zum Hauptinhalt

Spandau: Der Weltbürgermeister

Rathausplatz, Arcaden, Wilhelmstadt, Falkenhagener Feld: Bezirksrundfahrt mit Spandaus Verwaltungschef Helmut Kleebank und seinem stoischen Chauffeur. Eine dramatische Reportage.

Das Glasdach des Spandauer Bahnhofs zerteilt die Frühlingssonne in Dutzende Quadrate. Ziemlich guter Tag für ein Blinddate mit der Sozialdemokratie. Hier am Stadtrand. Der Rathausvorplatz, der Bürgermeister wird ihn später noch „das Herz Spandaus“ nennen, ist wie ausgestorben. High Noon. Auftritt Helmut Kleebank, 47 Jahre alt, seit November Bezirksbürgermeister von Spandau.

Er steht vor einem schwarzen Mercedes E 200, trägt einen grauen Anzug, eine randlose Brille unter einer Mecki-Frisur, die seinem Gesicht mindestens fünf Jahre seines tatsächlichen Alters nimmt. Und, als einzigen Schmuck, ein kleines Spandau-Wappen als Anstecker am Revers. Bürgermeister-Accessoire. Subtiler, wenig aufdringlicher Lokalpatriotismus. Das gehört sich so. Das ist ja jetzt schließlich sein Bezirk hier.

Im Wagen sitzt sein Fahrer, mürrisch bis unbeteiligt. Schwarzer Anzug, gräulicher Haarkranz. Überzeugungsstoiker. Harte Ich-hab-schon-alles-gesehen-Mimik. Seit 1973 beim Bezirksamt, 14 Jahre der Mann am Lenkrad von Amtsvorgänger Konrad Birkholz, CDU. Jetzt aber Kleebank, heute: Bezirkstour. Bürgermeister und Reporter nehmen im Fond des Wagens Platz. Die Hände des Fahrers ruhen auf dem Lenkrad.

Bürgermeister: Wir fahren mal in die Wilhelmstadt.

Fahrer: (...)

Der Bürgermeister wendet sich an den Reporter, eröffnet das Gespräch. Hinter den getönten Mercedes-Scheiben, links das verfallene Postgelände, das einmal ein Jachthafen werden sollte. Heute aber immer noch ein verfallenes Postgelände ist. Rechts die Spandau Arcaden. Wirklich nicht schön. Egal, von welcher Seite man sich nähert. Darüber muss dann auch gleich mal gesprochen werden.

Reporter: Mal ketzerisch gesagt. Da kommt man in Spandau an, mit dem Zug. Längster überdachter Bahnhof Deutschlands. Könnte ja auch der Vorhof zur Weltstadt sein. Und was sieht man als erstes: diesen Klotz. Das ist ja auch eines der hässlichsten Einkaufszentren der Stadt.
Bürgermeister (abwehrend): Die Arcaden sind für viele nicht so unattraktiv, wie Sie sagen. Auch durch die Lage am Bahnhof. Wir ziehen damit eine Menge Kaufkraft nach Spandau.

Touché. Zweiter Versuch. Direkt ins Herz des Bezirks.

Reporter: Ich habe immer das Gefühl, dass die Altstadt seit dem Bau der Arcaden ziemlich heruntergekommen ist. Ein-Euro-Läden. Sie hat viel von ihrem Charme verloren.

Bürgermeister: (...)

Fahrer (raspelkurzes Berlinerisch, wie es so eigentlich nur in Spandau gesprochen wird): Dit wäre aber noch schlimmer gewesen, ohne die Arcaden. Die drei Leute, die Spandauer reichen Typen, die dit allet vermieten, die haben die Mieten so hochgetrieben. Da sind viele Geschäfte rausgegangen. Spandau wäre ausjeblutet.

Bürgermeister: (...)

Reporter: (...)

Fahrer: Damals sind die Spandauer ausgerückt. Nach Havelpark. Durch die Arcaden, hat man sich damals aufgeregt, geht die Kaufkraft weg. Ja, dann macht doch die Mieten runter, macht das doch billiger. Wo wollten wa denn jetzt hierhin?

Bürgermeister (leicht amüsiert): Nach links.

Pichelsdorfer Straße. Weiter im Text.

Bürgermeister: Die Wilhelmstadt als problematische Region ist Ihnen bekannt?

Reporter: Was heißt denn problematisch?

Bürgermeister: Na ja, immer mit viel Kriminalität in den letzten Jahrzehnten. Ein geringes Sicherheitsgefühl der Menschen. Hier haben wir relativ viele sozial schwache Familien. Und einen hohen Leerstand in der Ladenstruktur.

Leerstand. Sozial schwache Familien. Das ist zum Auftakt gleich mal, was man erwartet hat. Schale Koordinaten, Brennpunktrealität. Vor allem aber eine blinkende Trostlosigkeit. Kasinoflut.

Bürgermeister: Das ist hier extrem, wir haben viele Spielcasinos, sind aber recht zuversichtlich, dass wir das wieder zurückdrehen können. Hier sehen Sie noch eins, aber sie werden auch noch mehr sehen.

Fahrer: Die komm’ alle aus’n Rotlichtmilieu. Da wird Jelt jewaschen.

Bürgermeister: Da, noch ein Kasino.

Fahrer: Die zocken dit Jelt ab, von denen, die eh nüscht haben.

Bürgermeister (zeigt aus dem Fenster, ratlos): Da haben wir wieder eins. Ach, das sind etliche. Ich kann mir das aber auch nicht erklären. Auch angesichts der Tatsache, dass die Leute eh zu wenig Geld in der Tasche haben. Aber das neue Gesetz wird das auch wieder eindämmen.

Der Spandauer als Kosmopolit, da muss man auch erstmal drauf kommen

Da hat sich der Bürgermeister nicht unbedingt die repräsentativste Ecke ausgesucht, um für seinen Bezirk zu werben. Vielleicht ist das etwas unglücklich, vielleicht aber auch einfach nur ehrlich. Kleebank jedenfalls spricht unaufgeregt, dahinter aber vibriert der Duktus eines professionellen Ärmelhochkremplers. Arbeiterpartei im Arbeiterbezirk. Aber eben auch ein Spandauer in Spandau. Er ist hier geboren und aufgewachsen. Da ist das Politische auch immer gleich das Persönliche. Also sprechen wir jetzt mal über die Heimat.

Reporter: Was begründet den Stolz der Spandauer?

Bürgermeister: Mit dem Begriff Stolz habe ich so meine Schwierigkeiten. In einer Zeit, in der die Zahl der Ur-Spandauer, sag ich mal, die seit Generationen hier leben, eher zurückgeht. Es ist, glaube ich, eine Vielfalt, die Spandau mittlerweile ausmacht.

Reporter: Sagt der Spandauer noch „Ich bin Spandauer und keen Berliner“?

Bürgermeister: Nein, das ist nicht mehr so. Auch wenn der Spandauer natürlich immer noch, wenn er sagt, er fährt in die Stadt, die Altstadt meint. Aber ich glaube, die meisten Spandauer fühlen sich als Berliner, als Deutsche, als Europäer und als Weltbürger.

Aha, der Spandauer als Kosmopolit. Da muss man auch erst mal drauf kommen. Und doch: Den typischen Stolz der Spandauer, der ja mehr historisch begründet als von der Gegenwart unterfüttert ist, kann Helmut Kleebank dann doch nicht vollständig leugnen. Es folgt ein kurzes Heimatreferat des Weltbürgermeisters. Der Reporter hört zu, der Fahrer, na klar, schweigt.

Bürgermeister: Spandau war ja eine eigenständige Stadt im Havelland, ne. Die Eingemeindung ist zwar schon hundert Jahre her, aber es prägt die Menschen immer noch. 1913 hatte Karl Liebknecht hier seinen Wahlkreis, der hatte mit Berlin gar nichts zu tun. Und wenn man sich das auf dem Stadtplan mal anschaut, sich die Grenzen wegdenkt, hat man zwischen dem alten Berlin und dem Stadtkern Spandaus eine ziemlich große Distanz, wo nicht viel war außer Wald und Wiese. Und das wurde dann quasi künstlich zu einem Gebilde zusammengeschmolzen. Der Plan von Großberlin hatte ja nichts mit der Spandauer Identität zu tun.

Danke. Es spricht hier, das wird ganz deutlich, der Durch-und-durch- Spandauer. Passend dazu biegt der schwarze Mercedes nun in die Westerwaldstraße. Falkenhagener Feld. Noch so ein Problemquartier. Hier, in einem der braun angestrichenen Hochhäuser hat Helmut Kleebank seine Kindheit verbracht. Er steigt kurz aus. Ein paar Jungs treten einen alten Lederball über den Asphalt. Einer erkennt den Bürgermeister, jedoch nicht als Bürgermeister, sondern als ehemaligen Lehrer, Physik und Mathematik. Vor seinem Einzug ins Rathaus war Kleebank zwei Jahre lang Direktor der Heinrich-Böll-Oberschule. Er grüßt, versteht aber jetzt nicht so genau, was der Herr Kleebank hier macht. Ist doch schließlich Sonntag. Keine Schule, kein Kleebank. Also:

Junge (verwirrt): Was machen Sie hier?

Bürgermeister: Ich zeige einem Reporter unseren wunderschönen Bezirk.

Junge (achselzuckend): Na gut, bis bald.

Kleebank blickt dem Jungen hinterher, dann, die Hochhausfassade entlang, in die eigene Vergangenheit.

Reporter: Ist das hier Spandau für Sie?

Bürgermeister: Nein. Spandau ist für mich, wenn ich auf den Rathausturm steige. Wann immer ich die Gelegenheit habe, gehe ich hoch. Und das ist eigentlich ein atemberaubender Blick über eine pulsierende Metropole. Da tobt einfach das Leben.

Jetzt ist der Reporter natürlich angefixt. Blick von oben auf die Weltstadt Spandau, das hört sich gut an. Da sollten wir hin. Nur hat Kleebank, leider, den Schlüssel nicht dabei. Und ohnehin keine Zeit. Weil er noch weiter muss. Bürgermeisterpflichten. Heute noch auf dem Programm: Blumenstraußbesuch bei einer 102-Jährigen, Glückwunschhändeschütteln.

Deshalb zweites Treffen, vier Tage später. Elf Uhr. Im Bürgermeisterbüro sitzt erst mal nur: der Fahrer. Gleicher Anzug, gleicher Gesichtsausdruck. Kleebank kommt, Entschuldigung, um kurz vor zwölf. Sitzungsstress, das Übliche. Und gleich auch noch: Diamant-Hochzeit. Deshalb los jetzt. Fahrstuhl, lange Gänge, Rathausturmtür auf. Schmale gusseiserne Stufen hinter Stacheldraht. Betreten auf eigene Gefahr. Fünf Minuten schweigender Aufstieg. Dann stehen Bürgermeister, Fahrer und Reporter auf der Plattform, 81 Meter über Spandau, Ausblick in alle Himmelsrichtungen.

Reporter: Blick in die Ferne? Oder in den Abgrund?

Bürgermeister: Weder noch. Es ist ein Blick in die Heimat. Ein Gefühl von Vielfalt und Weite.

Kleebank läuft einmal um die Plattform herum, bleibt dann im Osten stehen. Unter ihm erstrecken sich die S-Bahn-Gleise.

Bürgermeister: Man sieht hier eben auch die Anbindung an Berlin. Viertelstunde bis ins Zentrum.

Reporter (handgestoppt): 17 Minuten.

Bürgermeister: Was man aber auch sieht, ist, warum der Spandauer ,Berlin bei Spandau’ sagt. Das hat ja auch einen geografischen Grund.

Stimmt. Zwischen Kleebank und Berlin liegen, von hier aus gesehen, Havel, Wald und Heide. Immerhin aber kann man dort nun, ganz hinten am Horizont, durch den Wasserdampf der Industrieschornsteine in Siemensstadt, den Fernsehturm erahnen.

Reporter (euphorisch): Jetzt sieht man tatsächlich auch Berlin!

Fahrer: Wat is’n ditte, Berlin?

Zur Startseite