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Berlin: Sonntags um Zehn: Alles möglich - bloß nicht abtauchen

Im entscheidenden Moment bleibt die Luft weg. Und dann das Auftauchen.

Im entscheidenden Moment bleibt die Luft weg. Und dann das Auftauchen. Das weiße Taufgewand ist triefnass, nacheinander verschwinden die drei Jugendlichen und zwei Erwachsenen durch eine versteckte Tür und kommen erst wieder in die Kirche zurück, als sie abgetrocknet und umgezogen sind. Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Schöneberg in der Hauptstraße, die der Glaubensrichtung der Baptisten angehört, tauft keine Kinder. Wer hier dazugehören will, muss sich dazu von Pastor Michael Noss tief ins Taufbecken drücken lassen. Bei den Baptisten ist das so üblich; es können aber auch Leute getauft werden, die als Kind das Sakrament schon einmal empfangen haben. Das Auftauchen ist symbolisch zugleich ein Eintauchen - die fünf "Neuen" werden an diesem Sonntag fest in die Gemeinde der Baptisten und damit in eine scheinbar heile Welt aufgenommen.

Die Bankreihen des frommen Hauses in der Hauptstraße sind gestern gut gefüllt, ebenso die Klingelbeutel. Auffällig sind für den zufälligen Besucher die vielen jungen Leute, die am Gottesdienst teilnehmen. In der Gemeinde gibt es zwei Chöre, Sport- und Betreuungsangebote, sogar einen eigenen Buchladen und einmal im Monat findet man sich nach dem Gottesdienst zu einem gemeinsamen Mittagessen zusammen. Auch wenn der Gottesdienst fast zweieinhalb Stunden dauert, murrt hier keiner, und niemand geht früher. Nur Abtauchen, das ist hier nicht vorgesehen und auch nicht erwünscht. In der Schöneberger Baptistengemeinde kommt es auf ein öffentliches Bekenntnis an: In der Taufe, in der Teilnahme am Gottesdienst, auch im spontanen, emotionalen, lauten Beten. Wer Glauben für eine Privatsache hält, die auch in der Gemeinde niemanden etwas angeht, ist hier fehl am Platze.

Die Liebe Gottes zu den Menschen, diese Botschaft steht ganz im Vordergrund. Auf sie beziehen sich die manchmal etwas gefühligen Lieder. Auf diese Liebe geht gestern Pastor Noss in seiner Predigt besonders ein. Es geht (2. Korinther 4,6-10) um die Aufgeregtheiten in der frühchristlichen Gemeinde und um die nötige Orientierung, die Paulus den Korinthern im Licht Christi zusagt. Die Passage "Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns" deutet Noss als Warnung vor der Zerbrechlichkeit der Menschen. Die Absage an den Hochmut der selbst ernannten Retter kommt eher am Rande vor. Doch wird den Täuflingen nicht vorgemacht, für sie werde jetzt alles ganz einfach. Trotz der Geborgenheit in einer lebendigen und mit modernster Technik gut ausgestatteten Gemeinde. "Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen", setzt Noss den Predigttext mit einer Passage aus dem Römerbrief (6,4) in Verbindung: "So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln." Darum auch das Untertauchen. Kurz ist den Täuflingen die Luft abgeschnitten, die symbolische Waschung ist auch Sinnbild des Sterbens mit Christus. Doch das, sagen die drei jüngeren Gemeindemitglieder, die zu einer Art Talkshow an den Altar geladen sind, ist eben auch Teilhabe an der Auferstehung.

Jörg-Peter Rau

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