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Berlin: Sollen die Sprayer härter bestraft werden?

Härtere Strafen zu fordern, ist oft die Kapitulation vor Schwächen bei der Erziehung. Was hilft’s?

Härtere Strafen zu fordern, ist oft die Kapitulation vor Schwächen bei der Erziehung. Was hilft’s? Gegen das allgegenwärtige Schmieren von „tags“ ist kein Kraut des Verständnisses mehr gewachsen. Berlin ist, was eine starke Minderheit „weltstadt-tolerant“ zur Kenntnis nimmt, verschandelt wie keine andere Metropole der Erde. Warum? Weil keine wirklichen Strafen drohen! Graffiti geht, obwohl Millionenschäden auch für Steuerzahler entstehen, bislang nur mit quälender Mühe als Straftatbestand durch. Graffiti aber ist ein Weg in die Kriminalität, sagen Experten aus Skandinavien und verhängen – mit Erfolg – hohe Geld- und Haftstrafen, bis zu 300 000 Euro oder bis zu sechs Jahren. Wir sollten uns daran orientieren. In Berlin aber gilt Schmieren als Kavaliersdelikt, und wer sich darüber aufregt, wird als „Saubermann“ belächelt. Wer die Blicke von Touristen sieht, die bei S-Bahnfahrten aus zerkratzten Scheiben auf ein unendliches Krakelband starren, muss sich für seine Umgebung, für sich selbst schämen. Er lebt in einer Stadt, die ganz offensichtlich wenig auf sich hält. Der es egal scheint, dass der Anblick ganzer Straßenzüge für sensible Gemüter an Körperverletzung grenzt. BVG und Bahn kapitulieren. Hauseigentümer auch. Mieter, die das Gekrakel übertünchen, werden sogar angezeigt. Wenn von Hubschraubern aus Schmierer gejagt werden, klingt das nach Effekthascherei. Noch wichtiger als angeblich schärfere Kontrollen sind härtere Strafen.

Nachts schrecken neuerdings Hubschrauberrotoren die Berliner aus dem Schlaf. Wie in Los Angeles, wo Polizisten mit Infrarotkameras auf die Jagd gehen nach Mördern, Schmugglern, Schwerverbrechern. Bei uns suchen Helikopter des Bundesgrenzschutzes indes Jugendliche mit Spraydosen. Berlin muss sauber werden! Schmierfinken hinter Gitter! So lautet das Credo der Nofitti-Fraktion. Doch solche Aktionen gegen Graffitisprayer sind unverhältnismäßig und übertrieben. In Berlin wird man auf Dauer mit den Law-and-Order-Methoden nichts erreichen. Wenn den Jungs und Mädels an der Dose wie in Skandinavien auch hierzulande hohe Geld- und Haftstrafen drohen würden, wäre das für sie nichts als Provokation: Jetzt erst recht, umso mehr Ruhm erlangt man hinterher in der Szene. Und wenn man die Sprüher doch erwischt? Diejenigen, die viel Geld zahlen müssen, würden hoch verschuldet womöglich viel schwerere Straftaten folgen lassen. Und jene, die Strafen absitzen, lernen im Knast Freunde ganz anderen Kalibers kennen. Nein. Härtere Strafen kommen den Steuerzahler letztlich teurer zu stehen als das, was die Reinigung beschmierter Wände derzeit kostet. Wer Sprayern beikommen will, schafft das nicht mit der Keule, sondern nur mit Fingerspitzengefühl. Verschafft den Underdogs, die durchs Sprühen im übertragenen Sinne um Hilfe rufen, Ausbildungsplätze, Aufmerksamkeit, Anerkennung. Und mal ganz ehrlich: Wäre das noch Berlin: blitzeblank, geleckt, steril? Annette Kögel

Christian van Lessen

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