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SONNTAGS um zehn: „Jemand liebt mich, vielleicht bist es du“

In St. Canisius werden zwei Jesuiten von Erzbischof Rainer Maria Woelki zu Priestern geweiht.

St. Canisius hat den Boden eines Marktplatzes. Im gepflasterten Innenraum der hellen Charlottenburger Kirche, an deren Frontwand ein Gold-Quadrat schimmert, setzt sich der Außenraum fort. Am Lesepult liegt Herbstlaub. 34 Männer in weißen Gewändern, junge, alte, dicke, dünne, bärtige, langhaarige, stellen sich schräg hinter den Altar. Viele sind Jesuiten: wie jene zwei Kandidaten des Tages, die feierlich durch das Tor an der Fensterfront mit Kardinal Woelki einziehen. Begleitet werden sie vom Chef der deutschen Jesuiten und vom Pfarrer der Gemeinde. Der eine Kandidat, ein baumlanger Bauingenieur aus Bielefeld, ist 40 Jahre. Neben ihm wirkt der andere klein: Der war vor 27 Jahren mit Boat People aus Vietnam nach Indonesien geflohen, kam mit zwölf allein nach Deutschland, studierte Tourismus, ist 37. Vor zehn Jahren traten beide in die Societas Jesu (SJ) ein, gelobten Armut, Keuschheit, Gehorsam. Gelübde Nr. 4 (Loyalität zum Papst) versprechen erst die Priester des Ordens, dazu sollen beide heute geweiht werden.

Voll ist die Kirche. Viele kommen von weit. Eine bunt gekleidete Vietnamesin liest den Bericht eines schüchternen Propheten („Herr, ich bin zu jung“), zu dem Gott sagt: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir.“ Der Satz steht auch winzig im Liederheft auf einer Doppelseite, die das tosende Meer zeigt. Eine Erzählung von Jesus wird verlesen, der einen Seesturm beruhigt und seine Freunde an Bord fragt: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“

„Ich bin bereit“ sagen die Kandidaten unisono, als der Erzbischof fragt, ob sie sich an diesen Jesus täglich enger binden wollten. Kniend versprechen sie ihm solchen Gehorsam in die Hand. Dann liegen beide längs auf dem Pflaster, fürs Gesicht ein Kissen. In der Allerheiligenlitanei bitten alle Anwesenden den Himmel um Beistand: „Bittet für uns!“ Der offene Raum weitet sich: Namenspatrone der Kandidaten werden gerufen, der erste Märtyrer Stephanus, der Prediger Vincenz Ferrer, der SJ-Gründer Ignatius, drei Kirchenlehrerinnen, der im KZ Dachau zum Priester geweihte Karl Leisner, die in Auschwitz ermordete Edith Stein. Plötzlich stoppt die Litanei: „Christus höre uns!“ Die zwei knien. Der Bischof legt ihnen die Hände auf, dasselbe tun schweigend nacheinander 36 Priester. Die Hände der zwei werden gesalbt, sie erhalten Kelch und Schale zur Abendmahlsfeier. „Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst und stelle dein Leben unter das Zeichen des Kreuzes.“ Umarmungen im Kollegenkreis. An der Kirchenrückwand hängt, wie daran angenagelt, lädiert und riesig, der Eisenblech-Cruzifixus aus St. Canisius Nr. 1 (1995 abgebrannt). Daneben, auf der Empore, jubelt zum Ausgang ein Bläserquintett, im Kampf mit wildem Glockengeläut, Gershwins Sehnsuchts-Song: „Somebody loves me, I wonder who, maybe it’s you.“ Thomas Lackmann

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