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Modemacher in spe. Greg (links) und Liza (Mitte) arbeiten konzentriert an ihren Stücken im Showroom des Modelabels, unterstützt von Praktikantin Nicola.

© Thilo Rückeis

Soziales Engagement: Einschnitt ins Leben

Sie leben auf der Straße oder in Wohnprojekten. Aber es gibt Hoffnung: Das Modelabel „Sophisticated People“ eröffnet Trebegängern neue Perspektiven.

Manchmal befindet sich hinter einer durchschnittlichen Berliner Ladentür viel mehr als nur eine schöne neue Tasche oder ein Schnäppchen. In der Seumestraße 15 in Friedrichshain, beim Modelabel „Sophisticated People“, ist es die Chance für Jugendliche, Mode zu machen – und wieder eine neue Perspektive zu bekommen. Jugendliche, die tiefgreifende Probleme haben infolge von Missbrauch, Drogen oder Obdachlosigkeit. Doch im hellen Showroom mit Kronleuchter, im Produktionsraum mit Nähmaschinen, zwischen Stoffen, Garnen und Knöpfen, ist das alles für eine gewisse Zeit vergessen.

Ob selbst genähte Schlafhasen, mit Siebdruck gefertigte T-Shirts oder selbst designte Gürteltaschen – alle Stücke werden von der Straße für die Straße produziert. Denn hinter dem Modelabel, das es seit November 2012 gibt, steht dieser soziale Gedanke: Die Jugendlichen zwischen 18 und 27 Jahren leben entweder auf er Straße, kommen bei Freunden unter oder in Wohnprojekten. Sie sollen im Modelabel selbst anpacken, mitdesignen und erleben können: Meine Arbeit wird wertgeschätzt – und sogar verkauft.

Zwei, die beim Projekt der Karuna-Straßenkinderakademie mitwirken, sind Liza und Greg. Während Liza am Tisch im Showroom vor einem Knäuel Ketten sitzt, näht Greg gerade an einem Schlafhasen. „Mir gefällt das Freigeistige hier, dass wir keinen Druck von außen bekommen“, sagt Greg, dessen Pullikapuze tief ins Gesicht hängt. Der 27-Jährige besucht schon seit zwei Jahren verschiedene Projekte der Straßenakademie. Die kreative Arbeit macht ihm sichtlich Spaß, und er nimmt sie ernst: Mit Bedacht sucht er das Garn aus, mit dem er Pupillen und Mund an den Schlafhasen nähen will. Hellrosa für die Zähne, ein dunkleres Rosa für den Mund. „Ich mag, dass ich hier meine Ideen umsetzen kann.“ Greg kommt fast jeden Tag in den Laden.

Die Idee für das Modelabel entstand im vergangenen Sommer, wie die Designerin und Projektleiterin Alexandra Matthes erzählt. In den Räumen befanden sich schon vorher offene Werkstätten der Straßenkinderakademie. Als sich diese bewährte, entstand zwischen Einrichtungsleitung und Geschäftsführung die Idee, ein Modelabel zu gründen. Matthes suchte den Namen aus (Sophisticated People bedeutet: Menschen von Welt, soll Respekt schaffen) und entwarf Schnitte für einfache, aber schöne Produkte. „Für die Jugendlichen ist das ein Erfolgserlebnis.“

Alle Stücke sind Unikate, und eine Legende am Preisschild zeigt den Namen des Produzenten – und oft auch den des Spenders. Denn das Label produziert praktisch ohne eigene finanzielle Mittel, ist von Kleider- oder Stoffspenden abhängig. Matthes freut sich dabei über jeden Spender, und es gibt auch prominente Unterstützer wie Veronika Ferres, die ZDF-Moderatorin Juliane Hielscher und die frühere Rosenstolz-Sängerin Anna R.; Schirmherrin ist Schauspielerin Andrea Sawatzki. Die gespendeten Stücke werden durch Druck oder Applikationen umgestaltet, wodurch gleichzeitig eine nachhaltige Recycling-Kollektion entsteht. Für alle Stücke ist ein Von-bis-Preis festgelegt, der den Käufer selber entscheiden lässt, ob er für den Schlafhasen lieber 15 oder 22 Euro zahlen will oder kann. So kommen Produzenten und Kundschaft auch ins Gespräch. Die Erlöse fließen zu 100 Prozent in das Projekt zurück.

Finanziell unterstützt wird das Label vom Senat sowie den Kinderhilfswerken Terre des Hommes und Children for a better World. Insgesamt wirkt ein fester Stamm von 23 Jugendlichen mit. Die Jugendlichen können bei „Sophisticated People“ auch frühstücken und mittagessen, duschen und Wäsche waschen. Sozialarbeiter sorgen für die psychologische Beratung und helfen bei Hartz-IV-Anträgen oder der Suche nach einer Unterkunft.

Während Greg mit seinem noch namenlosen Schlafhasen beschäftigt ist, hat Liza ein großes Knäuel aus Messingketten am Wickel. Eine Geduldsprobe, die sich die 18-Jährige immer wieder freiwillig vornimmt. „Was man angefangen hat, muss man zu Ende bringen“, findet Liza. Aus den Ketten wird später Schmuck gebastelt. Sachen zu Ende bringen, Struktur in dem Alltag der Jugendlichen herstellen – auch das will das Modelabel erreichen.

Vertrauen aufbauen, Druck abbauen: Für die pädagogischen Mitarbeiter ist das wichtig, erklärt die pädagogische Leiterin Anni Dane. „Alle haben traumatische Erlebnisse hinter sich, wie die Trennung der Eltern oder andere Vertrauensbrüche. Durch das gemeinsame Arbeiten wird Vertrauen geschaffen – und oft lockern sich dann auch Zunge und Herz.“ Wenn ein Jugendlicher regelmäßig ins Modelabel kommt, das ist für die Sozialarbeiter schon ein Erfolg, zumal es ein drogenfreier Raum ist.

„Die meisten unserer Klienten sind über 18 Jahre, weil sie mit diesem Alter aus der Zuständigkeit des Jugendamtes herausfallen und dann keine Chance mehr auf Förderung oder Hilfsangebote haben. Damit sind sie auf Einrichtungen wie uns angewiesen“, sagt Dane. Hier könnten sie aus ihrer gewohnten Rolle herauskommen und sich von einer anderen Seite präsentieren. „Oft herrscht eine Front zwischen den Berlinern und den Straßenkindern. Die Begegnungen, z. B. wenn die Kinder schnorren, sind nicht schön. Mit dem Projekt wollen wir die Schwellen überwinden und einen positiven Kontakt schaffen“, betont Dane.

Stolz präsentiert Greg eine Markenhose, die er nach seinen Ideen umgestaltet hat – Saum und Hosentasche hat er mit Leoparden-Plüsch verziert. Sein Lieblingsstück ist aber ein Kleid, das er aus vielen verschiedenen Stoffresten designt hat. Sogar der „Greg-Stich“ wurde nach ihm benannt, ein Saumstich, der aus einem karierten Schal ein individuelles Stück macht. „Es ist schön, wenn die Sachen den Leuten gefallen“, sagt Greg fast etwas bescheiden.

Das Modemachen und Nähen macht auch Liza viel Spaß – „und es gibt viele Freiheiten“, findet sie. Einmal in der Woche versucht sie, vorbeizuschauen. Das Nähen hat Liza zwar erst hier gelernt, aber schwer fand sie es nicht. Lizas erster Schlafhase wurde auch gleich verkauft, der heißt übrigens auch Liza. Ein Erfolgserlebnis: „Darüber habe ich mich sehr gefreut.“ Und noch ein wichtiger Punkt kommt für Liza hinzu: „Freunde habe ich auch ein bisschen gefunden.“

„Sophisticated People“, Seumestraße 15, Friedrichshain, nach den Osterfeiertagen Mo. bis Do. 13 - 16 Uhr; Tel.: 26 94 85 36; www.sophisticatedpeople.de/online-shop - und auch über Facebook zu erreichen.

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