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Beim "Theater am Tisch" kommen die Zuschauer sehr nah an die Darsteller heran.

© Björn Kietzmann

Spielen an der Spüle: Schauspielgruppe gastiert in Berliner Privatwohnungen

Die Darsteller des Ensembles „Theater am Tisch“ führen ihre Stücke in höchst intimem Rahmen auf: Sie gastieren in Privatwohnungen in Prenzlauer Berg und Kreuzberg. Platz ist für 25 Zuschauer.

So nah sitzt der Zuschauer bei dem jungen Liebespaar am Bett, dass er den beiden die Decke wegziehen könnte. Das ist gewöhnungsbedürftig, vor allem wenn zwischen den beiden intime Stille herrscht. Dann wieder kabbeln sie sich, es kommt zu einem kleineren Beziehungskrach. Er sagt, dass er sie liebt, sie grollt: Wenn das von Herzen käme, hätte er es in seiner Muttersprache gesagt. Währenddessen kann der Zuschauer die Haare an den Beinen des Schauspielers zählen.

Sophie Bogdan und Carlo Loiudice, die das Paar verkörpern, gehören zur Berliner Schauspielgruppe „Theater am Tisch“. Ihre Bühne: das Bett eines WG-Zimmers in Kreuzberg. Angefangen hat die Truppe vor zwei Jahren damit, in Berliner Kneipen auf Bestellung der Besucher an deren Tischen zu spielen. Jetzt gastiert die Mannschaft mit Schauspielern aus Italien, Deutschland, Spanien und Australien zusätzlich in Berliner Privatwohnungen, die ihnen die Bewohner zur Verfügung stellen. Das Publikum erhält die Adresse bei der Kartenreservierung. Nach den ersten drei Wohnungen in Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Neukölln spielt das Ensemble jetzt „Altbau“, ihr englischsprachiges Stück über internationale Liebespaare in Berlin, in Berliner Privatwohnungen. Sechs weitere Termine sind bis Anfang Oktober angesetzt.

Schauspieler können ohne festes Engagement gewöhnlich nicht spielen. Daher die Idee zum Kneipentheater: „Wir gehen eben zum Publikum“, sagt Darsteller Amor Schumacher. Die unmittelbare Nähe, wenn die Schauspieler am Tisch des Publikums sitzen, erzeugt eine ganz spezielle Situation – eine Mischung aus Film und Theater. Ebenso wie beim Stück in der WG: Der Zuschauer ist live dabei und sieht wie in Großaufnahme jede kleine Änderung in der Mimik der Akteure. Theresia Keyserlingk, 68, aus Friedenau, die das „Altbau“-Stück schon gesehen hat, bringt es auf den Punkt: „Man denkt sich doch so oft, wie gern man mal Mäuschen wäre.“ Hier kann man es sein.

Zuschauer wandern von Szene zu Szene

An der Wohnungstür haben die Schauspieler mit einem Einkaufswagen behelfsmäßig die Theaterkasse aufgebaut. Etwa eine halbe Stunde vor Beginn kommen die ersten Besucher an. Zunächst versammeln sie sich im Wohnzimmer. Manche nehmen verstohlen auf einer Stuhlkante Platz, die anderen werfen sich direkt in die Hängematte, die im Eck aufgespannt ist. Jenny Boldt aus Schöneberg ist mit drei Freunden gekommen. Die 24-Jährige hat von einer Freundin von dem Stück gehört. Sie sagt: „Das ist ein bisschen wie eine WG-Party hier.“ Ihre Freundin rätselt, ob sie die Wohnung bereits kennt. Möglich, dass sie hier schon einmal auf einer Feier war.

Jedem wird am Eingang eine Gruppe von A bis C zugeteilt, damit sich die 25 Gäste auf die Räume verteilen können. Je einen 15-minütigen Einakter gibt es in Schlafzimmer, Küche und Bad, die Zuschauer wandern von Szene zu Szene, die Darsteller bleiben, wo sie sind. Von der Innigkeit im Bett geht es in die Küche, auf dem Herd dampft ein Linseneintopf. Hier gerät das Publikum in das Spannungsfeld zweier Menschen, die das erotische Knistern zwischen sich mal zu überspielen versuchen, mal es einsetzen, um den anderen zu provozieren. Zuletzt findet sich der Zuschauer mitten in einem entgleisten Beziehungsstreit wieder, der droht, zum Tatort zu werden.

Serena Schimd ist die Gründerin der „Theater am Tisch“-Truppe. Vor zwei Jahren kam die Italienerin nach Berlin und brachte die Idee zum Kneipentheater mit: Eine „Theaterkellnerin“ kommt zu den Gästen mit einem Menü an den Tisch – die können aus mehreren Monologen und Dialogen auswählen und bestellen. Schimd setzte eine Anzeige in die Zeitung und gründete das Ensemble, zu dem mittlerweile neun Schauspieler gehören. Sie spielen wöchentlich in Berliner Kneipen wie in der „Wohnzimmer Bar“ in Prenzlauer Berg, dem „Dodo“ in Kreuzberg und dem „Dschungel“ in Neukölln. Die Termine kündigen sie auf ihrer Facebook-Seite an.

Klatschen ist nicht erlaubt

Es gebe durchaus Menschen, denen das Tischstück zu nahe gehe, sagt Amor Schumacher. „Das muss man erst einmal aushalten können“, sagt sie. Und sich auf die eigene Rolle einlassen: das Mäuschen. Auf einem der Kneipenabende bot schließlich jemand aus dem Publikum an, er habe eine große Wohnung – ob sie nicht mal dort spielen wollten? So zog das „Theater am Tisch“ zum ersten Mal in eine Privatwohnung. Das Stück, das daraus geworden ist, haben verschiedene Autoren extra für die Truppe geschrieben.

Klatschen zwischen den einzelnen Szenen ist nicht erlaubt, schließlich könnte eine andere Szene in der Wohnung gestört werden. Zum Schluss aber darf das Publikum applaudieren: Die Schauspieler laufen zweimal zur Verbeugung über den Flur herein. Zuletzt bleiben alle noch ein wenig – wie zur Einladung bei Freunden.

Weitere Aufführungen von „Altbau“ gibt es am Freitag, 26.9., Sonnabend, 27.9., (je 20 Uhr) und Sonntag, 28.9., (19.30 Uhr) in Prenzlauer Berg. Am Wochenende darauf ist das Stück in Kreuzberg zu sehen: Am Freitag, 3.10., und Sonnabend, 4.10., jeweils um 20 Uhr sowie am Sonntag, 5.10., um 19.30 Uhr. Die Adresse gibt es bei der Kartenreservierung über E-Mail: theateramtisch@gmail.com, Karten kosten 11 Euro, ermäßigt 9 Euro.

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