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Seit Donnerstag eröffnet. In St. Simeon in der Wassertorstraße sind Menschen aller Konfessionen und Religionen willkommen.

© dpa, Britta Pedersen

Sonntags um zehn in der Flüchtlingskirche: "Gott hat uns diese Aufgabe vor die Tür gelegt"

"Wir schaffen das!" sagen aktive Gemeindemitglieder in der neu eingeweihten Flüchtlingskirche St. Simeon in Kreuzberg. Etliche wollen sich engagieren - im Café, bei der Kinderbetreuung. Zu Besuch beim Sonntags-Gottesdienst.

Am Donnerstag wurde die evangelische „Flüchtlingskirche“ eingeweiht. Über 400 Gäste kamen zum Eröffnungsgottesdienst in St. Simeon in die Kreuzberger Wassertorstraße, so viele wie sonst nicht mal zu Weihnachten. „Das hat mich so berührt, ich hatte richtig Gänsehaut“, sagt Brigitte Brückmann, 64, die frühere, langjährige Gemeinderatsvorsitzende. „Als alle das Vater Unser beteten, hatte ich das Gefühl, der Herrgott ist direkt unter uns“. Drei Tage später ist wieder Alltag eingekehrt. Die Beratungsstelle für Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer im Vorderhaus ist am Sonntag, geschlossen, das internationale Café, in dem sich künftig Einheimische und Neuankömmlinge begegnen sollen, muss erst noch aufgebaut werden. Flüchtlinge wohnen keine im Kirchengebäude.

"Der Schabbat ist zum Schutz der Schwachen da"

Im Kirchsaal haben sich gut zwei Dutzend Frauen und Männer versammelt. Der Saal liegt im ersten Stock. Wer nicht mehr gut zu Fuß ist, benutzt den Treppenlift. Als die Backsteinkirche vor 120 Jahren für eine junge, aus allen Nähten platzende Gemeinde gebaut wurde, dachte niemand daran, dass ein oben liegender Kirchsaal ein Problem darstellen könnte. Jährlich wurden hunderte Kinder getauft und konfirmiert. Heute verkörpern muslimische Mädchen und Jungen beim Krippenspiel Maria und Josef. Vikar Lucas Ludewig predigt über eine Stelle aus dem Johannesevangelium, in der Jesus einen schwer kranken Mann heilt. Jesus heilt auch am Schabbat und verstößt dadurch gegen das 3. Gebot, wonach am Schabbat nicht gearbeitet werden darf. Doch der Schabbat ist für die Menschen da und nicht umgekehrt, erklärt Jesus an anderer Stelle in der Bibel. Der Schabbat, der arbeitsfreie Tag in der Woche, sei vor allem zum Schutz für die Armen und Schwachen da, damit sie sich nicht überarbeiten, sagt Vikar Ludewig – und macht sich dafür stark, dass am Sonntag die Geschäfte zubleiben sollen.

Anfang weckte die neue Aufgabe auch Skepsis

„Möge die Kirche ein Ort werden, an dem sich Flüchtlinge wohl fühlen“, bittet Ludewig am Ende des Gottesdienstes. „Herr erbarme dich“, antworten die Frauen und Männer vor ihm mit festen Stimmen. Selbstverständlich ist das nicht. Denn nicht alle hier waren begeistert, als die Landeskirche mit der Idee kam, ausgerechnet St. Simeon zur „Flüchtlingskirche“ zu machen. Sicher, sie tun hier viel für Migranten. Und seit fünf Jahren bringen auch die afrikanisch geprägten „Gospel Believers“ jubelfreudiges Leben hier rein. Doch reicht das nicht? Müssen jetzt auch noch die Flüchtlinge in die Kirche kommen? fragten sich einige. In der Kaffeerunde nach dem Gottesdienst hört man hier und da eine Kränkung heraus: Jahrelang habe sich in der Kirchenleitung und in der Öffentlichkeit niemand für St. Simeon interessiert, immer mussten sie sparen und oft war die Rede davon, den Standort zu schließen. Jetzt, da es um die Flüchtlinge geht, sind auf einmal Geld und Aufmerksamkeit da. Die meisten Gemeindemitglieder gehen die Sache mittlerweile positiv an. „Unser Herrgott hat uns diese Aufgabe vor die Tür gelegt“, sagt Brigitte Brückmann. „Wir werden den Neuankömmlingen helfen, wo wir können.“ Die einen wollen im Café mitmachen, andere sich um Kinder kümmern. Und haben sie es hier nicht immer schon so gehalten? Haben den Flüchtlingen aus dem Osten geholfen und in den 80ern den Spätaussiedlern. „Wir hatten im Kiez ja oft Probleme“, sagt Brigitte Brückmann. „Wir schaffen das.“

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