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Ein Kreuzberger Arbeitsleben. Seit 15 Jahren ist Händler Sakin am Kotti.

©  Hombach

Sozialer Wandel in Kreuzberg: 24 Stunden Kotti

Steigende Mieten, mehr Touristen: Wie der Obst- und Gemüsehändler Sakin den sozialen Wandel am Kottbusser Tor in Kreuzberg erlebt.

Es ist 21 Uhr, und Herr Sakin ist müde. Er ist 46 Jahre alt, trägt ein gelb-grün gestreiftes T-Shirt, in seinen Haaren zeigen sich die ersten weißen Strähnen. Er legt die Tomaten beiseite und fährt sich übers Gesicht. Seinen Vornamen will Herr Sakin nicht verraten. „Der ist egal“, meint er. Seit gut 15 Jahren betreibt Sakin den Obst- und Gemüsestand am Kottbusser Tor. Besonders im Sommer läuft der Laden gut. Egal ob morgens, mittags oder abends – Sakin hat immer geöffnet. 24 Stunden lang. Nur sonntags verwandelt sich das Kotti-Eck zum Flohmarkt und sein Laden bleibt geschlossen.

Jeden Morgen steht Sakin um 4 Uhr auf, fährt zum Weddinger Großmarkt in die Beusselstraße und kauft das Obst und Gemüse für den Tag. Danach geht es weiter nach Kreuzberg. Am Kotti angekommen, entlädt Sakin seine Ware. Die ersten Kunden sind dann schon da. Ein Mann mit Bart geht gezielt auf den Stand zu, greift nach einem Bund Petersilie und bezahlt. Eine Frau fährt mit ihrem Kinderwagen vorbei, bleibt stehen und kauft eine Schale Erdbeeren. Eigentlich kauft sie nur Bio, aber heute liegt Sakins Stand auf ihrem Weg.

Währenddessen bereitet Sakin sich auf seine Zwölf-Stunden-Schicht vor. Er gähnt noch einmal, trinkt einen Schluck Tee und schiebt sich ein Olive in den Mund. Den Kern spuckt er auf die Straße. Dann stellt er sich neben die Kasse, nimmt seine Position ein. Selten kommt er vor 24 Uhr nach Hause. Seine Arbeitszeiten sind so fließend wie die des Standes. An Tagen wie diesen wird der auch mal zum Schlafquartier. Dann legt Sakin sich auf den Boden und versucht, den verpassten Schlaf nachzuholen. Außer seinem Enkel traut sich keiner, ihn zu wecken. Das sind lange Tage, lange Nächte. Aber bis jetzt hält er durch.

Steigende Mieten, neue Kundschaft

Auch Sakin bekommt den sozialen Wandel in Kreuzberg zu spüren: „Viele Kunden mit Familie bleiben weg. 30 bis 40 Prozent kommen nicht mehr. Sie sind weggezogen wegen der hohen Mieten.“ Er wirkt unzufrieden. Auch er lebte früher in Kreuzberg. Dann stiegen die Mieten, und er zog mit seiner Familie nach Schöneberg. „Die Kundschaft hat sich in den letzten Jahren stark geändert“, berichtet auch Anil Azik, der Bruder von Sakins Schwager: „Früher kamen bis zu 90 Prozent türkische Kunden. Sie kauften in Menge. Jetzt sind es nur noch 30 Prozent. Heute kommen hauptsächlich Studenten und Touristen. Sie kaufen Einzelware.“

Anil Azik ist 18 Jahre alt. Er hat kurze dunkle Haare, trägt eine Schürze und redet gerne über das Geschäft. Seit einem Jahr betreibt er mit seinem Bruder den Gemüse-Kebab-Stand nebenan. Ihren Imbiss gibt es noch nicht lange, trotzdem kennt er das Kotti-Eck in- und auswendig. Von 2009 bis 2011 betrieben er und sein Bruder auch Sakins Stand. Zwei Jahre lang hatten sie ihn gepachtet, dann wurde es ihnen zu viel. „Dieses frühe Aufstehen, das hält keiner auf Dauer aus“, erzählt Anil Azik. Er und sein Bruder hatten auch die Idee, den Stand 24 Stunden offen zu lassen. Das ständige Auf- und Abbauen war ihnen zu anstrengend.

Kluft zwischen den Menschen ist tiefer geworden

Drei Meter weiter an der Ecke zur Reichenberger Straße, zwischen Sakins Stand und Akins Kebab, sammelt sich die Trinkerfraktion. Ein Mann geht auf Sakin zu und redet auf ihn ein. Sakin schaut weiter geradeaus und ignoriert den Mann, bis dieser sich umdreht und verschwindet. „Am Kotti gibt es viele schlechte Leute. Drogen. Messerstechereien. Die Polizei kommt bis zu fünfmal am Tag“, berichtet er. „Viele der Familien sind auch deshalb umgezogen.“ Auch ihn stört das, aber er hat sich arrangiert. Die Junkies gehören in der Regel nicht zu seinen Kunden.

Sakin versteht nicht, dass sich am Kotti nichts ändert, die Probleme seit 15 Jahren dieselben bleiben. „In den letzten Jahren hat der Platz sich verschlechtert. Die Menschen sind downer, die Stimmung ist aggressiver geworden“, meint dagegen ein Mann von der Ecke. Seit über 15 Jahren kommt er zum Kotti, trinkt hier sein Bier, trifft sich mit Freunden. Sakin und Akin findet er arrogant. „Früher wurde noch jeder Kunde genommen, heute darf man nicht mal mehr gucken“, sagt er. „Die jagen einen gleich weg.“ Beide stehen nur wenige Schritte voneinander entfernt. Trotzdem sind es zwei Welten. Es hat sich also doch etwas geändert. Die Trennlinie, die Kluft zwischen den Menschen ist tiefer geworden.

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