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SONNTAGS um zehn: Das Wort, ein frommer Fluss

Bei der Freikirchlichen Gemeinde Hasenheide

Das Predigtthema klingt kryptisch: „Auserwählte in Neuheit des Lebens“. Also auf nach Kreuzberg zur Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde, Hasenheide 21, um mal zu horchen, was für seltsame Dinge sie dort so reden. Allerdings erweist sich dann weder der Gottesdienst noch die in pietistischer Tradition stehende Gemeinde als leicht abzutun. Im Gegenteil.

Zentrum des großen schlichten Gemeindesaals ist ein wuchtiges Rednerpult, das statt Altar, Kreuz oder religiösem Zierrat an der Stirnseite steht. Sozusagen die Holz gewordene Botschaft, dass hier das Wort im Mittelpunkt steht. Bis 1930 war der heute schmucklose Putzbau ein Kino, dann zog die 1908 gegründete Gemeinde ein. 1000 Gläubige hatte Gründungspfarrer Heinrich Großmann, ein Baptist, vor 100 Jahren durch sein Predigtzelt am Hermannplatz um sich geschart.

Vor knapp 100 der heute 135 Gemeindeglieder beginnt der Gottesdienst mit launig-familiären Eröffnungsworten und Grüßen von Brüdern und Schwestern, mit Lied und Bibellesung. Anders als euphorisch geprägte Evangelikale kommen diese konservativen Christen ohne Mitklatschen, Gestikulieren und endlose Lobpreisgesänge aus. „Wir haben manchmal auch Sakralpop und Leute, die über ihre Glaubenserlebnisse sprechen, dabei“, sagt später ein Richter aus Rudow, der im Gemeindevorstand ist. Aber allzu penetrantes Lobpreisen empfänden sie hier als manipulativ.

Ähnlich sieht es auch der entspannte Gastprediger. Viele Leute glaubten, wenn man sich mit der Bibel beschäftige, müsse man vorher den Verstand an der Garderobe abgeben, sagt Wolfgang Kernchen. „Dabei ist sie voller Denkanstöße.“ Der greise Kaufmann aus Oberursel ist seit 50 Jahren als Wanderprediger im Auftrag des Herrn unterwegs und häufig in Berlin zu Gast. Auch der Richter aus Rudow predigt hier, legitimiert durch den Glauben an das allgemeine Priestertum von Laien. Deren Bibelauslegung zählt in der Gemeinde Hasenheide so viel wie die studierter Theologen.

Und was sind nun „Auserwählte in Neuheit des Lebens“? Damit meine der Apostel Paulus die christliche Verheißung, durch den Glauben an Jesus ein völlig neues Leben und einen ganz neuen Geist zu bekommen, sagt Prediger Kernchen. In Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Vergebung und Liebe.

Und während die Gottesdienstbesucher sich in ernsthafte Bibelforscher verwandeln, die Stellen anstreichen und Notizen machen, springt der assoziativ plaudernde Bibelkenner vom Kolosser- zum Römerbrief, zu Moses, ins griechische Original, in Glaubensanekdoten oder Psalter. Ein frommer Fluss biblischer Gelehrsamkeit. Gunda Bartels

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