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SONNTAGS um zehn: Glut unter der Asche

Die Reformationskirche in Moabit feiert kämpferisch 100. Geburtstag

Über der Beusselstraße strahlt die Sonne, auch auf die von Baugerüsten umgebene Reformationskirche und ihre dunkelroten Ziegelmauern. Im Foyer klappern Helfer mit Sektgläsern und türmen Speisen für die Feier auf. Und drinnen im lichten, achteckigen Kirchenrund hat sich dicht gedrängt die muntere Festgemeinde zum 100. Kirchengeburtstag versammelt, eine Szene wie gemalt.

In der harten Wirklichkeit fällt der Festtag düsterer aus. Die evangelische Landeskirche will die Reformationskirche verkaufen. Die Kirchengemeinde Moabit-West ist mit Kinderarbeit, Chorproben, Konzerten und Gottesdiensten also nur noch auf Abruf dort.

Gegen den Verkauf macht die umtriebige Kantorei der Reformationskirche seit einiger Zeit mobil. Sie und die Gemeinde wollen hier ein Kulturzentrum für den gebeutelten Beusselkiez schaffen. Ein offenes, musikalisches und interreligiöses Haus, das auch weiterhin Kirche sein soll. „Herr, befreie uns von der Abhängigkeit und der Willkür der Oberen. Und beende diesen Schwebezustand“, bittet denn auch Pfarrer Frieder Breitkreutz-Hamm. Amtsbrüder, Gemeindeglieder und Freunde sollten nicht nachlassen, die Glut unter der Asche der Reformationskirche zu schüren.

Der Kampf um eine Zukunft für die 100 Jahre alte Kirche in einer veränderten Welt – das treibt alle drei Festprediger um. Pfarrerin Sigrid Neubert erzählt von den Anfängen der Kirche 1907 im gerade entstehenden Arbeiterbezirk Moabit. Oft war sie der einzige Halt für Neuberliner vom Lande, die bei Borsig in die Fabrikhallen strömten und im vierten Hinterhof lebten. Später kam die Nazizeit mit dem Kirchenkampf, der Wiederaufbau der im Bombenkrieg zerstörten Kirche und jetzt der Versuch, gute Nachbarschaft und mehr mit den muslimischen Moabitern zu leben. Von den 25 000 Gemeindegliedern der Boomjahre sind noch 2000 geblieben.

Grund zum Jammern sei das nicht, sagen die Pfarrer. „In diesem aufgegebenen Ort ist Leben!“ Die Reformationskirche müsse weiter ein Segen für die Menschen im Kiez sein. Auch wenn man dafür Gewohntes aufgeben müsse. Den Appell können auch die vorsichtig ins Foyer tretenden Festgäste hören: eine Gruppe bekopftuchter Musliminnen. Gunda Bartels

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