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Berlin: Spaß im Quartett

Die Musiker in Rainald Grebes Orchester der Versöhnung bringen die nötige Melancholie auf die Bühne. Sie können aber auch lustig

Die Bratsche, das Cello und die beiden Geigen sitzen in ihrer Garderobe, wollen noch einmal proben. In einer Stunde spielen sie wieder auf der Bühne des Admiralspalasts, wenn der Mann mit dem Federschmuck die Grausamkeit des Alltags in schwer verdauliche Schüttelreime zwängt. Aufgeregt sind sie nicht mehr. Dafür machen sie das schon zu lange. Über 40 Jahre. Sie sind nur etwas verunsichert. Weil der Mann mit dem Federschmuck, den sie nur „den Rainald“ nennen, „immer neue Dinge einstreut“, wie Helmut, die erste Geige sagt. Ludwig, die zweite Geige stimmt mit ein: „Wir müssen ständig darauf vorbereitet sein, dass er die Stichworte für unsere Einsätze ändert.“ Horst, das Cello, nickt: „Aber so ist es nie langweilig.“ Er wartet kurz, schaut hinüber zu Erhard, der Bratsche, die bisher geschwiegen hat, als wäre sie verstimmt. „Hm“, brummt die Bratsche. Ein kurzer Blick und das Quartett lässt die Bogen über die Saiten gleiten. Vivaldi. So wie nachher auf der Bühne.

Helmut Katzer, Ludwig Geisler, Horst Krause und Erhard Starke sind das Streichquartett in Rainald Grebes Orchester der Versöhnung. Vier Männer um die 70, die auf der Bühne zuerst den Eindruck erwecken, als seien sie von ihrer Reisegruppe getrennt worden. Doch sobald sie zu ihren Instrumenten greifen, zu den Musiker werden, die aus Grebes Kapelle ein Orchester machen. Ihre Instrumente klingen, und der Beifall tost. Wenn sie spielen dürfen, verleihen sie der Musik eine melancholische Tiefe und sind deshalb kaum noch wegzudenken aus Grebes dadaistischem Musical.

Dabei sind die vier Kammermusiker, die bereits im Admiralspalast gespielt haben, als der Admiralspalast noch Metropoltheater hieß, eher zufällig an Rainald Grebe geraten. Er gehörte bei keinem der Streicher zum Standardrepertoire. Immerhin sein „Brandenburg“, diese Hymne über das Sterben einer Region, hatten sie schon einmal gehört. Im Radio.

Ein Freund, mit dem Helmut Katzer jahrelang Kammermusik gespielt hat, stellte den Kontakt her. „Er meinte, wir könnten hier mitmachen“, erinnert er sich. „Da waren wir zuerst erstaunt, weil die das hier ja alles ohne Noten spielen.“ Bei Grebe wird der Soundteppich aus dem Gedächtnis gewebt. „Aber das geht hier nicht. Diese Sätze“, Katzer wedelt mit einem Notenblatt, „die müssen funktionieren. Wir können nicht improvisieren.“ Und die Bratsche ergänzt: „Wir können nicht alle vor uns hindudeln.“ Die anderen nicken nacheinander. Die Ordnung, die sie beim Spielen einhalten, gerät jetzt durcheinander. Ihre Stimmen überlagern sich. Jeder will seine Geschichte erzählen, die eigentlich ihre ist.

Alle sind in der ehemaligen DDR aufgewachsen und haben in Berlin ihre musikalische Heimat gefunden. Katzer und Starke im Berliner Sinfonieorchester, Krause in der Staatskapelle und Geisler an der Komischen Oper. Kennengelernt haben sie sich schließlich in der Berlin Sinfonietta, einem der traditionsreichsten Kammerorchester Berlins, das sich bis heute aus Musikern verschiedener Orchester zusammensetzt. Und spielen nun seit „einer halben Ewigkeit“ zusammen. Die Auftritte mit dem Orchester der Versöhnung sind dennoch „das Wildeste“, was sie je gemacht hätten, sagt Katzer. „Das Verrückteste“, sagen die anderen. Nach anfänglichen Zweifeln haben sie nun auch ihren Platz gefunden. Auf der Bühne, im Ablauf der Show. „Es war für uns wichtig, dass wir nicht nur die Statisten sind.“, erklärt Katzer, der nun den Taktstock in der Hand hält. So haben sie das Gefühl, nicht überflüssig zu sein. Denn: „Das wäre uns unangenehm“, sagt das Cello. Sehr unangenehm, sagt zumindest Starkes Gesicht. Die Gralshüter der Ernsthaftigkeit sind die vier jedoch nicht und haben kein Problem damit, dass Grebe sie immer wieder als Projektionsfläche für seine demografischen Füllwitze benutzt. Ob sie noch im Heim wohnen, fragt „der Rainald“, oder schon in der Residenz. „Das ist aber nie verletzend, sondern lustig“, findet Krause und fängt zu lachen an. „Lustig”, sagt jetzt auch Geisler.

Wichtig ist ihnen aber auch, dass ihre Musik nicht im Spaß untergeht. „Der Streicher-Sound gibt ja einen Kontrast zu diesem harten Rock“, meint die zweite Geige. „Er ist ein schönes, weiches“, sie denkt nach, bis die erste Geige den Gedankengang für sie beendet: „Polster“. Sie kennen eben ihre Sätze. Lucas Vogelsang

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