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Verspätet - na und?!

© dpa

Solidarität im Zug: Loben Sie doch mal die Bahn!

Defekte, Chaos, Zugausfälle: In ihrem Kerngeschäft, Menschen komfortabel von A nach B zu bringen, scheitert die Bahn immer wieder grandios. Doch dabei stiftet sie etwas, was mit Pünktlichkeit allein nicht aufzuwiegen ist: Gemeinschaft.

Bahn bashen ist blöd. Ist langweilig, kann jeder, macht jeder. Bahn bashen ist wohlfeil, ist eine self fulfilling prophecy: „Was, du fährst mit dem Zug?“, fragen die Leute, „von Berlin nach München? Du Armer!“ Und dann stehe ich auf dem Bahnsteig und der Zug kommt natürlich erst mit 40 Minuten Verspätung, dann heißt es, dass es 90 Minuten werden, und am Ende sind es 138 Minuten. Pah, die Deutsche Bahn. Und überhaupt: Wie lautet der Sammelbegriff für Inkompetenz, Unfreundlichkeit, Missmut? Schaffner! So reden die Leute.

Es war Mittwoch vor einer Woche. Da bin ich tatsächlich von Berlin nach München gefahren. Mit dem Zug. Weil auf die Schnelle kein bezahlbarere Flieger zu bekommen war und überall gespart wird und alle sparen und so eine Reise mit dem Auto schon auch eine Umweltsünde ist, selbst wenn man nur im Stau steht. Also mit dem Zug. 18.21 Uhr ab Hauptbahnhof. Und? Was soll ich sagen? Es war der Horror, der reine Horror. Der dauerte am Ende zehn Stunden. Schuld der Deutschen Bahn, keine Frage!

Stimmt aber nicht. Schuld waren diese Idioten, die Brandsätze an Gleise gelegt hatten. Dies ist eine seriöse Zeitung, also sagen wir wir diesen Idioten nicht direkt ins Gesicht, was sie sind, sagen wir: „Ihr Idioten! Ihr Gesäße mit Öffnung!“

Eins haben sie nicht geschafft. Sie haben mir meinen Spaß am Bahnfahren nicht verleidet. Zehn Stunden Horror, reiner Horror – und dabei doch auch ein gewaltiger Trost. Weil die Fahrt den erneuten Beweis erbrachte für die stille Übereinkunft der Menschen, dass es so etwas wie Solidarität gibt. Mag sein, dass die weitgehend gelassene Stimmung im Zug, eine Art fröhlicher Fatalismus, an der zufälligen Zusammensetzung der Passagiere lag. Mag sein. Aber ich habe dergleichen schon einmal erlebt. Das war im Januar 2007, als Kyrill über das Land tobte und Deutschland wegzufliegen drohte. Der Plan war gewesen, nach Sylt zu fahren, nach Westerland, dem Sturm entgegen. Aber der Plan war nicht aufgegangen, weil immer wieder Bäume auf den Gleisen lagen und der Zug umgeleitet werden musste und zumeist nur im Schneckentempo fahren konnte. Und da waren dann die Zugbegleiter, der Zugführer, die, die man früher Schaffner nannte, und die, die die Nerven behielten und die gute Laune. Immer wieder mussten sie schlechte Nachrichten überbringen, und immer taten sie es mit großer Freundlichkeit, ebenso großem Einfühlungsvermögen und Verständnis. Eigentlich hatten das Bordrestaurant und das Bistro geschlossen, weil dies schon ein Ersatzzug war, aber dann öffneten die „Schaffner“ beides und schenkten aus, das heißt, sie schenkten Getränke und Speisen einfach her. Und weil auf so einer Reise auch der ein oder andere, unter anderen ich, ein anderes Bedürfnis hat, erklärte der Zugführer kurzerhand einen Waggon zum Raucher-Salon. Wenn die Bahn, wenn ihre Bediensteten, anarchiefähig sind – also, wenn das nicht aller Ehren wert ist, was dann? Die Fahrt endete damals in Hamburg. Um 3.19 Uhr. Vorher hatte der Zug noch in Bergedorf gehalten. Außerplanmäßig. Weil eine Mutter mit kleinem Kind dort wohnte. Herz und Anarchie, da kann einem doch das Herz übergehen über die Deutsche Bahn.

Meine jetzige Fahrt endete weit nach vier Uhr in der Früh in München. Vorher waren die Zugbegleiter wieder unaufgeregt durch den Zug gelaufen, hatten Scherze gemacht und Mitleid gezeigt, hatten Kellner gespielt auch in der zweiten Klasse, hatten die Raucher darauf hingewiesen, an welchem Bahnhof der Zug einen längeren Aufenthalt hat und eine Rauchpause draußen vor der Tür erlaubt und hatten sich die Finger auf dem Handy wund getippt wegen Anschlusszügen und vor allem immer wieder den Münchner Flughafen angewählt. Es saßen nämlich eine Menge Reisende im Zug, die in den Urlaub fliegen wollten, die meisten nach Mallorca. Und allen wurde Entwarnung gewährt, „es wird knapp, aber Sie kriegen Ihren Flieger“. Servicewüste Deutschland, Servicewüste Bahn?

Nur einmal auf dieser Fahrt, da waren auch die aufmerksamen und eifrigen Menschen von der Bahn machtlos. Da war nach einem Aufenthalt, die Rauchpause wieder zu Ende, die Raucher stiegen ein, die Türen schlossen sich, der Zug rollte los. Und draußen standen ein Mann und eine Frau, auch die hatten – unabhängig voneinander – nach Mallorca gewollt, aber die Kippen zu spät ausgemacht und nicht aufgepasst. Man mag das Malheur der Bahn anlasten, aber genauso gut kann man dem Mann und der Frau draußen auf dem Bahnsteig den Anfang einer wunderschönen Liebesgeschichte andichten.

Kurz nach Nürnberg ging der Zugführer wieder durch die Waggons, verteilte Formulare für eine mögliche Fahrpreiserstattung und verteilte Schokolade. Da waren die Menschen längst noch näher zusammengerückt, einer hatte Rotwein im Gepäck, der wurde geöffnet und ausgeschenkt. Man war müde, aber gut gelaunt und vereint in der Not. Der reinste Horror. Und Dank an die Männer und Frauen von der Deutschen Bahn.

Schlechte Nachrichten überbrachten die Schaffner mit großer Freundlichkeit und ebenso großem Einfühlungsvermögen.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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