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Berlin: Sozialausgaben sprengen Sarrazins Plan

Die Bezirke haben bis Ende August schon 185 Millionen Euro mehr ausgegeben, als es der Haushaltsansatz vorsieht

Von Holger Wild

Die Haushaltsvorgaben von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zur Verringerung der Sozialausgaben erweisen sich zunehmend als unrealistisch. Bereits bis Ende August haben die Bezirke als Sozialhilfeträger 185 Millionen Euro mehr ausgegeben als es der Etat vorsieht. Bis Jahresende erwartet die Finanzverwaltung ein Defizit von 280 Millionen Euro gegenüber dem Ansatz im Haushalt – das wären zehn Prozent der Gesamt-Sozialausgaben von knapp drei Milliarden. Eigentlich sollten die Bezirke 83 Millionen Euro weniger ausgeben als im Vorjahr.

Der Sprecher des Finanzsenators, Claus Guggenberger, warf den Bezirken indirekt vor, bei der Mittelvergabe noch zu großzügig zu sein: „Die Optimierungsmöglichkeiten müssen ausgeschöpft werden.“ Die Bezirke könnten „aus ihrer finanzpolitischen Verantwortung nicht entlassen werden“, und der Senat werde die Defizite nur dort übernehmen, wo die Bezirke „nachweislich nichts für die höheren Ausgaben können“.

Roswitha Steinbrenner, die Sprecherin von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS), sagte dagegen, dass die Vorgaben der Finanzverwaltung „dem realen Bedarf nicht angemessen sind“. Sarrazins Beamte hätten die Zahlen ohne Absprache mit ihrem Haus festgelegt. Auch die Sozialstadträtin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Martina Schmiedhofer (Grüne), erklärte den Haushaltsansatz für illusorisch: „Es hätte niemand einen Cent darauf gewettet, dass das erreichbar ist.“ Auch mit den Bezirken als Sozialhilfeträgern habe die Finanzverwaltung nicht gesprochen. Neuköllns Sozialstadtrat Michael Büge (CDU) vermutet gar, dass hinter den Senatsvorgaben die Absicht steht, „die politische Lebensfähigkeit der Bezirke einzuschränken“ und zu einer mehr zentralistischen Verwaltung zu kommen, „wie es schon vom Ost-Berliner Magistrat gehandhabt wurde“. Anderenfalls sei die Haushaltspolitik des Senats einfach nur „unlogisch“.

Die Bezirke argumentieren, sie hätten bei den Leistungen so gut wie keinen Spielraum. Die Mehrzahl sei gesetzlich vorgeschrieben; die Erhöhung der Ausgaben gegenüber dem vergangenen Jahr liege zum einen an der um zwei Prozent gestiegenen Zahl der Haushalte, die Sozialleistungen empfangen – zum anderen an der Art der Hilfen, die diese benötigten. So steige mit dem Altersdurchschnitt der Bevölkerung auch der der Sozialhilfeberechtigten, wodurch immer mehr teure Heimunterbringungen, Pflegedienste und Krankheitsversorgung nötig würden, erklärt Stadträtin Schmiedhofer. Bundesweit wurden das Wohngeld nach oben angepasst, dazu seien einige Kostensätze etwa für Heimunterbringung und Betreuungsstunden gestiegen – diese aber werden vom Land Berlin mit den freien Trägern ausgehandelt, die Bezirke haben darauf keinen Einfluss.

Sozialstadtrat Michael Büge aus Neukölln hat bis Jahresmitte sieben bis acht Millionen Euro mehr ausgegeben als im Vorjahreszeitraum, und zwar „vor allem bei der Eingliederungshilfe für Behinderte, der Krankenhilfe und der Hilfe zur Pflege“. Es handelt sich also um „Transferkosten“, die nicht als direkte Zuwendungen an Hilfeempfänger, sondern an Freie Träger und Wohlfahrtseinrichtungen bezahlt werden. Der „Z-Teil“ der Neuköllner Sozialausgaben – das sind die direkten Zuwendungen an die Betroffenen – seien dagegen „um kaum einen Pfennig gestiegen“, sagt Büge, obwohl er in seinem Bezirk 1000 Sozialhilfeempfänger mehr unterstützen muss als im letzten Jahr. Grund sei, dass das Anrecht auf Leistungen schärfer geprüft werde oder beispielsweise keine Mietkautionen mehr übernommen werden.

Auch Reinhard Naumann (SPD), Jugendstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf, in dessen Ressort die „Hilfe zur Erziehung“ fällt – die Unterstützung von Haushalten mit Kindern und der Kinder selbst – spricht von rückläufigen Ausgaben für direkte Zuwendungen – etwa durch nur noch pauschale Zuschüsse zur Winterkleidung –, dagegen „großen Problemen“ bei den Transferkosten.

Gleichwohl glaubt Naumann, trotz höherer Fallzahlen und Kostensatzerhöhungen die Ausgaben auf dem Niveau von 2001 halten zu können: „Das wäre ein Erfolg.“ Die Maßnahmen – unter anderem eine Überprüfung jedes einzelnen Hilfefalls –, die im Frühjahr eingeleitet worden seien, begännen erst jetzt zu greifen. Die bisherigen Überschreitungen der Ansätze hofft Naumann daher bis Jahresende wieder „einzuholen“. Sarrazins Kürzungsvorgabe für 2002 aber zu erreichen – um die 4,5 Millionen Euro bei einem Etat von um die 29,5 Millionen – nennt auch dessen Parteifreund Naumann „unrealistisch“.

Doch wie hoch auch immer das Defizit der Bezirke am Jahresende ausfällt – der politische Streit wird dann darum gehen, ob der Senat es ausgleichen wird, oder die Bezirke den Fehlbetrag als „Verlustvortrag“ ins nächste Jahr übernehmen müssen. Sarrazins Sprecher Guggenberger erwartet, dass es zu solchen Verlustvorträgen kommen wird – womit die Bezirke dann zu den Einsparungen, die sie schon in diesem Jahr nicht geschafft haben, weitere leisten müssten, um das Defizit auszugleichen. „Dann sind unsere Haushalte bald nur noch Makulatur“, winkt Stadträtin Schmiedhofer aus Charlottenburg-Wilmersdorf ab. Und dies, so fürchtet der finanzpolitische Sprecher der Grünen, Jochen Esser, könnte sich kontraproduktiv auf die Sparanstrengungen der Bezirke auswirken: „Wenn sie Jahr für Jahr immer größere Löcher in ihre Haushalte schreiben müssen, dann wächst die Versuchung, irgendwann die Sache laufen zu lassen. Weil klar ist, dass letztlich sowieso der Senat einspringen und die Bezirke entschulden muss.“

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