. Deshalb sehe ich es positiv, wenn auch andere ähnliche Automaten aufstellen wie wir. Auch wenn wir die Idee als Geschmacksmuster für den deutschsprachigen Raum beim Patentamt haben schützen lassen“, sagt Lars Kaiser, der in Potsdam das „11-Line Galerie Caffé“ betreibt und als Erster vor mehr als zehn Jahren Zigarettenautomaten aufstellen ließ, in denen Werke von Künstlern im Miniaturformat verkauft werden (www.sek-kunst.de). Seit zwei bis drei Jahren gebe es immer mehr Nachahmer überall in Deutschland, hat Kaiser beobachtet. „Unsere Idee war: Wie könnte man den Zugriff zu kleiner Kunst 24 Stunden pro Tag bewerkstelligen?“ Im August 2001 wurde der erste Automat in Potsdam aufgehängt, 2002 der erste in Berlin: Im Café Schraders, Malplaquetstraße 16 in Wedding „Der hängt noch immer“, sagt Kaiser stolz. Allerdings funktioniert er seit kurzem nicht mehr so richtig. Im italienischen Restaurant „Cotto e Crudo“ an der Eberswalder Straße 33 in Prenzlauer Berg hat der Kunstliebhaber mehr Glück. Für zwei Euro kann man dort aus einem goldenen Automaten, der im Toilettenraum hängt, ein Kunstschächtelchen ziehen. Darin steckt dieses Mal ein visitenkartengroßes Stück Karton, in das ein Brandenburger Tor geprägt ist – golden angesprüht und mit Signatur des Potsdamer Künstlers Christian Heinze, dessen Vita auf einem kleinen Zettel beiliegt.

Goldenes Tor. Für zwei Euro konnte man dieses kleine Kunstwerk des Potsdamers Christian Heinze aus dem Automaten ziehen.
Goldenes Tor. Für zwei Euro konnte man dieses kleine Kunstwerk des Potsdamers Christian Heinze aus dem Automaten ziehen.

© Mike Wolff

Rund 30 Automaten bestücken Kaiser und seine Mitstreiter im Rahmen ihres Projekts „Kunsttick“ derzeit in Berlin, weitere in anderen deutschen Städten und sogar in Dänemark und Holland, sagt der Galerist. Viele hängen in Cafés und Kneipen – von Friedrichshain über Neukölln bis Spandau. Weit über 100 Künstler hätten schon mitgemacht, einige tausend Kunstwerke pro Jahr fänden ihre Abnehmer über die Automaten: Bilder, Drucke, Objekte, Zeichnungen, aber auch Literatur, Lyrik und Prosa. Die Künstler seien meist etabliert und sogar relativ bekannt: „Einige Künstler machen immer ihre Skizzen für die Gemälde auf Kärtchen für die Automaten. Einige der Skizzen setzen sie zu Ölgemälden um – und im Idealfall findet man in einer Galerie das Gemälde, zu dem man die Skizze aus dem Automaten gezogen hat“, sagt Kaiser. Ein Stammgast aus dem Café Schraders habe inzwischen aus den gesammelten Kunstwerken aus dem Automaten eine Galerie im Flur seiner Wohnung zusammengestellt. Solche Geschichten gefallen dem Galeristen. Sein Lieblingsaspekt an dem Projekt: „Sobald ein Automat in einem Café, einer Kneipe, einem Kino oder einem Konzertsaal hängt, reden die Leute dort über Kunst.“ Und die Hälfte des Erlöses geht direkt an die Künstler. Bei einem Preis von zwei Euro werden sie aber bestimmt nicht reich davon.

Automat 3: Ballerinas

Barfuß oder Lackschuh? Für neun Euro gibt's im Fritzclub am Postbahnhof neue Ballerinas.
Barfuß oder Lackschuh? Für neun Euro gibt's im Fritzclub am Postbahnhof neue Ballerinas.

© Kai-Uwe Heinrich

Für wen? Party-Prinzessinnen
Adresse: Fritzclub, Postbahnhof am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8, Friedrichshain
Preis: 9 Euro

„Die zertanzten Schuhe“ heißt eins von Grimms Märchen über zwölf Prinzessinnen, die jede Nacht in einem unterirdischen Reich feiern. „Die zertanzten Füße“ hingegen ist eine ganz reale Geschichte, die sich Nacht für Nacht in vielen Berliner Clubs abspielt: Wenn Party-Prinzessinnen auf viel zu hohen High Heels von zu Hause losstaksen – und nach einiger Zeit auf der Tanzfläche merken, dass ihre Füße das nicht mehr mitmachen. Im Fritzclub im Postbahnhof am Ostbahnhof können sie sich in diesem Fall seit 2001

Besser als High Heels. Die "Ballerinas2Go" aus dem Automaten.
Besser als High Heels. Die "Ballerinas2Go" aus dem Automaten.

© Kai-Uwe Heinrich

flache Ballerinas aus einem Automaten ziehen – in Schwarz, Gold, Silber, Pink und Weiß. „Vor allem, damit man weitertanzen kann, oder für den Nachhauseweg“, sagt Isabella Fendt. Die Münchnerin betreibt mehrere Ballerina-Automaten in ganz Deutschland. In Berlin ist dieser ihr einziger. Alle drei bis vier Monate kommt sie aus dem Süden angereist und füllt ihn neu. „Die Idee ist aus persönlicher Erfahrung entstanden, weil ich so gern High Heels trage.“ Sie selbst tauscht sie allerdings selten gegen flache Ballerinas. „Ich stolpere mit den hohen Absätzen bis zum Bett.“

Automat 4: Eier

Immer frische Eier. Der Automat neben der Tür von "Lehmanns Bauernmarkt" in Marienfelde.
Immer frische Eier. Der Automat neben der Tür von "Lehmanns Bauernmarkt" in Marienfelde.

© Mike Wolff

Für wen? Nächtliche Kuchenbäcker, Ausflügler
Adresse: Lehmanns Bauernmarkt, Alt-Marienfelde 35, Marienfelde
Preis: 1 Euro

Wer im beschaulichen Idyll von Alt-Marienfelde lebt, am nördlichen Rand von Berlin, hat einen echten Vorteil: Rund um die Uhr gibt es dort frische Eier. Für das spontane Backen um Mitternacht. Oder das Frühstücksei am Sonntagmorgen. In kleinen Viererkartons zieht man sie für einen Euro aus dem weißen Automaten neben der Eingangstür zu dem kleinen Laden „Lehmanns Bauernmarkt“, in dem tagsüber Wurst, Biobrot, Ziegenkäse verkauft werden – und natürlich Eier.

Vier Stück für einen Euro - auch um Mitternacht oder am Sonntagmorgen.
Vier Stück für einen Euro - auch um Mitternacht oder am Sonntagmorgen.

© Mike Wolff

„Die Leute kommen sonntags und abends von weit her, um Eier aus dem Automaten zu ziehen“, sagt Dinah Haß, die im Laden hinter der Theke steht. „Montagmorgen ist er immer leer.“ Eine Kundin mischt sich ein: „Ich arbeite zwar in der Woche hier ganz in der Nähe. Ich wohne aber in Kreuzberg. Neulich bin ich an einem Sonntag die knappe halbe Stunde mit dem Auto hergefahren, weil ich keine Eier für meinen Kuchen hatte.“ Die Verkäuferin fügt hinzu: „Im Automaten gibt es ja extra die kleinen Eier, die genau die richtige Größe zum Kuchenbacken haben.“ Ausnahmsweise gab es im Automaten auch schon mal Überraschungseier. „Für einen Kindergeburtstag“, sagt Dinah Haß. Zwei der kleinen Glasscheiben an den Türchen des Automaten, der schon seit den fünfziger Jahren an seinem Platz hängt, sind gesprungen, als hätte jemand einen Stein dagegengeworfen. „Das kommt zum Glück selten vor. Es wohnen ja hauptsächlich liebe Leute hier“, sagt die Verkäuferin.

Automat 5: Zahnbürsten

Zu mir oder zu dir? Vor dieser Frage müssen sich Gäste der gleichnamigen Bar in Prenzlauer Berg nicht mehr fürchten - Mundhygiene-Utensilien gibt's auf der Kneipentoilette.
Zu mir oder zu dir? Vor dieser Frage müssen sich Gäste der gleichnamigen Bar in Prenzlauer Berg nicht mehr fürchten - Mundhygiene-Utensilien gibt's auf der Kneipentoilette.

© Björn Kietzmann

Für wen? Verliebte Nachtschwärmer
Adresse: Bar „Zu mir oder zu dir“, Lychener Straße 15, Prenzlauer Berg
Preis: 1 Euro

Die Damentoilette in der Bar mit dem bedeutsamen Namen „Zu mir oder zu dir“ an der Lychener Straße am Helmholtzplatz ist ein ziemlich gemütlicher Ort. Eine Diskokugel dreht sich an der Decke und lässt den Raum in rötlichem Licht funkeln, zwei durchgesessene Sessel laden zum Verweilen ein.

Und an der Wand hängt ein schlanker Automat, aus dem man sich eine frische Mini-Reise- Zahnbürste samt Zahnpasta ziehen kann – für einen Euro. Ein großer roter Mund mit blitzend weißen Zähnen ziert den Automaten. Wofür man in einer Bar so was braucht? Das ist ja wohl klar: Wenn man das Motto der Kneipe am Ende des Abends wörtlich nehmen möchte und plant, woanders als bei seiner eigenen Zahnbürste zu übernachten. „Silvester werden besonders viele verkauft. Ich hab auch schon mal eine gezogen“, verrät die hübsche Tresenfrau. Und warum? Sie grinst: „Na, zur Mundhygiene, mehr verrate ich nicht.“

Klein und frisch. Die Automaten-Zahnbürste für Nachtschwärmer.
Klein und frisch. Die Automaten-Zahnbürste für Nachtschwärmer.

© Björn Kietzmann

Neben dem sauber glänzenden Zahnbürstenautomaten hängt auch noch eine traurige Automatenruine, der man nicht mehr ansieht, was da mal verkauft wurde. Daraus habe man Damenslips ziehen können, sagt die Tresenfrau. Doch seit Jahren würde er nicht mehr befüllt von der Firma, die ihn mal als Prototyp aufgehängt und dann vergessen hat. „Am Ende gab’s nur noch die großen Größen. Die waren riesig. Und wir wurden ständig gefragt, ob wir vergessen hätten, nachzufüllen.“

Die Zahnbürsten gehen aber gut. In der Herrentoilette hängt übrigens auch ein Automat. Man kann ja nie wissen, wie sich die Frage „Zu mir oder zu dir“ am Ende entscheidet.

Automat 6: Fahrradschläuche

Da biste platt. Und dann ganz schnell nicht mehr, denn für 7,50 Euro gibt's zu jeder Tages- und Nachtzeit einen neuen Fahrradschlauch aus dem Automaten.
Da biste platt. Und dann ganz schnell nicht mehr, denn für 7,50 Euro gibt's zu jeder Tages- und Nachtzeit einen neuen Fahrradschlauch aus dem Automaten.

© Kai-Uwe Heinrich

Für wen? Platte Radfahrer
Adresse: zum Beispiel vor dem Fahrradgeschäft Trekpro Shop, Leipziger Straße 56, Mitte
Preis: 7,50 Euro

Wer kennt das nicht. Man hat es eilig, schwingt sich in den Fahrradsattel – und dann das: Schlauch und Mantel des Hinterrads knirschen schlapp auf der Felge. Wer geschickt genug ist, den Schlauch selbst zu wechseln, findet selbst spätabends noch das notwendige Material dazu in speziellen Automaten: 18 „Schlauchomaten“ gibt es in der Stadt, meist draußen an Fahrradgeschäften, zum Beispiel an der Fahrradstation Trekpro Shop an der Leipziger Straße 56 in Mitte. 7,50 Euro kostet der Schlauch dort, etwas mehr als im Geschäft.

Sechs verschiedene Schlaucharten sind im Angebot, alle von der Firma Schwalbe.
Sechs verschiedene Schlaucharten sind im Angebot, alle von der Firma Schwalbe.

© Kai-Uwe Heinrich

Befüllt werden die Schlauchautomaten von Händlern, der Inhalt stammt von der Firma Schwalbe. Sechs verschiedene Schlaucharten sind normalerweise drin, für jede Fahrradgröße soll etwas dabei sein. Die Firma hat auch eine App entwickelt, mit der man schnell den nächsten Automaten finden kann. Auch auf der Internetseite findet man eine Liste aller Automaten unter www.schwalbe.com/de/haendlersuche.html. Auf manchen Fahrradkarten sind sie ebenfalls eingezeichnet. Pech ist allerdings, wenn Schwalbe nichts von der Schließung eines Fahrradladens erfährt oder der Automat nicht mehr befüllt wird. Zwischen den Hochhäusern an der Landsberger Allee 201 in Lichtenberg ist das der Fall, dort ist der Automat verwaist.

Automat 7: Literatur

Die kleinen Gelben. Lesestoff aus dem Verlag Sukultur auf dem Bahnsteig der U8 am Alexanderplatz.
Die kleinen Gelben. Lesestoff aus dem Verlag Sukultur auf dem Bahnsteig der U8 am Alexanderplatz.

© Daniela Martens

Für wen? Leseratten
Adresse: Bahnsteig der U 8, Alexanderplatz
Preis: ab 1 Euro

Gleich kommt die U-Bahn. Schnell noch einen Schokoriegel und ein gutes Buch aus dem Automaten ziehen, dann wird auch eine lange Fahrt gut erträglich. Die kleinen gelben Büchlein des Berliner Verlags Sukultur findet man auf vielen Bahnhöfen in der Stadt. Jeden Monat liefert Sukultur 1000 Büchlein an die Firma, die einen großen Teil der Automaten auf S- und U-Bahnhöfen mit allem befüllt, was das Herz des S-Bahn-Reisenden begehrt. Erzählungen, Essays, Dramen und Lyrik gibt’s in den gelben Büchlein zu lesen – jeweils fünf unterschiedliche Titel pro Spirale im Automaten. 135 Titel sind im Angebot, jeder für je einen Euro. „Was Sie nicht finden werden, sind Schmonzetten“, sagt Frank Maleu von Sukultur. „Aber die letzten drei Jahre hatten wir immer einen Träger des Leipziger Buchpreises dabei.“

Große Literatur zum kleinen Preis. In den Sukultur-Automaten gibt es schon Bücher für einen Euro.
Große Literatur zum kleinen Preis. In den Sukultur-Automaten gibt es schon Bücher für einen Euro.

© Mike Wolff

Auf dem Bahnsteig der U 8 am Alexanderplatz werden die gelben Büchlein in einem ganz besonderen Automaten verkauft: Darin stehen nur Bücher, auch teurere von anderen Verlagen (etwa 5 bis 10 Euro). „Lesestoff to go“ steht außen dran. Als „Bestseller“ sind mehrere Titel markiert, einer der Schmöker ist „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ von John Green. Im Angebot ist aber auch ein Buch von und über den schrägen Modedesigner Harald Glööckler, ein Wälzer über Intelligenztests und mehrere kleine quadratische Kinderbücher der „Conni“-Reihe: „Conni geht zum Zahnarzt“, gibt es da zum Beispiel. Für jeden Literaturgeschmack scheint etwas dabei. In Berlin verkauft sich eben nicht nur die kleine gelbe Hochkultur.

Automat 8: Gebete

Gebetomat. Ab Mitte Oktober 2014 steht die Kabine des Künstlers Oliver Sturm wieder in der Arminius-Markthalle in Moabit.
Gebetomat. Ab Mitte Oktober 2014 steht die Kabine des Künstlers Oliver Sturm wieder in der Arminius-Markthalle in Moabit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Für wen? Spirituell Suchende
Adresse: Arminius-Markthalle, Arminiusstr. 2–4, Moabit
Preis: 0 Euro

Der ungewöhnlichste aller Automaten in der Stadt war gerade auf Reisen: der Gebetomat, den der Berliner Künstler Oliver Sturm vor einigen Jahren in der Arminius-Markthalle in Moabit aufgestellt hatte. „Er ist die Utopie eines Automaten, ein Kunstobjekt“, sagt Sturm. Der Gebetomat sieht aus wie eine Mischung aus dem Fotoautomaten, der er mal war, und einem Beichtstuhl. Wer den Vorhang beiseiteschiebt, sieht ein Bildschirmmenü. Durch Berühren des Touchscreens wählt man eins von 300 Gebeten in 65 Sprachen aus: aus Christentum, Islam, Hinduismus, Judentum und Buddhismus – sowie aus völlig ungeahnten kleinen Religionen. Der Automat spielt dann eine Tonaufnahme ab, etwa das Vaterunser auf Vietnamesisch oder von Papst Benedikt gesungen.

Spirituelle Pause. Der Gebetomat hat 300 Gebete in 65 Sprachen im Angebot.
Spirituelle Pause. Der Gebetomat hat 300 Gebete in 65 Sprachen im Angebot.

© picture alliance / dpa

Drei Monate war der spirituelle Automat unterwegs: in Oldenburg, in Salzburg und in München. Im Lauf des Oktobers werde er wieder in die Markthalle zurückkehren, auf seinen Platz hinten auf der rechten Seite, hinterm Weinareal, neben dem „Schlupfladen“ an der Wand, verspricht Sturm. Vorher wird er renoviert. Die Händler in der Markthalle würden ständig gefragt, wo der Gebetomat denn sei, sagt Sturm, der selbst in der Nähe wohnt. Die Gebete würden schon schmerzlich vermisst, vor allem von Menschen, für die der Automat eine Art Heimwehtherapie ist: Eine Frau aus Sri Lanka höre sich oft buddhistische Sutren aus ihrer Heimat an, und ein Kubaner vertiefe sich in Voodoo aus der Karibik. „Und Leute aus Norddeutschland hören sich das Vaterunser auf Plattdeutsch an“, sagt Sturm. Als er den Automaten zum ersten Mal aufstellte, kosteten fünf Minuten noch 50 Cent. „Das war eine kleine infame künstlerische Idee. Aber dann kam der Gebetomat an Orte, wo Geldeinwurf keinen Sinn macht, etwa ein SOS-Kinderdorf. Da habe ich die Funktion abgestellt – und das auch hinterher so gelassen. Die Idee funktioniert auch ohne Geld.“

Interview: "Kondome lohnen sich"

Breites Angebot. Selecta-Automaten stehen überall in der Stadt.
Breites Angebot. Selecta-Automaten stehen überall in der Stadt.

© promo

Die Firma Selecta ist einer der größten deutschen Aufsteller von Verkaufsautomaten in Deutschland, darunter rund 1000 in Berlin. Olaf Gauda, Regionalleiter Nordost, gibt Einblicke.

Herr Gauda, Sie sind unter anderem für rund 1000 Warenautomaten in Berlin zuständig, Ihre Firma ist aber in ganz Deutschland vertreten. Was verkauft sich hier in Berlin besonders gut?

Energydrinks, Capri-Sonne und Kaffee. Der muss hier, wie auch in anderen Städten in der Nordhälfte Deutschlands, eine mildere Röstung in der Bohne haben als in Süddeutschland.

Wie wird ausgesucht, womit die Automaten befüllt werden?
Oft kommen Hersteller auf uns zu, die neue Produkte anbieten wollen. Wir sind immerhin eine der größten Firmen, die in Deutschland Automaten aufstellen und füllen. Wir testen fast jeden Monat neue Produkte. Einiges verkaufen wir nur saisonal, zum Beispiel Papiertaschentücher und Fettlippenstifte im Winter. Manches passt einfach technisch nicht in einen Automaten: Toilettenpapier zum Beispiel wäre zu groß und Babynahrung ist meist in Gläschen, die leicht kaputtgehen könnten. Die Auswahl ist immer ein Spagat zwischen dem, was auf dem Markt ist und was die Kunden wollen – und was automatentauglich ist.

Im vergangenen Jahr gab es sogar Schwangerschaftstests in den Automaten, die Sie in Berlin befüllen. Die gibt es aber nicht mehr, oder?
Der Schwangerschaftstest ist eines der Aktionsprodukte, die wir testen wollten als etwas, das man in einem Snackautomaten auf dem Bahnsteig einfach nicht erwartet. Da es sich um ein sehr spezielles Produkt handelt, für das die Kunden mehr Kleingeld parat haben müssen als für einen Schokoriegel, hat es sich aber für den Automatenverkauf nicht geeignet. Deswegen gibt es die Tests nur noch an einigen Standorten, an denen sie sich besonders gut verkauft haben. Zum Beispiel auf dem S-Bahnhof Baumschulenweg. Kondome dagegen haben wir in den meisten Automaten im Sortiment, und da bleiben sie auch. Die lohnen sich.

Wie wird ausgesucht, wo überhaupt Automaten aufgestellt werden?
Vor allem auf Bahnhöfen muss man viele Faktoren beachten: Wo ist genügend Platz, wie ist die Stromversorgung möglich, kommen genügend Fahrgäste vorbei, und gibt es vielleicht schon einen Kiosk auf dem Bahnsteig? Das wäre ja eine Konkurrenz, oft haben die auch Verträge mit den Verkehrsgesellschaften, in denen geregelt wird, ob da noch ein Automat stehen darf oder nicht.

Sind denn in Berlin auch die Spätis eine starke Konkurrenz?
Nein, eigentlich nicht, denn die Zielgruppe unserer Automaten sind Impulskäufer, Bahnreisende, die, kurz bevor sie in den Zug steigen, noch ein bisschen Zeit haben, um etwas zu kaufen. Oder Pendler, die gezielt morgens bei uns ihre bevorzugte Nervennahrung mitnehmen.

Dieser Text ist in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.

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