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Berlin: Sollen Demos am Holocaust-Mahnmal verboten werden?

Das Versammlungsrecht genießt unter den Interpreten der Verfassung so etwas wie Kultstatus – anders kann man es nicht nennen, wenn Gruppierungen jeder politischen Provenienz im Sinne der Meinungsfreiheit das Recht zum öffentlichen Auftritt an fast jedem Ort in Anspruch nehmen können. Vielleicht ist man in der Demonstrationshauptstadt Berlin ein bisschen überempfindlich in Anbetracht der exzessiven Nutzung des Demonstrationsrechts – ganz sicher ist das Holocaust-Mahnmal der richtige Ort und seine bevorstehende Eröffnung die beste Gelegenheit, das Demonstrationsrecht zu überprüfen.

Das Versammlungsrecht genießt unter den Interpreten der Verfassung so etwas wie Kultstatus – anders kann man es nicht nennen, wenn Gruppierungen jeder politischen Provenienz im Sinne der Meinungsfreiheit das Recht zum öffentlichen Auftritt an fast jedem Ort in Anspruch nehmen können. Vielleicht ist man in der Demonstrationshauptstadt Berlin ein bisschen überempfindlich in Anbetracht der exzessiven Nutzung des Demonstrationsrechts – ganz sicher ist das Holocaust-Mahnmal der richtige Ort und seine bevorstehende Eröffnung die beste Gelegenheit, das Demonstrationsrecht zu überprüfen. Jeder weiß doch, dass zu diesem Recht nicht allein die Möglichkeit, sich zu äußern gehört; es gehört dazu auch die Möglichkeit, das Publikum mit dieser Äußerung zu konfrontieren, sie ihm zuzumuten. Nirgendwo in der Verfassung ist davon die Rede, dass diese Zumutung an jedem öffentlichen Ort stattfinden darf. Das Mahnmal soll auf das größte Verbrechen der deutschen Geschichte verweisen und an seine Opfer erinnern – es wird aber auch auf den moralischen Grundkonsens der deutschen Nachkriegsgeschichte verweisen. Ein hochpolitischer Ort also, der Schutz etwa durch eine demonstrationsfreie Zone verdient, nicht weniger als der Reichstag. Womöglich wird sich das Bundesverfassungsgericht abermals mit dem Demonstrationsrecht zu befassen haben. Aber seine bisherigen Urteile sind nicht in Stein gemeißelt.

Mit Fahnen und dem Ruf „Ruhm der Waffen-SS“ zogen im Jahr 2000 die Neonazis zum Bauplatz des Holocaust-Mahnmals und dann durch das Brandenburger Tor. Politiker von rechts bis links waren sich einig: Man wolle alles tun, um solche Aufmärsche samt Fernsehbildern zu verhindern. Doch Berlins Innensenatoren mussten Niederlagen in Serie einstecken: Die Verbote der NPD-Demos scheiterten jedes Mal am Verwaltungsgericht. Das Versammlungsrecht kennt „kein Gesinnungsrecht“, urteilten die Richter: Man kann Rechtsradikale nicht grundsätzlich am Demonstrieren hindern. Das Demonstrationsrecht ist ein organisierter Minderheitenschutz in der Verfassung und deshalb eines ihrer heiligsten Güter – basta. Die NPD-Anwälte konnte man jedes Mal hoch erhobenen Hauptes den Gerichtssaal verlassen sehen – und die Neonazis entwickelten erst richtig Spaß daran, mit immer neuen Aufmärschen zu provozieren. Jetzt also der Vorstoß von Schily: Demos am Holocaust-Mahnmal sollen verboten sein, „wenn die Versammlung geeignet ist, die menschenunwürdige Behandlung der Opfer zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen“. Es dürfte den NPD-Anwälten eine besondere Freude sein, diesen Vorwurf für jeden einzelnen Umzug vor Gericht zu entkräften und auch noch den Bundesinnenminister zu düpieren. Die Glatzen ziehen dann eben unter dem Motto „Menschenwürde für alle“ am Holocaust-Mahnmal vorbei. Das will nun wirklich keiner erleben. Katja Füchsel

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