zum Hauptinhalt

SONNTAGS um zehn: Beten für Versöhnung

Gottesdienst in der Charlottenburger Friedenskirche.

Die Werbung für Pro Reli klebte in jeder Bankreihe: Kleine gelbe Haftnotizen mit der Aufschrift „Nicht vergessen: Am Sonntag zur Wahl gehen und mit Ja stimmen!“ begrüßten die rund 35 Menschen, die sich gestern in der Friedenskirche an der Charlottenburger Tannenbergallee zum Gottesdienst versammelt hatten. Doch die kleinen Zettel sollten lange Zeit die einzige Erinnerung an die Volksabstimmung bleiben.

Denn in der Predigt von Pfarrer Markus Götz-Guerlin kam Pro Reli gar nicht vor. Im Gegenteil: Statt zur Teilnahme am Volksbegehren aufzurufen, ermunterte der Theologe die Gemeinde dazu, manchmal auch mal „Nein“ zu sagen. Das sei die Quintessenz der biblischen Geschichte vom guten Hirten, die der vorgegebene Predigttext dieses Sonntags war. Der im Johannesevangelium überlieferte Bibeltext berichtete davon, wie ein Schäfer seine Herde gegen die Wölfe verteidigt und dabei stirbt. Ein anderer lief dagegen aus Furcht einfach davon. „Was hat denn der gute Hirte eigentlich besser gemacht?“, fragte Götz-Guerlin am Rednerpult der protestantisch-nüchternen, ganz in weiß gehaltenen Kirche. Seine Antwort: „In beiden Fällen bekommen die Wölfe die Schafe.“ Selbstaufgabe sei also nicht gefordert. „Christus ist der gute Hirte, nicht wir“, sagte Götz-Guerlin. „Wir müssen nicht immer alles mitmachen und uns für alles einsetzen.“

Für die Teilnahme an der Volksabstimmung galt das gestern nicht. Nachdem die Gemeinde zu den Gottesdiensten des nächsten Sonntags, dem Kaffeenachmittag und dem ökumenischen Gemeindeausflug eingeladen wurde, gab die dafür zuständige Lektorin noch den Hinweis auf die Volksabstimmung: „In Bezug auf Pro Reli wird es viel nutzen, wenn Sie heute zur Wahl gehen. Bitte gehen Sie zur Wahl!“ Einem älteren Gottesdienstbesucher war das nicht genug Reklame: „Stimmen Sie mit Ja!“, rief er mit lauter Stimme in den Kirchenraum hinein.

In der Friedenskirche indes wurde gestern noch einmal gebetet. Allerdings nicht für Pro Reli, sondern für „Frieden und Versöhnung“ in der Stadt. Gott sollte es möglich machen, dass die Menschen wieder miteinander reden und im Gespräch bleiben, sagte Markus Götz-Guerlin in seiner Fürbitte, „auch nach dem heutigen Abend“, auch nach den Ergebnissen der Volksabstimmung zu Pro Reli. Benjamin Lassiwe

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false