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Gute Aussichten. Nach einem konkurrenzlos trüben Mai erstrahlt die Stadt jetzt in der warmen Sommersonne. Regen gibt’s frühestens in der Nacht zu Montag wieder. Foto: ddp

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Berlin: Sonnenlicht am Ende des Tunnels

Plötzlich ist Sommer, obwohl es gar kein richtiges Frühjahr gab. Wie es ist, wenn Berlin eine Saison überspringt. Und warum der Rasen auch weiter grün bleibt

Draußen nur Mützchen, lautet die Devise auf den Dampfern an diesem Supersommerwochenende. Im Dreiminutentakt tuckern sie die Spree entlang, die Oberdecks voll mit Menschen, die fast durchweg Hüte tragen. Kein Wunder: So viel Sonne verträgt nicht jeder nach den langen trüben Monaten. Als wären wir mit dem Winter nicht genug gestraft gewesen, hat selbst der Mai noch Trübsal geblasen – mit deutlichen Konsequenzen, aber dazu später. Jetzt jedenfalls ist der Sommer da, ohne dass sich jemand an ein Frühjahr erinnern kann. Der Vorteil dieses Blitzstarts ist ungewohnte Sommerfrische: Der leidgeprüfte Rasen in den Parks grünt wie sonst nur auf Golfplätzen, die Nachtigallen singen aus dschungelhaftem Dickicht zu den Leuten, die sich auf den Wiesen aalen oder sich schweißtriefend Bikinifiguren und Waschbrettbäuche erjoggen. An diesem Wochenende lässt sich die mentale Renaissance der Stadt erleben. Es sind derart viele Menschen unterwegs, dass man sich fragt, wo die sich während der vergangenen Monate alle versteckt haben.

Kerstin Jäger vom Hotel- und Gaststättenverband weiß es: Zu Hause. Ob Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten – „war alles nicht zum Draußensitzen“, sagt sie und nennt Zahlen des Amtes für Statistik: 2,7 Prozent weniger Umsatz haben Gaststätten, Restaurants und Imbisse im ersten Quartal gemacht, „und das Gefühl sagt, dass es im zweiten Quartal noch viel schlechter aussehen wird“. Dass im Gegensatz dazu die Caterer um 14 Prozent zugelegt haben, liegt wohl weniger daran, dass die Leute sich bei dem Mistwetter Speis und Trank nach Hause liefern lassen haben, sondern eher an der Wiederbelebung des Tagungsgeschäfts nach dem Tiefpunkt der Krise vor einem Jahr.

An diesem Sonnabend sind die Cafés und Strandbars entlang der Spree jedenfalls voll wie selten. Am Ticketschalter der Stern- und Kreis-Schifffahrt am Treptower Park steht eine lange Schlange. Nach Auskunft von Geschäftsführer Jürgen Loch ist die Nachfrage vor allem auf den Ausflugsrouten in den Außenbezirken stark wetterabhängig. Übers Jahr gesehen habe sich der Umsatz allerdings bisher immer halbwegs ausgeglichen.

Man möchte ohnehin nicht rückblickend meckern an diesem strahlenden Tag. War das Frühjahr überhaupt so schlimm, wie es uns vorkam?

Durchaus: „Der Mai war nicht nur gefühlt blöd, sondern tatsächlich“, sagt Jörg Riemann vom Wetterdienst Meteogroup. Statt der statistischen 222 Stunden schien die Sonne in diesem Mai nur 94, und an neun Tagen überhaupt nicht. Normalerweise sind es nur zwei; so trübe wie dieser war kein anderer Mai in den vergangenen 100 Jahren. Ohne Sonne keine Wärme; deshalb war es auch 2,4 Grad zu kalt. Und die 78 Liter Regen (statt der üblichen 55) waren auch nicht nach jedermanns Geschmack, Kleingärtner und Angler vielleicht ausgenommen.

Aber wir wollten ja positiv denken und halten deshalb fest, dass die gelbgrüne Schicht der Kiefernpollen diesmal nicht so dick und zäh war wie sonst. Und in der Innenstadt ist sie ohnehin weniger präsent. Hier nutzen manche der in den besten Jahren befindlichen Männer das Wetter, um in der Wohlfühl-Kombi aus weißen Tennissocken und Herrensandalen zu flanieren. Aber man muss ja nicht hingucken, zumal auch die Frauen wieder luftige Sachen tragen. Sommerkleider wehen im Wind an den Ufern der Spree, wo vor kurzem noch Kragen hochgeklappt und Köpfe eingezogen wurden. Fehlt noch was? Ja, das Kindergequietsche am Springbrunnen vor dem Kanzleramt. Vielleicht wird der nur angeknipst, wenn die Bundesregierung es verdient hat. Im Moment ist er jedenfalls trocken.

Zur Sonne kommt das wunderbar klare Licht, das den Fernsehturm glänzen lässt wie frisch poliert. Der Kaufhof zu seinen Füßen ist so mittelgut besucht. Wie ist es eigentlich für die Läden, wenn das Frühjahr ausfällt? Geht so, heißt es beim Handelsverband. Die Sommersachen liefen mau, aber dafür haben die durchgefrorenen Touristen Umsatz gebracht, die in ihren Reiseführern vorab etwas von holdem Mai gelesen hatten und demzufolge dringend warme Sachen brauchten. Christian Tänzler von der Tourismusgesellschaft BTM sagt, dass die Stadt zwar gut gebucht gewesen sei, aber Angebote wie Freiluftkinos, Strandbars und Stadtführungen ganz schlecht liefen.

Louis Schneider, der die Freiluftkinos Friedrichshain, Kreuzberg und Rehberge betreibt, beschreibt es so: An den ungemütlichsten Tagen kamen „fünf bis zehn Besucher, aber zuletzt hat es schon gereicht, dass es nicht geregnet hat – da saßen gleich 40 da“. Die Ansprüche ans Wetter sind also mit zunehmender Dauer der Misere gesunken, und im Übrigen sei die Saison noch jung.

Als sie noch ganz jung war, im April, kamen durchschnittlich 128 Gäste täglich ins Strandbad Wannsee. Im Mai waren es noch 87. Die Gewöhnung ans Mistwetter funktionierte also nicht überall.

War das, was die Stadt gestern erstrahlen ließ, wirklich schon Sommer? Ja, aber ganz knapp, sagt der Meteorologe, für den ein Sommertag bei 25 Grad beginnt: 25,2 Grad waren es in Dahlem am Samstag zwischen 16 und 17 Uhr. Das soll heute überboten werden: Etwa 27 Grad bei Sonne plus Postkartenwolken sind angesagt. Die ersten beiden Sommertage also seit mehr als acht Monaten. Am letzten meteorologischen Sommertag, dem 20. September, war Steinmeier noch Außenminister. So lange ist das her. Am Montag wird es wieder kühler und schaurig, so dass die Stadt schön grün bleibt. Und wer das Anti-Sonnen-Mützchen lästig oder uncool findet: In gut zwei Wochen werden die Tage wieder kürzer.

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