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SONNTAGS um zehn: Das Erhabene im Keller

Bei den „Heiligen Erzengeln Michael und Gabriel“ in der rumänischen Gemeinde.

Es gibt während der zweistündigen Liturgie der rumänisch-orthodoxen Gemeinde „Die Heiligen Erzengel Michael und Gabriel“ einen einzigen Moment, in dem kein Lied, kein Gebet, keine Ansprache des Priesters im beige-goldenen Gewand, kein Gemurmel, kein die Dramatik des Rituals markierendes Klingeln oder Klappern seiner Helfer vorn im Altarraum zu hören ist: sondern nur, wie von fern, das Verkehrsrauschen vor der Tür.

Um zu diesem Höhepunkt der Geheimnisfeier zu gelangen, hat der Besucher zunächst neben einem Kirchenrohbau an der Charlottenburger Heerstraße die Kellertreppe unters Gemeindehaus absteigen, einen langen Gang zur Unterkirche gehen müssen, vorbei an einer Kammer, in der Wein, Brot, brennende Kerzen für ein späteres Mahl vorbereitet werden. Die Katakombe dient den Rumänen derzeit als Notlösung, weil ihr erstes Berliner Gotteshaus, eine alte evangelische Kirche, kurz nach dem 1943 erfolgten Ankauf durch Bomben zerstört wurde, und nachdem 2009, beim Bau der zweiten Kirche, ihr Pfarrer tödlich verunglückt war. Den Kellersaal mit deckennahen Fensterschlitzen sollen Bilder, jene Ikonen, die Männer und Frauen samt goldenem Heiligenschein zeigen, in einen besonderen Ort verwandeln. An einer Bilderwand mit drei Türen, deren rechte und linke ein roter Vorhang verschließt, hängen zwei Ikonen der Mutter Jesu, auf einer trägt sie ihr Kind; ein Bild zeigt ihren großen Sohn segnend, daneben seinen Wegbereiter, den Täufer Johannes. Durch die Mitteltür sieht man einen Altar, ein Kreuz, Leuchter, ein Pult. Die Bilderwand sei keine Sperre, sondern das Tor in den Himmelsbereich des Altars, auf dem Jesus Christus, der Sohn Gottes, thront und sich für die Menschen opfert – so erklärt eine Tafel oben an der Straße die Bedeutung des Kirchenraumes.

Zu Beginn sind rund 50 Personen im Raum gewesen, fortwährend kommen weitere; zuletzt knien über 100 auf Kissen oder stehen, bis in den Eingang des Raumes, der noch von roher Holzverschalung eingefasst ist. Stühle gibt es wenige. Kinder schlafen auf dem Arm der Mutter, spielen in einer Ecke. Frauen tragen Kopftuch oder Highheels, manche Kostüm, lange Kleider, Männer knappe Anzüge, Jeans und Sweatshirt: gemischtes Großstadtvolk, wenig Migrantenkolorit. Fast alle beteiligen sich singend an den Riten, und vor allem durch Bezeugung ihrer Ergriffenheit vor dem Heiligen. Das Heilige, das Andere, das Erhabene ist für diese Gläubigen ihr Gott. Sie bekreuzigen sich immer wieder, wobei Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengelegt symbolisieren, dass dieser Gott ein dreieiniger sei, während zwei zur Handfläche weisende Finger an die göttliche und menschliche Natur Jesu erinnern. Sie verbeugen sich, manchmal kniend und bis zur Erde, küssen Ikonen, in denen für sie ein Abglanz des Heiligen präsent ist, und ein Kreuz, das von Blumen umkränzt auf einem Pult vor der Ikonenwand liegt. Sie zünden kleine Kerzen an.

Die Sprache dieses Morgens ist rumänisch, dazwischen Gebete auf Deutsch: „Du hast nicht nachgelassen, alles zu tun, bis du uns in den Himmel erhoben hast.“ Die Erzählung von Jesus, wie er resignierten Fischern einen Megafischfang schenkt und die Fassungslosen zu Menschenfischern beruft, wird zweisprachig verlesen. Später teilt der Priester an einige Babys, Kinder, Erwachsene mit einem langen Löffel die göttliche Speise aus. Ein rotes Tuch verhindert, dass etwas zu Boden fällt. Zuvor hatte er am Altar dieses Tuch über Brot und Wein, die Leib und Blut Christi werden sollen, geschwenkt: als Symbol für den Hauch des Heiligen Geistes. Die Gemeinde betete das Credo von der Menschwerdung ihres Gottes. Ein dreifaches „Amen“ schürte die Spannung. Dann Stille. Das Heilige ist offenbar nicht herzustellen, es ist da – oder geschieht. Thomas Lackmann

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