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Berlin: Soll die wieder errichtete Mauer am Checkpoint Charlie stehen bleiben?

Paris ist die Stadt der Liebe. London hat königliches Flair.

Paris ist die Stadt der Liebe. London hat königliches Flair. In Barcelona tobt das Nachtleben. Der touristische Reiz Berlins ist nicht so leicht auf eine Formel zu bringen. Ein hübsches Zentrum suchen Besucher vergebens. Das liegt an den Spuren, die Krieg und Teilung hinterlassen haben. Aber genau die machen Berlin auch interessant. Das sieht man an der East Side Gallery: Fast immer trifft man auf Touristen, die an der tristen, vierspurigen Mühlenstraße Erinnerungsfotos von der Restmauer knipsen. Auch wenn die Mauer für die Berliner mit schlimmen Erinnerungen verbunden ist: Für Besucher gehört sie zum Programm wie die Pyramiden zu Ägypten. Auch junge Berliner, die die Mauer nicht erlebt haben, wollen begreifen, wie man Millionen Menschen einsperren konnte. Was spricht dagegen, ihnen im Zentrum, neben dem Haus am Checkpoint Charlie, ein Stück Mauer zu zeigen? Gut, die Mauer steht dort nicht am historisch korrekten Ort (was schon aus Verkehrsgründen nicht geht). Aber historisch korrekt ist die East Side Gallery auch nicht, mit ihren Graffitis auf der Ostseite. Jede Erinnerung an die Mauer ist heute Inszenierung. Dabei hat die East Side Gallery einen entscheidenden Nachteil: Dort, wo sie steht, stört sie nicht. Die neue Mauer am Checkpoint Charlie dagegen stört sehr wohl – und belebt gerade so die wichtige Diskussion darüber, wie die Stadt dieses Teils ihrer Geschichte gedenken soll.

Manchmal hat man gar nicht so viel Spucke, wie einem wegbleiben könnte. Da baut jemand ein paar Betonsegmente auf, nennt das „ein Mahnmal“ an die Mauer – und meint es ernst. Kein ironischer Scherzbold war da am Werk, auch kein Künstler, der etwa die fortwabernde deutsch-deutsche Ost- West-Diskussion reflektieren wollte. Das wäre ja schlimmstenfalls nur närrisch. Doch das bisschen Mauer aufstellen lassen hat Alexandra Hildebrandt, Leiterin des Hauses am Checkpoint Charlie, dieselbe, die in der Nähe ihres Mauermuseums keine Bratwurstbude dulden will und keine Studenten in Kostümen alliierter Soldaten – weil sie durch solchen „Jahrmarkt“ die Maueropfer verhöhnt sieht. Folgt man ihrer Argumentation, ist ihr „Mahnmal“ aber nichts anderes als eben dies: eine Verhöhnung der Opfer. Die Mauer war nicht das harmlose, graffitiüberzogene Fotomotiv von 3,60 Meter Höhe, wie es jetzt aufgestellt wurde, sondern da waren zwei Mauern, dazwischen der Todesstreifen mit Schießbefehl – eine unmenschliche, tödliche Monströsität. Nur allzu verständlich, dass die Berliner sie nach 1989 so schnell und gründlich wie möglich beseitigt haben. Zwar wird seither darum gestritten, wie und wo Erinnerung, Information und Gedenken ermöglicht werden kann. Aber das ist weder ein Grund, die Mauer an irgendeinem Ort wieder aufzubauen noch gar eine entschärfte Replik stehen zu lassen, die die Geschichte des Originals bloß verstellt. Holger Wild

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