zum Hauptinhalt
Der Berliner SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh und SPD-Landeschef Jan Stöß.

© dpa

SPD in Berlin: Wowereits Nachfolger ringen um Macht in der Partei

SPD-Fraktionschef Raed Saleh wollte heute erklären, ob er auf dem Parteitag gegen Landeschef Jan Stöß antritt. Das hat er nicht getan, sich aber alle Optionen offen gehalten für die Wowereit-Nachfolge. Und was plant Senatorin Kolat?

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Ist es ein genialer Befreiungsschlag? Oder ein risikoreiches Himmelfahrtskommando, wie manche Parteifreunde sagen. Der sozialdemokratische Fraktionschef Raed Saleh wird möglicherweise versuchen, auf dem Parteitag am 17. Mai auch den SPD-Landesvorsitz zu übernehmen – in einer Kampfkandidatur gegen den amtierenden Parteichef Jan Stöß. Der Zweck der Übung wäre klar: Es geht um die Nachfolge des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 nicht mehr antritt. Also wird es Zeit, sich für den begehrten Job des Berliner Regierungschefs in eine aussichtsreiche Position zu bringen. Wer hat die besten Chancen?

RAED SALEH

Er zeichnet sich durch ein stark ausgeprägtes Machtbewusstsein, hohe Zielstrebigkeit und Kontaktfähigkeit aus. Saleh ist innerparteilich bestens vernetzt und hat in den zwei Jahren, in denen er Fraktionschef der SPD im Abgeordnetenhaus ist, Lernfähigkeit und ein Gespür für wichtige Themen bewiesen. Parteifreunde, die den 36-Jährigen nicht so mögen, nennen Saleh einen gnadenlosen Strippenzieher und Populisten, der seine Gegner notfalls niederwalzt.

Bisher hat Saleh auf Zeit gespielt. Stabilität in Partei, Fraktion und Regierung, das war für ihn das oberste Gebot. Eine Nachfolgedebatten schaden der Partei, sagt er im Blick auf Landeschef Jan Stöß. Man müsse jetzt "eigene Wünsche hinten anstellen". Jetzt fährt er erstmal in den Osterurlaub - dann wird man weitersehen. Er hätte es lieber gesehen, wenn Wowereit 2016 erneut als SPD-Spitzenkandidat angetreten wäre, um für sich selbst in aller Ruhe den Boden als Kronprinz zu bereiten. Eine Optimierungsstrategie. Aber spätestens seit der Steueraffäre um den Kulturstaatssekretär André Schmitz ist klar, dass der Regierende Bürgermeister nur noch ein Auslaufmodell ist, das der eigenen Partei mehr schadet als hilft.

Deshalb will Saleh offenbar – für alle überraschend – auf Angriff umschalten, um die mit dem Berliner SPD-Chef Stöß seit 2012 geteilte Macht in seiner Hand zu vereinen. Eigentlich sollte der Landesvorsitzende der Sozialdemokraten eine Woche vor der Europawahl und dem Volksentscheid zu Tempelhof im Amt bestätigt werden. Auch Saleh hatte dafür seine Unterstützung zugesagt, jedenfalls bis vor ein paar Tagen. Zwar hatte ihn Wowereit intern gedrängt, einen Gegenkandidaten zu organisieren, weil Stöß in der Schmitz-Affäre ohne Rücksicht auf den Regierungschef die schnelle Ablösung des Staatssekretärs betrieb und so bei Wowereit in Ungnade fiel. Aber das wehrte Saleh ab. Nun könnte er es sich anders überlegen und die Osterferien nutzen, um für den Landesparteitag am 17. Mai eine Mehrheit der Delegierten zusammenzutelefonieren.

Damit geht er ein Risiko ein, aber für Überraschungen ist Saleh immer gut. Sein liebstes arabisches Sprichwort: „Die Planer planen und das Schicksal lacht dazu.“ Sollte es ihm tatsächlich gelingen, eine Mehrheit zu organisieren, wäre Jan Stöß als ernsthafter Konkurrent um die SPD-Spitzenkandidatur frühzeitig aus dem Weg geräumt. Sollte Saleh auf dem Wahlparteitag aber stolpern, wäre er auch als SPD-Fraktionsvorsitzender und damit wichtigster Kontaktmann zu den Senatoren der SPD entscheidend geschwächt.

Die Spitzenkandidatur 2016 könnte sich Saleh dann wohl abschminken. Einflussreiche Genossen werfen ihm jetzt schon vor, mit seiner möglichen Kampfkandidatur gegen Stöß kurz vor der Europawahl und dem Volksentscheid den SPD-Landesverband in eine Phase der Selbstbeschäftigung und des internen Streits zu führen. Außerdem bliebe kaum noch Zeit, die Kandidatur in den Parteigremien breit zu diskutieren. Das wird in der Berliner SPD ebenfalls kritisch zur Kenntnis genommen.

JAN STÖSS

Vor zwei Jahren organisierte der Sprecher der SPD-Linken und Verwaltungsrichter gemeinsam mit Saleh den Generations- und Richtungswechsel an der Spitze von Partei und Fraktion. Dicke Freunde waren sie nie, aber eine gut funktionierende Zweckgemeinschaft. Allerdings zog der heute 40-Jährige mit dem Parteivorsitz ein schwieriges Los, denn es handelt sich um ein öffentlich wenig einflussreiches Ehrenamt. Die Partei kann den großen Rahmen vorgeben und gelegentlich Entscheidungen des Senats oder der Fraktion korrigieren. Aber das Heft des Handelns haben die Genossen in den Regierungsbehörden und im Abgeordnetenhaus in der Hand. Senatschef Wowereit nannte Stöß im kleinen Kreis, so wird kolportiert, hämisch einen „Zaungast“ und wird ihn auf dem Weg ganz nach oben gewiss nicht unterstützen.

Ein Problem für Stöß ist auch, dass er nie im Parlament saß und nur kurzzeitig als Bezirksstadtrat Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung sammeln konnte. Stattdessen versucht er, im Bereich der sozialen Stadtentwicklung, Mieten und Wohnen, Renten und Großstadtpolitik Profil zu gewinnen. Seit kurzem ist Stöß, der im SPD-Parteivorstand sitzt, Metropolenbeauftragter der Bundespartei.

Für eine Wiederwahl als SPD-Landeschef wurde Stöß von den Kreisverbänden Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Neukölln, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf nominiert. Auch Steglitz-Zehlendorf steht, so hört man, weitgehend geschlossen hinter Stöß. In Tempelhof-Schöneberg hat der Landesvorsitzende ebenfalls viele Anhänger. Außerdem haben sich die einflussreichen Arbeitsgemeinschaften des SPD-Landesverbands für ihn ausgesprochen. So gerechnet, kann sich der Parteichef bei der Vorstandswahl im Mai auf eine Mehrheit stützen. Ohne Gegenkandidat mit 70 bis 80 Prozent der Stimmen.

Aber – wer weiß. Eine Kandidatur Salehs, die er angeblich am Dienstag verkünden (oder dementieren) will, könnte die Parteitags-Arithmetik wieder durcheinander bringen. Und ohne das oberste Parteiamt in Berlin wäre Stöß ein König ohne Land. Seine politische Karriere wäre, zumindest vorerst, brutal gestoppt.

Dilek Kolat

60 Stunden hat Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) mit den Flüchtlingen in Berlin verhandelt. Ein Ergebnis der verabredeten Einigung ist bereits sichtbar: Der Oranienplatz wurde von den Flüchtlingen freiwillig geräumt. Trotz des Verhandlungserfolgs aber ist die 47-jährige SPD-Politikerin zurzeit unter ihren Genossen nicht im Gespräch für eine Wowereit-Nachfolge. „Wir haben noch zwei volle Jahre bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl“, sagt ein hochrangiger SPD-Politiker. Ob sich dann noch jemand daran erinnert, dass Dilek Kolat mit den Flüchtlingen erfolgreich verhandelt hat? „Das dürfte dann wohl nicht mehr ausschlaggebend sein“, heißt es in der SPD.

Kolat kennt ihre Parteifreunde und weiß, dass sie sich nicht selbst ins Gespräch bringen sollte. Noch dazu zu einem solch frühen Zeitpunkt. Sie lässt zunächst Stöß und Saleh ihre Machtkämpfe ausfechten. Man darf davon ausgehen, dass sie das Amt einer Regierenden Bürgermeisterin reizvoll finden würde. Denn Kolat ist ehrgeizig: Fraktionschefin wollte sie nach der Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2011 partout nicht werden. Sie wollte einen Senatorenposten in der Landesregierung. Jetzt ist sie für das Ressort Arbeit und Integration verantwortlich. „Senatorin ist doch kein schlechter Job“, sagt ein SPD-Politiker aus ihrem Kreisverband und meint damit, was die große Mehrheit der Genossen denkt: Kolat soll erst mal in ihrem Ressort gute Arbeit leisten. Und in ihrem Kreisverband.

Seit Jahren rumort es bei der SPD in Tempelhof-Schöneberg, den Kolat seit zehn Jahren leitet. Nachdem eine Wahl der Delegierten für den nächsten Parteitag angefochten wurde, müssen diese nach einer Entscheidung der Landesschiedskommission neu gewählt werden. Kolat will sich demnächst von ihrem Kreisverband im Amt der SPD-Bezirkschefin bestätigen lassen. Nun gibt es aber mit Anett Baron, der stellvertretenden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, eine Gegenkandidatin. Und sollte Kolat aus dieser Wahl nicht als Siegerin hervorgehen, wäre eine Spitzenkandidatur wohl endgültig obsolet.

WER NOCH?

Bevor Michael Müller Stadtentwicklungssenator wurde, galt der frühere SPD-Landes- und Fraktionschef als geborener Wowereit-Nachfolger. Aber vor zwei Jahren enthob ihn das neue Gespann Saleh-Stöß beider wichtiger Ämter. Es mag sein, dass Müller noch Ambitionen hat, über die er momentan nicht reden mag, aber die Chancen auf eine Spitzenkandidatur gehen gegen null. Eine Zeitlang wurde die inzwischen recht profilierte SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl als Geheimtipp gehandelt, aber sie hat sich offenkundig für eine bundespolitische Karriere entschieden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false