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Der Automat gewinnt immer. Eine Erkenntnis, die für Spielsüchtige kaum etwas ausmacht.

© dpa

Spielsüchtige in Berlin: "Als Spieler hast du kein Herz"

Ihre Gedanken kreisen um den nächsten schnellen Kick, den ersehnten großen Gewinn: Rund 35 000 Menschen in Berlin sind spielsüchtig. Viele Betroffene verlieren nicht nur ein Vermögen, sondern auch Freunde und Familie. Ein Bericht über einen, der aufgehört hat.

Für sein erstes Mal am Spielautomaten hatte Yassine K. keinen Grund – bloß Langeweile. Er wartete am Hermannplatz in Neukölln auf einen Freund und ging zum Zeitvertreib in eine Spielbank. Erst setzte er einen Euro, dann vier – und plötzlich gewann er 300 Euro. „Ich wusste gar nicht, was ich mit so viel Geld machen sollte“, sagt der zweifache Vater und erzählt, wie aus dem Gewinn ein Berg von Schulden geworden ist.

Zehn Jahre lang war Yassine K. (27) spielsüchtig. In dieser Zeit verprasste er sein Gehalt noch am Abend des Auszahlungstages und verkaufte seinen Mercedes. Er verlor all seine Freunde und fast seine Familie. Er riss sich beinahe die Haare aus und wollte aus dem dritten Stock springen. „Das Spielen zerstört dein Gehirn“, sagt er heute. „Es macht dich irre.“

Seit sechs Monaten hat Yassine K. keine Spielhalle mehr betreten. Er versucht, sein Leben zu ordnen. Vollkommen frei fühlt er sich aber noch nicht. Vielleicht wird er das nie. „Wenn ich jetzt nervös werde, wechsle ich bewusst den Ort und lenke mich ab, spiele mit meinen Kindern oder rufe Herrn Erdogan an“, sagt er. Der 60-jährige Psychotherapeut Kazim Erdogan ist Vorsitzender des Vereins „Aufbruch Neukölln“. Bei seiner Vätergruppe ist Spielsucht oft ein Thema. Auch an diesem Montagabend.

Einer der Männer, die hier sitzen, hat 1000 Euro verloren. Ein anderer 100 000 Euro, ein Dritter fast zwei Millionen. „Man will unbedingt gewinnen und merkt erst viel zu spät, dass man nur verlieren kann“, sagt einer der Teilnehmer. Armut und Arbeitslosigkeit nennen die Männer als Ursachen. Und dann seien da noch die vielen Lichter und die freundlichen Bedienungen. Kazim Erdogan kennt allerdings nicht nur die Geschichten der Spielsüchtigen, sondern auch die ihrer Familien. Er hat Frauen getröstet, die kein Geld mehr für ein Brot hatten. Und Frauen, die ihren Hochzeitsschmuck verloren haben. An ihren Mann.

Der Auslöser für Spielsucht kann wie bei anderen Süchten in der Persönlichkeit und dem sozialen Umfeld des Betroffenen liegen oder in persönlichen Krisen, die er durchstehen muss. Aber auch, dass Spielstätten so weit verbreitet und so leicht zugänglich sind, kann die Krankheit fördern.

Laut der Psychologin Chantal Patricia Mörsen, die an der Charité arbeitet und Expertin auf diesem Gebiet ist, denken Erkrankte ohne Pause an die nächste Partie. „Der Spieler plant seine nächsten Spielzüge, denkt über das Beschaffen von Geld nach oder lässt vergangene Spielerlebnisse nochmals vor seinem inneren Auge ablaufen“, sagt sie. Die Folgen gehen bis zu Depressionen und Suizid. Deswegen wird die Krankheit ähnlich wie Alkoholsucht behandelt: In der Regel nehmen Patienten ein bis zwei Jahre lang an einer ambulanten Psychotherapie teil und besuchen Gruppensitzungen oder Selbsthilfegruppen. In schweren Fällen ist ein stationärer Klinikaufenthalt von mehreren Monaten notwendig. „Die Erfolgsquote liegt meiner Erfahrung nach bei 60 Prozent“, sagt Kazim Erdogan.

Um das Glücksspiel einzudämmen, hat der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz ein Spielhallengesetz mitinitiiert. Seit Juni 2011 gelten neue Auflagen: Nur acht Automaten sind pro Betrieb erlaubt, zwischen drei Uhr nachts und elf Uhr morgens dürfen Spielhallen nicht geöffnet haben. Mindestens 500 Meter müssen zwischen zwei Hallen liegen, und in der Nähe von Kinder- und Jugendeinrichtungen sind sie verboten. Noch gilt ein Bestandsschutz, aber im Jahr 2016 werden alle 600 Berliner Spielhallen ihre Konzession verlieren. Welche Läden danach wieder eine Genehmigung bekommen, ist noch ungewiss. Aufgrund der strengeren Auflagen wird womöglich nur noch ein Viertel existieren.

Während die Zahl der Spielhallen abnimmt, vermehren sich die Café-Casinos. Offiziell bezeichnen sich die 2500 Betriebe in Berlin als „erlaubnisfreie Gaststätten“, was bedeutet, dass sie Kaffee, aber keinen Alkohol ausschenken und bis zu drei Automaten aufstellen dürfen. Um dies zu unterbinden, müsste die Spielverordnung auf Bundesebene geändert werden. Die schwarzgelbe Koalition hatte dazu einen Vorstoß unternommen, ob dieser noch umgesetzt wird, ist ungewiss.

Beim Umgang mit Wettbüros herrscht ohnehin ein rechtlicher Schwebezustand. Als der neue Glücksspielstaatsvertrag 2012 beschlossen war, konnten sich private Anbieter um 20 Konzessionen bewerben. Solange diese Lizenzen aber noch nicht vergeben sind, kann die Polizei keine der 300 illegalen Spielstätten in Berlin schließen. Sollte ein abgestrafter Betreiber nämlich demnächst eine Erlaubnis bekommen, könnte er Schadensersatz fordern.

Obwohl illegale Betreiber von Wettbüros und Café-Casinos diese rechtliche Lage momentan ausnutzen können, geht das Landeskriminalamt (LKA) regelmäßig mit Großrazzien gegen sie vor. Zum Beispiel vergangenen Herbst in der Neuköllner Sonnenallee. Die Beamten überprüften 35 Spielhallen, Wettbüros und Café-Casinos – das Ergebnis war eine Beanstandungsquote von 85 Prozent. Doch langfristig bringen Einsätze wie dieser nicht viel.

„Das Problem ist, dass wir die Automaten nicht langfristig einziehen können. Die Betreiber sind nämlich nicht die richtigen Eigentümer“, sagt Wolfgang Petersen vom LKA und fordert auch hier eine Gesetzesänderung auf Bundesebene. Zudem müsste eine Lösung dafür gefunden werden, dass viele Betreiber ihre Automaten manipulieren. Mit einem Reset-Knopf könnten sie die zurückliegenden Gewinne auslöschen und müssten somit eine niedrigere Vergnügungssteuer an das Finanzamt zahlen. Der Steuersatz ist in Berlin vor drei Jahren von elf auf 20 Prozent angehoben worden. 2012 nahm das Amt insgesamt 36,81 Millionen Euro ein.

Tag für Tag geht Kazim Erdogan an Spielbanken, Automatencafés und den so genannten Kulturvereinen vorbei. Kleine Stuben, die wegen ihrer angeblichen Vereinstätigkeit keine Steuern zahlen müssen und so gut wie nie von der Polizei aufgesucht würden. „Dabei geht es dort nicht mit rechten Dingen zu“, sagt Erdogan und erzählt, dass der Zutritt nur für bestimmte Mitglieder möglich sei. Dort würde die Männer nämlich nicht nur um Geld spielen, sondern auch Geld aus illegalen Geschäften waschen.

„Als Spieler hast du kein Herz. Du vergisst alles und jeden um dich herum“, sagt Yassine K.. Doch so möchte er nicht sein. Nie wieder.

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