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Soziale Stadt: Obama: Nachbarn an die Macht

Hausfrauen verhandeln im Rathaus, Rentner werden aktiv: Nachfolgend beschreibt Barack Obama, der vor 20 Jahren als "Community Organizer" gearbeitet hat, wie Bürger und Gemeinwesenarbeiter ihre Stadt retten können.

Der neue US-Präsident, der am Dienstag vereidigt wird, hat vor gut 20 Jahren in Chicago als „Community Organizer“ gearbeitet, als Gemeinwesenarbeiter. Vergleichbar mit einem Quartiersmanager hat Barack Obama die Bewohner der armen Viertel dabei unterstützt, ihre Lage zu verbessern. Hier schreibt er, was andere Städte – wie Berlin – davon lernen können.

Die Debatte darüber, wie Schwarze und andere verarmte Menschen in Amerika vorankommen können, ist nicht neu. Eine Zunahme schwarzer Inhaber öffentlicher Ämter bietet zumindest die Hoffnung, dass die Regierung mehr auf die innerstädtischen Wähler eingeht. Wirtschaftliche Entwicklungsprogramme können strukturelle Verbesserungen und Arbeit für verelendete Gemeinden liefern.

Jedoch bietet aus meiner Sicht keiner der beiden Ansätze eine dauerhafte Hoffnung für wirklichen Wandel in den Innenstädten, solange sie nicht durch einen systematischen Community-Organizing-Ansatz unterstützt werden. Das liegt daran, dass die Probleme der Innenstädte komplexer und tiefer verwurzelt sind als jemals zuvor. Offene Diskriminierung wurde durch institutionellen Rassismus ersetzt, Probleme wie Schwangerschaften von Teenagern, Bandenzugehörigkeit und Drogenmissbrauch können nicht mit Geld allein gelöst werden.

Weder die Strategie, Schwarze in politische Wahlämter zu bringen, noch eine Strategie der wirtschaftlichen Selbsthilfe und interner Entwicklung können aus sich heraus Antworten auf diese neuen Herausforderungen geben.

Theoretisch liefert Community Organizing einen Weg, verschiedene Strategien zur Stärkung von Nachbarschaften zusammenzuführen. Organizing beruht auf der Annahme, (1.) dass die Probleme, mit denen die innenstädtischen Gemeinden konfrontiert sind, nicht von einem Mangel an wirksamen Lösungen herrühren, sondern von einem Mangel an Macht, diese Lösungen umzusetzen, (2.) dass der einzige Weg für Nachbarschaften, längerfristig stark zu werden, ist, Menschen und Geldmittel um eine gemeinsame Vision herum zu organisieren; und (3.) dass brauchbares Organizing nur erreicht werden kann, wenn sich eine breit verankerte Führungsgruppe aus Stadtteilbewohnern bildet – und nicht nur ein oder zwei charismatische Führungspersönlichkeiten – , die die unterschiedlichen Interessenlagen ihrer örtlichen Institutionen verknüpfen kann.

Das bedeutet, Kirchen, Nachbar schafts clubs, Elterngruppen und andere Institutionen in einem Gemeinwesen zusammenzubringen, damit sie Beiträge zahlen, Organizer anstellen, Forschung betreiben, Führungskräfte hervorbringen, Demonstrationen und Bildungskampagnen abhalten und Pläne für eine ganze Reihe von Themen – Arbeit, Bildung, Kriminalität etc. – machen.

Wenn das erst einmal angelaufen ist, hat es die Kraft, Politiker, Behörden und Unternehmen dazu zu bewegen, sich mehr um die Bedürfnisse der Nachbarschaften zu kümmern. Genauso wichtig ist, dass es den Leuten ermöglicht, die sie behindernde Isolierung voneinander zu durchbrechen, ihre gemeinsamen Werte und Erwartungen zu entwickeln und die Kraft gemeinsamen Handelns zu entdecken – die Voraussetzungen jeder erfolgreichen Selbsthilfeinitiative.

Mit diesem Ansatz haben das Developing-Communities-Project und andere Organisationen in Chicagos Innenstadt beeindruckende Resultate erreicht. Schulen sind jetzt mehr rechenschaftspflichtig, Job-Trainingsprogramme wurden eingerichtet, Wohnraum wurde renoviert und neu geschaffen; städtische Dienstleistungen wurden erbracht; Parkanlagen wieder hergerichtet; Kriminalitäts- und Drogenprobleme wurden eingeschränkt. Außerdem haben jetzt ganz normale Leute Zugang zu den Schalthebeln der Macht, und es wurde eine große Menge lokaler zivilgesellschaftlicher Führung entwickelt.

Organizer werden weiter an lokalen Erfolgen arbeiten, von ihren Misserfolgen lernen und ihren kleinen aber wachsenden Kern von Anführern rekrutieren und weiterbilden – Mütter mit Sozialhilfe, Postangestellte, Busfahrer und Lehrer, die alle eine Vision und eine Vorstellung davon haben, was aus ihren Communities werden kann. Bei diesen Leuten findet man die Antwort auf die Frage: Wieso sollte man sich organisieren? Wenn man dabei hilft,dass eine Gruppe Hausfrauen dem Bürgermeister der drittgrößten amerikanischen Stadt am Verhandlungstisch gegenübersitzt und sich behauptet, oder wenn ein Stahlarbeiter in Rente vor einer Fernsehkamera steht und seinen Träumen über die Zukunft seines Enkelkindes eine Stimme verleiht, erkennt man den wichtigsten und befriedigendsten Beitrag des Organisierens.

Übersetzung: Jonas Flötotto und Herbert Scherer. Der Text, den wir hier in Auszügen wiedergeben, stammt aus der Zeitschrift „Illinois Issues“ von 1988.

Barack Obama

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