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SONNTAGS um zehn: Über Grenzen hinweg

Der Tag danach: Gottesdienst in der St.-Michael-Kirche in Kreuzberg

Es ist schon wieder alles vorbei. Ruhig und friedlich kräuselt sich das Wasser im Engelbecken, ein Anwohner auf der Kreuzberger Seite beobachtet die Enten, als hätte es keinen 1. Mai gegeben, als hätten nicht am Vorabend nur wenige Ecken weiter Tausende getanzt, getrunken, Berge von Plastikmüll produziert. Welten scheinen zu liegen zwischen ihnen und den rund 40 Gläubigen, die den Weg in den hinteren, nach den Kriegszerstörungen wiederaufgebauten Teil der St.-Michael-Kirche gefunden haben. Es sind Mitglieder der alten Gemeinde, die nach dem Mauerbau vom Westen abgetrennt war und nach der Wiedervereinigung mit den „Westmichaeliten“ auch nicht mehr zusammengehen wollte. Stattdessen vereinigten sich die „Ostmichaeliten“ 2003 mit der Hedwigsgemeinde, so dass die Berliner Bischofskirche jetzt quasi eine Filiale an der Grenze zu Kreuzberg hat.

Wie aus der Zeit gefallen wirkt die Kirche heute, umstellt von Plattenbauten im Norden, mit wenig Bezug zur Kreuzberger Boheme im Süden. Dazu passt, dass Dompfarrer Alfons Kluck zu Beginn seiner Predigt daran erinnert, wie sehr sich Christen heute als Exoten fühlen. „Wie können wir die Güte und Liebe finden, unseren Glauben zu leben?“, fragt er und geht ganz weit in die Geschichte zurück, in die Antike, als es große Drangsal bedeutete, sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Er zitiert die Apostelgeschichte: Paulus zieht mit Barnabas durch Kleinasien und richtet die jungen Gemeinden in ihrem Glauben auf. „Wie hat er das getan? Er ermahnte sie, zusammenzustehen, sich Verbündete zu suchen und – vor allem – zu verkünden, wie viel Gott für sie getan habe.“ Gerade der letzte Punkt sei heute schwierig. Wenn einer erzähle, was der Glaube bewirkt habe, stehe er gleich im Verdacht, sich nur in den Vordergrund drängen und von seinen eigenen Taten berichten zu wollen. „Wir wissen nicht mehr, was Gemeinschaftsbewusstsein ist“, sagt Kluck.

Wenigstens die Gemeinschaft mit seiner eigenen Gemeinde spürt er beim Kaffee nach dem Gottesdienst, hinter sich den schönen, ruhigen Gemeindegarten in der Ruine der alten Kirche. Udo Badelt

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