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Raed Saleh, 36, (rechts) führt seit Dezember 2011 die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. In dieser Funktion einte er die Fraktion, die nach dem Flughafen-Debakel im Januar dieses Jahres einen Misstrauensantrag gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit abwehrte. Saleh, gebürtig im Westjordanland, ist Mitinhaber einer Spandauer Medienfirma. Foto: p-a/dpa

© picture alliance / dpa

SPD-Fraktionschef Raed Saleh: „Das drastische Sparen haben wir hinter uns“

SPD-Fraktionschef Raed Saleh über den Wahlkampf gegen einen Koalitionspartner CDU und mit dem unbeliebten Klaus Wowereit, die Volksabstimmung zum Stromnetz sowie eine mögliche Übernahme der S-Bahn durch die Stadt.

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Herr Saleh, sind Sie schon im Wahlkampf- Fieber?
Ich fahre erst mal mit der Familie für einige Tage an die Ostsee, dann fängt für mich der Wahlkampf an.

Wird die rot-schwarze Koalition in Berlin den Bundestagswahlkampf überhaupt unbeschadet überstehen?
Ich gehe davon aus, dass SPD und CDU stabil weiterregieren. Stabilität, das ist mir besonders wichtig. Und die Berliner haben ein Anrecht darauf, dass es im Wahlkampf keinen Stillstand gibt.

Haben sich das beide Parteien in die Hand versprochen: Drinnen sind wir freundlich zueinander, draußen machen wir kämpferische Sprüche?
So natürlich nicht. Aber es gibt für die Koalition nach den Sommerferien viel zu tun. So muss der Haushalt 2014/15 im Parlament beraten werden. Und wir müssen überlegen, wie wir mit dem Volksbegehren zum Berliner Stromnetz umgehen. Trotzdem werden wir als SPD den politischen Unterschied zur CDU in den kommenden Wochen sehr deutlich machen.

Also doch ein zünftiger Streit …
… aber vor allem über Positionen, die die Union auf Bundesebene vertritt. Wir als SPD wollen kostenlose Bildung, von der Kita bis zur Hochschule. Kein Betreuungsgeld als Herdprämie. Wir sind auch nicht grundsätzlich gegen höhere Steuern. Ein starker Staat muss ausreichend finanziert sein.

Deshalb hat der Berliner Senat die Grunderwerbsteuer angehoben?
Das war ein schwieriger Schritt. Aber angesichts der finanziellen Risiken, die langfristig auf Berlin zukommen, führt kein Weg an höheren Einnahmen vorbei.

Welche Risiken?
Berlin wird nach dem Zensus, mit dem Abbau des Solidarpakts und mit der Reform des Länderfinanzausgleichs wahrscheinlich Einnahmen in Milliardenhöhe verlieren. Und wenn die Kreditzinsen wieder steigen, belastet dies ein hoch verschuldetes Land wie Berlin sehr. Die finanzielle Lage Berlins bleibt schwierig. Dagegen helfen nur: Disziplin bei den öffentlichen Ausgaben, höhere Einnahmen für den Staat und kluge Investitionen. Dazu gehört auch die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe und des Berliner Stromnetzes.

Ordentlich sparen – wäre das nicht besser als die Steuern zu erhöhen? Ein Großprojekt wie die Landesbibliothek ist zwar prestigeträchtig. Aber so entbehrlich wie die Internationale Bauausstellung, oder?
Große Bauvorhaben kosten nur einmal Geld. Auf sie zu verzichten, wäre punktuelles Sparen. Wir müssen aber strukturell sparen, also dauerhaft, Jahr für Jahr. Das ist in den vergangenen zehn Jahren geschehen, das hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit maßgeblich vorangetrieben, auch wenn wir den Berlinern einiges zugemutet haben. Aber diesen Kraftakt, diese Phase der drastischen Sparmaßnahmen haben wir hinter uns. Natürlich bin ich für weitere Sparvorschläge offen, auch des Koalitionspartners CDU. Aber bisher habe ich nichts gehört. Auch nicht in den Haushaltsberatungen des Senats.

Nach der Sommerpause wird das Abgeordnetenhaus den Etatentwurf des Senats diskutieren und beschließen. Wo muss nachgebessert werden?
Zuerst einmal: Der Senat hat einen guten Job gemacht. Unsere Fachpolitiker werden sich das trotzdem genau anschauen.

Die Kürzung der Arbeitsmarktförderung war kein falsches Signal?
Auch das werden die Koalitionsfraktionen genau prüfen. Dasselbe gilt für den Bildungsbereich und alle anderen Ressorts.

Die CDU hat im Haushaltsentwurf nicht viel durchsetzen können, damit sind Sie sicher auch zufrieden?
Die Verhandlungen waren sachlich und auf Augenhöhe.

Auf der zweiten Seite lesen Sie über Bundeswahlkampf und Volksentscheid.

Sind Sie nicht überrascht, wie zahm der Koalitionspartner noch immer ist?
Ich war skeptisch, als Rot-Schwarz vor eineinhalb Jahren mit der Regierungsarbeit begann. Heute finde ich mich als Sozialdemokrat in dieser Koalition gut wieder, weil sie an vielen Stellen sozialdemokratische Politik macht

Trotzdem liegt die Union bei Umfragen in Berlin klar vorn. Warum?
Für mich gilt: Die SPD darf sich nicht auf ihren Erfolgen ausruhen, sie muss ihre Positionen energisch vertreten. Nur so können wir das Vertrauen der Bürger gewinnen. Es gab aber auch früher Phasen, in denen die SPD im Umfragetief saß.

Das schon. Aber nicht belastet durch einen Regierungschef Klaus Wowereit, der den Flughafen BER in den märkischen Sand gesetzt hat. Er wird dafür von vielen Bürgern verantwortlich gemacht, ist das für die Berliner SPD nicht deprimierend?
Wir sind eine Partei, wir ziehen alle an einem Strang, vertreten alle dieselben Werte.

Hört sich gut an. Aber Sie schieben Wowereit im Bundestagswahlkampf trotzdem ein bisschen nach hinten, weil er der SPD nicht mehr helfen kann, nicht wahr?
Der Regierende Bürgermeister genießt bei den Berlinern immer noch sehr viel Sympathie. Ich sehe bei ihm ein erfreuliches Comeback, erlebe ihn sehr konzentriert, kämpferisch und selbstbewusst – und überhaupt nicht amtsmüde.

Entschuldigung, Sie wollen uns gerade erzählen, dass Klaus Wowereit ein Zugpferd ist?
Klaus Wowereit ist mit Abstand die Nummer eins in der Berliner SPD. Er steht für Berlin als moderne, aufstrebende Metropole. Er wird damit überall eng verbunden. Er lebt die Stadt. Damit kann die SPD nach wie vor punkten

Und wer ist die Nummer zwei?
(lacht)

Nicht so bescheiden, Herr Saleh!
Wir brauchen alle Genossen, alle arbeiten hart, jede und jeder an ihrem Platz.

Verstehen Sie sich noch mit dem SPD-Landeschef Jan Stöß? Dem Vernehmen nach gibt es zunehmend atmosphärische Störungen und interne Konkurrenzkämpfe?
Nein, überhaupt nicht. Die Zusammenarbeit ist gut und vertrauensvoll.

Der SPD-Vorstand unterstützt den Volksentscheid zur Rekommunalisierung des Stromnetzes ohne Abstriche. Gilt das denn auch für die SPD-Fraktion?
Das meiste von dem, das die Initiatoren des Volksentscheids wollen, fordert die SPD seit Jahren: die Gründung eines landeseigenen Stadtwerks und den Ausbau erneuerbarer Energien in einem öffentlichen Stromnetz. Dazu gibt es bereits parlamentarische Anträge der Koalitionsfraktionen. Was uns von den Initiatoren des Volksbegehrens unterscheidet: Wir sehen vor allem die Forderung kritisch, dass das Stadtwerk von Räten kontrolliert werden soll. Das gefährdet die parlamentarische Kontrolle, ist aufwändig und kostspielig. Darauf hat sich die Koalition bisher nicht eingelassen. Trotzdem wird meine Fraktion den SPD-Vorstandsbeschluss natürlich an die CDU herantragen.

Und dann so lange diskutieren, bis ein Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl, dem 22. September, leider nicht mehr möglich ist?
Ich habe große Sympathien für den 22. September. Aber der Termin des Volksentscheids wird vom Senat festgesetzt, nicht von den Parlamentsfraktionen. Und zwar auf Vorschlag des Innensenators Frank Henkel.

Wenn die CDU den 22. September verhindern sollte, wird die SPD dafür in Mithaftung genommen.
Die Fristen sind nun mal so, dafür können wir nichts. Der zeitliche Rahmen des Volksentscheids wurde von den Initiatoren vorgegeben. Wenn sich das Parlament mit einem eigenen Gesetzentwurf beteiligen will, müssten die Abgeordneten während der Ferien zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Machbar ist das.

Auch ein anderes wichtiges Verfahren kommt in Zeitnot. Die Ausschreibung des S-Bahnrings verzögert sich. Was nun?
Die SPD-Fraktion hat schon im Januar einen Plan B formuliert, sollte die Teilausschreibung der S-Bahn nicht funktionieren. Nämlich die Übernahme des Betriebs durch eine kommunale Gesellschaft. Das wird auch geprüft. Aber ich gehe bisher noch davon aus, dass sich die aktuellen Probleme im Ausschreibungsverfahren lösen lassen.

Fahren Sie eigentlich selbst mit der S-Bahn?
Ja. Ich war gerade mit meinen Kindern im Zoo. Hin sind wir mit dem Bus, zurück wollten sie unbedingt mit der S-Bahn fahren. Es war beides schön.

Das Gespräch führten Robert Ide und Ulrich Zawatka-Gerlach.

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