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SONNTAGS um zehn: Vom Glauben an den Menschen

Eine Gemeinde im Hansaviertel nimmt Abschied von ihrem Pfarrer

Die Gottesdienste nach Weihnachten sind in vielen Kirchengemeinden eher schwach besucht. Doch in der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche im Hansaviertel blieb am letzten Sonntag des Jahres kein Platz mehr frei. Dicht an dicht drängten sich die Besucher in der zur Internationalen Bauausstellung 1957 errichteten, zeitlos-modernen Kirche in der Händelallee.

Die Gemeinde nahm Abschied von ihrem Pfarrer Jürgen Willms. Er wurde vor kurzem 65 Jahre alt und geht in den Ruhestand. Mehr als neunzehn Jahre lang prägte er das Gemeindeleben. Und zur Feier des Tages waren es vor allem die Gemeindeglieder, die den Gottesdienst gestalteten. So wie ein großes, buntes Mosaik hinter dem Altar den Kirchsaal schmückt, hörte man auch im Gottesdienst ein buntes Mosaik von Stimmen. „Der Mensch“, sagte eine ältere Frau auf der linken Seite das Kirchenschiffs, „Was ist?“, rief eine andere, „des Menschen Kind“ eine Dritte. Am Ende ergab sich ein Vers aus dem achten Psalm, in Bruchstücken gelesen von Gemeindegliedern auf den Kirchenbänken: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Und doch, die Handschrift des Theologen war im Gottesdienst zu spüren. Gleich mehrfach erinnerte er die Gemeinde an eine wichtige Erkenntnis seiner Amtszeit: „Nicht ich bin es, der den Menschen den Glauben bringt – der Glaube ist da, in den Menschen, er kommt mir längst entgegen.“ Weshalb im Abschiedsgottesdienst auch nicht der Pfarrer, sondern zwei Frauen aus der Gemeinde über den Predigttext aus dem Lukas-Evangelium sprachen. Ihr Thema war die Szene im Tempel von Jerusalem, wo Simeon und die Prophetin Hannah den 40 Tage alten Säugling Jesus als ihren Heiland erkannten.

„Es wird nicht gesagt, wie Maria mit der Weissagung weiterlebt“, sagt Hannelore Pretsch. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es in Deutschland Millionen von Müttern gegeben, deren Söhne als Soldaten getötet worden waren. Auch Maria habe gewusst, dass sie ihren Sohn verlieren werde. Doch sie habe ihn ernährt und aufgezogen, sagt Hannelore Pretsch. Und sie zitiert Jean-Paul Sartre: „Keine Frau hat ihren Gott derart für sich allein gehabt.“ Hannah dagegen, die alte Witwe, habe die Gabe der Erkenntnis besessen, sagt Kristin von Randow. Im Tempel von Jerusalem sei ihre Lebenshoffnung in Erfüllung gegangen.

Für die Gemeinde im Hansaviertel beginnt das neue Jahr mit einem Neuanfang: Am 4. Januar stellt sich eine junge Pfarrerin im Entsendungsdienst der Gemeinde vor. Während andere Gemeinden oft monatelang auf einen neuen Pfarrer warten, haben die Christen im Hansaviertel so die Chance auf einen nahtlosen Übergang. Benjamin Lassiwe

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