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SONNTAGS um zehn: Versöhnung mit sich selbst

Zum Gottesdienst der Mennoniten-Gemeinde in der Lichterfelder Promenadenstr. 15b kamen Gäste aus Nordamerika, Kanada und Japan.

Charles Schrag muss erstmal lachen und dann grübeln. Er kommt aus South Dakota, USA, ist 23, trägt Jeans und Intellektuellenbrille und wird offensichtlich nicht ständig gefragt, was für ihn der Kern des Mennonitentums ist. Warum auch. Er wurde wie seine deutschen Vorfahren einfach in die älteste evangelische Freikirche mit weltweit gut einer Million Mitgliedern reingeboren. Mennonitische Tradition und Kultur nennt er dann auch als erstes, gefolgt vom engagierten Gemeindeleben und der Gewaltlosigkeit. Schrag studiert Religion und Geschichte und arbeitet gerade im Rahmen eines einjährigen Austauschprogramms auf einem Bauernhof bei Kaiserslautern.

Zum Gottesdienst im „Menno-Heim“, wie die Berliner Mennoniten ihr lauschiges Gemeindehaus in der Promenadenstraße in Lichterfelde-Ost nennen, sind außer ihm noch viele andere Gäste aus Nordamerika, Kanada und Japan und dem Bundesgebiet gekommen. Grund ist die Jahrestagung des Mennonitischen Geschichtsvereins. Der pflegt das reiche Erbe der aus der Täuferbewegung der Reformationszeit in der Schweiz und den Niederlanden entstandenen Mennoniten. In Deutschland gibt es 40 000 Mitglieder, darunter viele Russlanddeutsche.

Wie meist in kleinen freikirchlichen Gemeinden geht''s auch bei Mennonitens familiär und munter zu. Die resolute Predigerin Helga Köppe freut sich über den vollen Saal, gratuliert Geburtstagskindern und vor allem ist vielsprachiges und ausdauerndes Singen angesagt. Gutbürgerlich und in der Mehrzahl graumeliert ist die Gemeinde.

Die Geschichte der wegen ihrer Ablehnung von Kriegsdienst, Obrigkeit, Klerus und Kindertaufe brutal verfolgten Ur-Mennoniten schwingt mit, als Pastor Rainer Burkart in der Predigt über die Fragwürdigkeit objektiver Geschichtsschreibung spricht. „Alle Quellen sind bereits Deutungen“, sagt er und schlägt einen Bogen zur alttestamentarischen Geschichte von Joseph und seinen Brüdern (1. Mose 37-50). Die wollten Joseph, der Vaters Liebling war, aus Neid eigentlich ermorden, verkauften ihn dann aber als Sklaven nach Ägypten, wo er weitere Dramen übersteht und am Ende gar den fiesen Brüdern verzeiht. „Lest zu Hause nach“, sagt der Pastor, „es lohnt sich“, egal ob die Ereignisse historisch oder erfunden seien.

Mit einem Satz werde erzählt, wie Joseph seine eigene Lebensgeschichte deute und sich mit seiner bitteren Vergangenheit versöhne. „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen“, sagt er nämlich zu seinen Brüdern, „aber Gott gedachte es gut zu machen.“ So eine Versöhnung ermögliche neue Wege zu sehen und mit offenen Fragen leben zu lernen, meint Burkart. Kein schlechter Rat vor Leuten, deren Vorfahren einst als Glaubensflüchtinge im toleranten Preußen Unterschlupf fanden. Die in Russland verfolgt werden. Und die dieses Wochenende gerade eine von Amerikanern aus Weltkriegswirren gerettete Kirchenchronik aus Danzig zurück erhielten. gba

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