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Sozialarbeiter: "Einen der Jungen kenne ich"

Wie ein Sozialarbeiter die Arbeit mit straffälligen Kindern erlebt.

Wie viele Kinder betreuen Sie derzeit?

Wir betreuen acht Kinder unter 14 Jahren und 19 Jugendliche zwischen 14- und 16 Jahren. Die meisten sind mit Rohheitsdelikten aufgefallen, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Nötigung. Wir haben aber auch Kinder, die mit harten Drogen handeln.

Wie viele?

Drei der Kinder, die wir betreuen, halten sich in solchen Kreisen auf. Die Hälfte der Jugendlichen, die wir im Laufe der Zeit betreuen, konsumiert legale und illegale Drogen – immer wieder auch das unter Schlägern beliebte Schmerzmittel Tilidin. Diejenigen, die mit harten Drogen handeln, stammen oft aus dem Umfeld bekannter Großfamilien.

Wie arbeitet Ihre Einrichtung?

Wir sind ein Modellprojekt für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche. Uns gibt es seit zwei Jahren. Die Kinder werden bis zu sechs Monate im Auftrag des Jugendamtes von uns betreut. Seit Start waren es 60 jungen Menschen, darunter drei Mädchen. Pro Woche wenden wir 15 Stunden auf, um herauszufinden, wie das Kind lebt: Wir sprechen mit Eltern, Lehrern, Freunden. Unsere Mitarbeiter können Türkisch, Arabisch und Serbokroatisch. Insgesamt sind wir fünf Leute. Mit den Kindern sprechen wir einzeln und in Gruppen. Wir erklären ihnen Konsequenzen einer kriminellen Karriere – zusammen mit Jugendamt, Polizei und Eltern. Wir vermitteln Schulen, reden mit potenziellen Arbeitgebern und Ämtern.

Kommt man an dealende Kinder heran?

Das ist schwierig. Gerade Flüchtlingsjungs haben sich eine Ersatzidentität zurechtgelegt, viele sind älter als sie angeben. Einen der beiden aufgegriffenen Jungen kenne ich. Er stammt aus einem Flüchtlingslager in Südlibanon und lebt wohl seit drei Monaten in Berlin – von der Familie weiß ich nichts. Die Drogen bekam er morgens von Kurieren an U-Bahnhöfen. Am Ende eines Tages hatte er bis zu 3000 Euro in der Tasche, zehn Prozent durfte er behalten. Warum aufhören, fragt er sich, eine Chance auf einen gut bezahlten Job hat er ohnehin kaum.

Haben die sonstigen Kinder noch Familien oder leben sie in Jugendeinrichtungen?

Beides. Intakte Familien sind selten. Einige sind überfordert, haben 15 Kinder. Nach dem Libanonkrieg vor rund 20 Jahren sind viele Flüchtlinge gekommen, die nie integriert wurden, sondern nur Duldungstatus haben. Die Jungen wissen nicht, ob sie in ein paar Monaten noch hier leben. Sie bekommen ohne Aufenthaltserlaubnis keinen Job, sind entsprechend unmotiviert in der Schule. Manchmal empfehlen wir, Kinder aus Familien zu holen, etwa wenn ein 13-jähriger Nachwuchspascha die Familie tyrannisiert.

Das Gespräch führte Hannes Heine

Önder Kurt

ist 30 Jahre alt, Sozialarbeiter und Leiter des Stop-Projektes der Treberhilfe, das seit zwei Jahren in Schöneberg, Mitte und Neukölln aktiv ist.

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