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Till Meißner (Mitte) und Steffen Kühn fahren ehrenamtlich Menschen, die nicht mehr lange leben werden, mit dem Wünschewagen des ASB an Orte, die sie gern noch einmal besuchen möchten. Links Projektkoordinator Julian Thiel.

© Kai-Uwe Heinrich

Spendenaktion des Tagesspiegel: Zum letzten Mal ans Meer

Dank des „Wünschewagens“ erleben Menschen am Ende ihres Lebens schöne Stunden. Helfer erfüllen ihnen ihren letzten Wunsch.

Ein herrlicher Tag im Sommer 2016 an der Ostsee. Die Sonne strahlt, die Wellen schwappen an den Strand, und durch den weichen Sand schlendert ein Ehepaar Hand in Hand. Die beiden gehen an den Musikern vorbei, die auf einer Bühne ein Kurkonzert geben, und irgendwann sinken sie entspannt in einen Strandkorb und lassen die Atmosphäre auf sich wirken. Die Sonnenstrahlen brechen sich auf dem Wasser. In der Nähe liegt ihr Hotel, direkt am Strand von Heringsdorf.

Hier waren sie vor acht Jahren schon, bei ihrer Hochzeitsreise. Jetzt wollen sie noch mal diese Momente von damals zurückholen, dem Klang des Meeres lauschen, sich erinnern.

Es ist ihre letzte gemeinsame Reise, das wissen sie. Am Strand von Heringsdorf nehmen sie symbolisch Abschied von glücklichen Momenten. Der Mann, Mitte 50, hat Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium.

Der letzte Wunsch wird nach Möglichkeit erfüllt

Aber sie wollten noch mal hierher, es war der letzte Wunsch des Todkranken. Und deshalb warten Till Meißner und Steffen Kühn in einiger Entfernung, weit genug weg, um das Ehepaar nicht zu stören. Aber nah genug, um schnell da zu sein, wenn von den beiden ein Anruf kommt. Meißner und Kühn haben diese Reise organisiert, sie gehören zum Projekt „Wünschewagen“ des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) Berlin.

Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen, sollen einen besonderen Lichtblick erhalten, das ist der Gedanke des „Wünschewagens“. Seine Mitarbeiter erfüllen letzte Wünsche, kostenfrei, unabhängig vom Alter, sie sind offen für jeden (Tel. 41729800). Seit einem Jahr kümmern sich 20 Helfer ehrenamtlich um Todkranke. Der „Wünschewagen“ fuhr schon nach Nauen zu einer Hochzeit, nach Rügen zu den Störtebeker-Festspielen und innerhalb Berlins in den Tierpark oder zu einer Weihnachtsfeier mit früheren Arbeitskollegen. „Das Ziel sollte realistisch und innerhalb eines Tages zu erreichen sein“, sagt Kühn, hauptamtlich Leiter des Rettungsdienstes des ASB Berlin.

Das Auto ist ein Spezialfahrzeug

„Wünschewagen“ hört sich so einfach an, fast niedlich. In Wirklichkeit ist es ein Spezialfahrzeug, verglast mit Panoramafenstern, damit man auch im Liegen die Umgebung beobachten kann, ausgerüstet wie ein Rettungswagen des Roten Kreuzes. „Aber alle Hilfsmittel sind versteckt“, sagt Kühn, „die Gäste sollen sich ja wohlfühlen.“ Die Betroffenen heißen immer Gäste, ein wesentlicher Punkt der Fürsorge. Die Gäste dürfen sogar ihre eigene Musik im Fahrzeug hören. Und jeder Gast hat von seinem Arzt die Erlaubnis, so eine Reise zu unternehmen.

Kühn ist ein stämmiger Mann, er hat schon viel Leid gesehen, aber wenn er mit dem Wünschewagen unterwegs ist, dann kann es sein, das dieser Mann nur da sitzt und heult.

Wie in Nauen. Eine krebskranke Frau wollte zur Hochzeit ihrer Tochter. Eigentlich war nur ein kurzer Besuch geplant, 90 Minuten, die Frau hatte ja nicht mehr viel Kraft. Aber dann saß sie stundenlang am Tisch, sie lachte, sie redete, sie erlebte unbeschwerte Stunden. Meißner und Kühn waren auch diesmal Begleiter, sie wurden bald an die Kaffeetafel mit ihrem Gast geholt. Das Lachen dieser fröhlichen, todkranken Frau berührte sie. Und irgendwann, als sie unbeobachtet waren, weinten beide einfach nur noch.

Sie bewegen sich ja im emotionalen Grenzbereich, zwischen Glücksgefühlen und dem Wissen, dass der Tod nur noch Tage entfernt ist. „Für Angehörige oder Begleiter“, sagt Meißner, hauptamtlich Rettungsassistent, „ist es immer schwieriger als für die Betroffenen. Die Gäste haben ihr Schicksal akzeptiert. Sie wollen einfach nur ein paar Stunden genießen.“

Diese Frau zum Beispiel, auch sie über 50, die im Hospiz lebte und die der „Wünschewagen“ noch mal in ihre Wohnung fuhr. Die Todkranke wollte ein letztes Mal ihre Katzen sehen, die dort betreut wurden, ein letztes Mal ihre Möbel und andere Dinge betrachten, mit denen sie so viele Erinnerungen verband. 90 Minuten sollte der Besuch dauern, es wurden mehrere Stunden daraus.

Die Gäste dürfen sich die Zeit nehmen, die sie brauchen

Helfer wie Meißner und Kühn passen sich zeitlich an. In Momente, in denen Todkranke noch mal Leben intensiv genießen, passen keine Faktoren wie Hektik und Zeitdruck. Wenn nötig, erhalten der Gast und seine Begleiter auch eine Unterkunft. Hotel, Fahrtkosten, Verpflegung, das alles kostet Geld. Der Ausflug nach Heringsdorf hat alles in allem rund 800 Euro gekostet. Um solche Ausgaben bestreiten zu können, benötigt der „Wünschewagen“ Spenden. Sechs Fahrten hat der Bus bisher absolviert, und der ASB würde gerne öfter fahren. Aber es fehlt nicht nur Geld. Das Team benötigt auch Rettungssanitäter zur Begleitung und Ehrenamtliche mit einem Personenbeförderungsschein. Nur sie dürfen das Spezialfahrzeug steuern.

Außerdem kann auch nicht jede Anfrage bedient oder jeder Wunsch erfüllt werden. 20 Anrufe zum „Wünschewagen“ hat der ASB bisher erhalten, in mehreren Fällen freilich starb der Gast, bevor eine Reise organisiert werden konnte. Einige Anfragen können aber auch schlicht nicht bearbeitet werden. Die Mutter eines todkranken 15-Jährigen rief an: „Ich möchte für ihn eine Hertha-Karte“, sagte sie. „Oder doch besser eine für Union. Nein, am besten organisieren Sie eine Familienfeier.“ Ja, was denn nun? „Wir erfüllen nur Wünsche, die ein Gast selber leidenschaftlich hat“, sagt Kühn. Auch deshalb besuchen er und die anderen Helfer den jeweiligen Gast erst mal zu Hause. Sie müssen ja nicht bloß wissen, ob das Risiko eines Transports kalkulierbar ist, sie wollen auch hören, dass da jemand mit Inbrunst einen letzten Wunsch äußert.

So wie jener Mann, der mit seiner Frau fast jeden Teil der Störtebecker-Festspiele in Rügen gesehen hatte. Aber für die eigenständige Fahrt zum letzten Teil fehlte ihm die Kraft. Also fuhr der „Wünschewagen“ das Ehepaar auf die Insel. Das „Wünschewagen“-Team hatte für die Tickets gesorgt. Die Festival-Leitung hatte sogar Freikarten bereitgestellt.

Kostengünstige, wenn möglich kostenlose Tickets organisieren, Hotelzimmer buchen – auch das gehört zu den Aufgaben des ASB-Teams. Für den Aufenthalt in Heringsdorf hatten die Helfer rund 40 Hotels angerufen, immer mit der Bitte um kostenlose Zimmer, immer vergeblich. Bis sie einen Hoteldirektor fanden, der „Ja“ sagte. Er begrüßte das Ehepaar und dessen Begleiter sogar persönlich.

Der krebskranke Mann lief "wie ein Weltmeister"

Es war der bewegende Auftakt zu zwei intensiv erlebten Tagen. Der krebskranke Mann, der zu Hause in Berlin am Tag höchstens 100 Meter zurücklegte, für den die ASB-Helfer extra einen Rollstuhl eingeladen hatten, der spazierte ausgiebig über den Strand. „Der ist gelaufen wie ein Weltmeister“, sagt Kühn, „er hat bestimmt zwei Kilometer zurückgelegt.“ Und dann diese Szene, bei der seine Frau weinte, überwältigt vor Freude und Rührung. Ihr Mann biss in eine Birne. Ihr Mann, der zu Hause fast nicht mehr aß und trank. Erfüllte Stunde, Momente voller Freude und Zufriedenheit.

Zehn Tage später war der Mann tot.

Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Namen und Anschrift bitte für den Spendenbeleg auf der Überweisung notieren. Im Internet: www.tagesspiegel.de/spendenaktion

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