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Berlin: Spiel mit dem Feuer

Es war schwül und drückend, der erste warme Tag im Jahr. Auf einmal brannte "Bolle". Es war der 1. Mai 1987, der Beginn einer unseligen Tradition. Der Platz, wo der Supermarkt stand, war jahrelang eine Berliner Schmuddelecke, jetzt soll eine Moschee hierhin. Ein Ort und seine Geschichte.

(Der Tagesspiegel, 30.04.2003)

- In gelb-roten Graffiti lodern die Flammen an der Feuerwache in der Wiener Straße in Kreuzberg. Gewissermaßen ein Auftragswerk, erklärt Albrecht Broemme, Antigraffiti: "Sonst schmieren die uns hier alles voll." Es klingt ein bisschen nach Resignation, wenn der Landesbrandmeister das sagt, Berlins oberster Feuerwehrmann. Am 1. Mai 1987 war Broemme noch Einsatzleiter in Kreuzberg, als nur 50 Meter entfernt der Supermarkt in Flammen stand: "Bolle" an der Ecke Wiener/Skalitzer Straße. Ein zweigeschossiger Flachbau aus den 50er Jahren, in dem früher einmal ein Kino war. Und den die Feuerwehr nicht löschen durfte, weil ein paar Menschen auf der Straße es nicht wollten. Ein Jahr lang hatten die Ruinen des Kaufhauses noch gestanden, bevor man sie hektisch kurz vor dem 1. Mai 1988 abriss. Umsonst. Das Symbol war geschaffen, die Tradition gestiftet. Wieder kam ein 1. Mai. Und wieder brannte es in Kreuzberg.

Es wärmten sich viele daran, an dem Feuer von 87, auch intellektuell, gerade als das Establishment im ICC mit Hummer und Champagner Berlins 750. Geburtstag beging, daran erinnert sich Wiglaf Droste. Der "taz"-Kolumnist zog damals durch die Straßen und beobachtete, wie Rentner, jugendliche Touristen aus Westdeutschland und türkische Kids Mehl, Orangen und Pakete voll Schokoriegel aus dem Supermarkt schleppten, nachdem die Autonomen die Schnapsregale leer geräumt hatten. Eine plündernde, trinkende Gesellschaft sei das gewesen, die ihre Einkaufswagen da durch Kreuzberg schob. Ein besoffener Schabernack mit vager politischer Legitimation: Endlich wurde es "den korrupten Bonzen da oben" mal richtig gezeigt. Hussa Iraki, der Hauswart nebenan, hat andere Erinnerungen. Er hielt einen Gartenschlauch in der Hand und versuchte zu verhindern, dass die Dachpappe über seinem Haus auch noch Feuer fing. Seine Kinder hatte er zu Freunden nach Schöneberg gebracht, so wie die anderen Hausbewohner. Was er mit dem 1. Mai 1987 verbindet? Angst, sagt er.

Ein Zaun, zwei abgebrochene Brandmauern und eine Bodenplatte, durch die nach 16 Jahren die Bäume wachsen - mehr sieht man heute nicht. Nach dem Brand wollte die Rheintor GmbH ein nobles Büro- und Wohnhaus dorthin bauen. Als die Vermietungsaussichten zu schlecht waren, ließ sie den Plan fallen und das Gelände brachliegen. Über das Jahr türmte sich der Müll, und die Ratten kamen. Ein Tummelplatz für Nagetiere, unter denen die Nachbarschaft litt, und ein Paradies für Sprayer. Gleichzeitig überschlugen sich auf dem Papier Pläne und Visionen: Ein Hundertwasser-Haus erträumte sich Innensenator Strieder. Ein deutsch-türkisches Kulturzentrum wurde geplant, ein Bürohaus, für das der Bezirk sogar einen Ideenwettbewerb ausschrieb und Preise verlieh. Gebaut wurde nichts. Noch immer ist das hier eine von Berlins schlimmsten Schmuddelecken, klagt Iraki.

Ab acht Uhr abends brannten 1987 die Barrikaden. Bis vier Uhr morgens herrschte Anarchie in Kreuzberg, ein unerwarteter Freiraum, keine Polizei in Sicht, das Fehlen der Ordnungshüter an diesem Tage, das war damals ein Grund zu feiern. "Es war klar, dafür müssen wir irgendwann teuer bezahlen", sagt Droste. Um vier kamen die Einsatzkommandos mit Tränengas, auf der anderen Seite standen die Randalierer mit Pflastersteinen. Und mittendrin der Feuerwehrmann Broemme, schwitzend im Ledermantel.

Wenn Broemme mit bedächtiger Stimme erzählt, laufen die Ereignisse wie in Zeitlupe ab. "Als Leute rüberkamen und sagten, jetzt zünden die auch noch den Bolle an, sind wir mit zwei Autos langsam los." Das Löschfahrzeug blieb nach ein paar Metern in der Menschenmenge stecken. Es war nicht so, dass keiner sie durchlassen wollte, sagt Broemme. "Die meisten waren einverstanden, dass wir löschen, nur ein paar eben nicht. Das reichte. Ohne Polizei war da kein Durchkommen." Auch auf dem Weg zu einem brennenden Bauwagen in der Mariannenstraße wurde ein Feuerwehrauto gestoppt, umgeworfen, angezündet. Die Mannschaft kehrte zu Fuß zur Wache zurück. Albrecht Broemme schrieb am nächsten Morgen eine Verlustmeldung, wie man das als Beamter zu tun hat, wenn etwa mal ein Handschuh abhanden kommt. "Verloren: ein Löschfahrzeug, komplett". Nur das Funkgerät hatten seine Leute wieder mitgebracht.

Broemme ist ein freundlicher Mensch. In der Zentrale in der Voltairestraße plant man zurzeit seinen 50. Geburtstag. Es soll ein großes, öffentliches Fest werden. Der Chef ist einer, der es mag, wenn er gemocht wird. Deswegen ist er ja Feuerwehrmann geworden. Normalerweise mag man den Helfer doch, den Retter in der Not, der die Kinder aus den Flammen holt oder die Katze vom Baum. Der sein Leben für andere riskiert. Seit dem 1. Mai 1987 weiß Broemme, dass ihn in Berlin nicht jeder mag. "Das musste ich ganz allmählich verstehen", sagt er, "für einige Menschen ist jedes Blaulicht eine Aggression des Staates. Auch die Feuerwehr und ein Krankenwagen."

"Bolle" brannte. Und die Menge auf der Straße schaute in die Flammen, tat nichts dagegen, tanzte und trank. Warum? Feuer wirkt immer, sagt Droste. Bei den Nazis, bei den Kommunisten. Es wärmt etwas ganz tief drin, kräftigt den Glauben an die eigene Macht, politisch oder auch nicht. Auch Broemme weiß das, er hat einen Kamin zu Hause. Und Armin S., der Mann, der den Brand gelegt hat, wie die verdutzte Öffentlichkeit drei Jahre später erfuhr. Jahrelang trug Armin S. einen Sticker auf der Jacke: Berlins größter Brandstifter. Lustig fanden das damals alle, keiner glaubte ihm. Der chronische Pyromane aus dem Schwabenland hatte mit der politischen Szene nichts zu tun. Er lebt heute in einer geschlossenen Klinik in Reinickendorf, sein Arzt weiß nicht, ob er jemals herauskommen wird. Pyromanie gilt als nahezu unheilbar und ist wenig erforscht, sagt Volker Faust vom Zentrum für Psychiatrie in Weissenau. Mehr als 40 Brände in Berlin und 350 bundesweit hat Armin S. gestanden, als er sich selber stellte: zum Beispiel ein Feuer in der Reichenberger Straße mit zwei Toten oder die Flammen in dem alten Reetdach der U-Bahnstation Dahlem Dorf. Und den Brand im "Bolle", den alle dem kollektiven politischen Wahn der letzten WestBerliner Jahre zugeordnet hatten. In den Worten Drostes: "Berlin, das Irrenhaus der Republik und Kreuzberg seine geschlossene Abteilung."

Wie immer gibt es auch in diesem Jahr einen Plan für die Bebauung des "Bolle"-Grundstücks. Der "Islamische Verein für wohltätige Zwecke" hat es vor einiger Zeit gekauft, um eine Moschee zu bauen, mit Namen "Maschari-Center". Sieben Stockwerke soll sie haben und vier zierliche Minarette. Zehn Millionen Euro muss der Verein dafür an Spenden sammeln. Noch eine Moschee in Kreuzberg?, fragt ein Anwohner. Und so viel Geld, woher soll das kommen? Er hofft, sagt er etwas leiser, die finanziellen Mittel für die Moschee stammen nicht aus irgendeiner dunklen Kasse in Saudi-Arabien. Dann hätte Kreuzberg auf dem alten "Bolle"-Gelände ein neues Problem.

Wie jedes Jahr hat sich Albrecht Broemme auch diesmal auf den 1. Mai vorbereitet. Die Feuerwehr ist in Alarmbereitschaft, aber ohne Polizei fährt an diesem Tag kein Löschzug aus. Kleinere Brände löscht die Polizei gleich selbst. Mit dem Wasserwerfer. Man sollte gar nicht jedes Feuer löschen, sagt Berlins Landesbrandmeister. Die kleinen Lagerfeuer im Mauerpark zum Beispiel. Zumindest nicht am 1. Mai, wo sich Alkohol und Wärme im Menschen zu etwas Unerklärlichem verbinden. Es war der erste warme Tag im Jahr, so beginnen alle Schilderungen vom 1. Mai 1987. Etwas schwül und drückend. Man kann, sagt Broemme, den Einfluss des Wetters gar nicht hoch genug einschätzen. (Von Kirsten Wenzel) (tso)

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