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© Mike Wolff

SPD-Absturz: Wowereit trägt’s mit Fassung

Den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit überrascht das Wahlergebnis nicht. Zu seiner Rolle im Bund schweigt er lieber.

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Es ist nur ein ganz kurzer Moment, da drückt er sein Kinn energisch nach unten, die Arme vor der Brust verschränkt. Klaus Wowereit steht im ZDF-Studio, abseits. Er wartet darauf, dass man ihn aufs Podium ruft. Noch ein paar Minuten ohne Kamera, vielleicht die letzten an diesem Abend, an denen ihm niemand ins Gesicht sieht, versucht, daraus zu lesen, wie er sich fühlt, der Regierende Bürgermeister von Berlin. Es ist kurz nach 18 Uhr und alle Zuschauer in der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom blicken auf die große Leinwand in der Studioecke, auf der die ersten Hochrechnungen, die frühen Ergebnisse der Bundestagswahl, sich in bunten Diagrammen aufbauen. 23,5 Prozent steht unter der roten Säule der SPD. Und Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister, beugt seinen Kopf kurz nach vorne und macht ein Doppelkinn. Zu dem Zeitpunkt ist das deutlich schlechtere Berliner Ergebnis der SPD noch nicht bekannt.

Dass er das schwache Abschneiden im Bund erwartet hat, wird er später in Interviews sagen. Weil es alle Umfragen schon seit Monaten vorhersagten. Dass die Überraschung daher gering sei und dass es ihm nun geht, „wie es einem eben so geht“ nach so einem Resultat.

Vor dem Interview im ZDF-Studio hat er noch gescherzt und gelächelt. Den Tag habe er entspannt zu Hause verbracht, erzählt er. Sport getrieben, ein wenig ferngesehen. Erst nach den ersten Hochrechnungen sagt er ein paar deutliche Sätze. „Angela Merkel wird nun ihren Heiligenschein verlieren.“ Weil sie sich nicht mehr hinter der Großen Koalition verstecken könne und Entscheidungen treffen müsse. Und: „Guido Westerwelle wird nie ein Star sein.“ Weil er einfach nicht so beliebt sei, ganz anders als Frank-Walter Steinmeier. Der erklärt an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus, dass er den Fraktionsvorsitz übernehmen wird.

Das schlechte Wahlergebnis sei nicht die Schuld des SPD-Kanzlerkandidaten – ein Satz, den Klaus Wowereit an diesem Sonntagabend oft wiederholt. „Es war nicht der falsche Kandidat“, sagt er. Aber Klaus Wowereit sagt auch, dass sich seine Partei neu positionieren muss. Mit Jüngeren wie Hannelore Kraft zum Beispiel, die SPD-Landeschefin in Nordrhein-Westfalen ist. Und mit Wowereit in neuer Rolle, womöglich mit neuem Posten in der Bundes-SPD? Da lacht er. „Meine Rolle bleibt dieselbe wie bisher.“

Der Berliner SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller, der seit vielen Jahren Wowereits engster Vertrauter ist, bleibt an diesem Sonntag auch nur im Unverbindlichen stecken. „Wowereits künftige Rolle in der Bundes-SPD ist heute Abend kein Thema“, sagt er. Natürlich gehöre der Berliner Regierungschef zur Gruppe der Jüngeren in der Partei, die den Neuanfang zu vertreten hätten. „Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wie es weitergeht“, sagt Müller.

Ein kurzes Interview mit der britischen BBC – bitte auf Deutsch, nicht auf Englisch – dann muss Wowereit weiter, in den Reichstag, es ist kurz vor 19 Uhr. Es warten: Ulrich Deppendorf und Caren Miosga von der ARD, der Westdeutsche Rundfunk, der Hessische Rundfunk, der RBB, der MDR, Scheinwerfer, Kameras, rote Mikros, blaue Mikros, Assistenten mit Stoppuhren und Kopfhörern. „Noch lacht er“, sagt einer im dunklen Anzug, als Wowereit an ihm vorbeischreitet, hinein ins gut bewachte ARD-Studio. Die Sendung ist live, es wird geflüstert. Caren Miosga winkt kurz und Wowereit tritt energisch heran ans Pult.

Draußen vor der Glastür scharen sich Männer und Frauen in dunklen Anzügen um die Fernsehbildschirme. Ulrich Deppendorf befragt Klaus Wowereit, der Ton ist leise gestellt, kaum etwas ist zu hören. Dann: Schaltung in die CDU-Parteizentrale, zu Angela Merkel, die nicht mehr aufhören kann zu lächeln. „Zufrieden“, das ist ein Wort aus ihrem Mund, das man versteht. Und Wowereit steht am Pult der ARD und blickt geradeaus.

Bevor er den Reichstag verlässt, geht der Regierende Bürgermeister ein letztes Mal zur Maske. Ein halbes Dutzend Mal ist er an diesem Abend gepudert und bepinselt worden. Nun greift er zu einer Packung Feuchttücher und wischt sich das Gesicht. Einmal, zweimal, dreimal. Ins Willy-Brandt-Haus will er nicht mehr fahren. Zu feiern gibt’s dort ja nichts.

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