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Berlin: Sonntags um zehn: Gesetz und Unrecht

Der Große Kurfürst - "Wir Friedrich Wilhelm" - tat 1685 im Potsdamer Edikt kund, den in ihrer französischen Heimat verfolgten Protestanten sei "eine sichere und freye Retraite in alle unsere Lande und Provincien in Gnade zu offeriren". Was den Sprachpuristen von heute ein Gräuel sein dürfte, ist noch heute an der Französischen Friedrichsstadtkirche nachzulesen.

Der Große Kurfürst - "Wir Friedrich Wilhelm" - tat 1685 im Potsdamer Edikt kund, den in ihrer französischen Heimat verfolgten Protestanten sei "eine sichere und freye Retraite in alle unsere Lande und Provincien in Gnade zu offeriren". Was den Sprachpuristen von heute ein Gräuel sein dürfte, ist noch heute an der Französischen Friedrichsstadtkirche nachzulesen.

Ein Vermächtnis von Toleranz und Wachsamkeit, dem man sich in jener Kirchengemeinde verpflichtet zu fühlen scheint. Stellungnahmen zum Zeitgeschehen durchzogen jedenfalls den Gottesdienst, der jedoch keineswegs die Theologie der Politik unterordnete. Das begann schon, als der Liturg zu Beginn des Gottesdienstes von einem "Reinigungsprozess" sprach, der derzeit Berlin durchziehe und dessen Beteiligten man in die Fürbitten einschließen möge. Wem nicht sofort ganz klar war, was er damit meinte, dürfte es verstanden haben, als er von dem Zynismus sprach, der sich in den dabei "ausgeworfenen Pensionen" zeige.

Derzeit wird in den Gottesdiensten eine Predigtreihe gehalten, die sich Schritt für Schritt durch das 1. Buch Mose tastet. Pfarrer Day kam am gestrigen Sonntag die ziemlich schwierige Aufgabe zu, sich dem 16. Kapitel zu widmen, in dem Sara nach zehnjähriger Kinderlosigkeit die Magd Hagar als Ersatzfrau für Abraham auswählt, sie jedoch schwanger verstößt. Ein ungewöhnlicher Predigttext, doch Day zog in seiner Exegese historische Umstände heran. Sara verhielt sich demnach konform zu damaligem Gesetz. Day wies auf die Vielschichtigkeit sowohl in der Sprache des hebräischen Urtextes wie auch in den Möglichkeiten der Interpretation an und kam so schließlich in die Gegenwart. Indem Abraham Sara gewähren ließ, als sie die Magd verstieß, habe er bei einem Unrecht einfach weggeschaut, wie es auch heute immer wieder geschehe. Man könne aus dem Text lernen, wie unser Leben menschlicher gestaltet werden könne. Doch er sei froh, sagte Day, dass die Gründungsgestalten Israels nicht als Helden, sondern eben als Menschen mit Sorgen und Nöten dargestellt würden.

Alexander Pajevic

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